# taz.de -- Würde des Faustkampfs: Warum Boxen fortschrittlich ist | |
> Was wir alle vom Boxen lernen können: eine kurze Kulturgeschichte des | |
> Faustkampfes und die Erklärung, warum der Sport politisch und intelligent | |
> ist. | |
Bild: Es geht zur Sache: Tyson Fury (r.) und Oleksandr Usyk tauschen schlagkrä… | |
Boxen ist nicht schön. Gegen diesen Satz fällt mir leider kein Argument | |
ein. Der Sport kann hässlich sein, brutal, gefährlich. Das wissen alle, | |
sogar ich. Dass aber Boxen auch Eleganz aufweist, dass es hier intelligent | |
zugeht, lustig, attraktiv und auch sehr politisch, das hat sich nicht im | |
selben Maße herumgesprochen wie die Geschichte vom gefährlichen Boxen. | |
Dennoch wird geboxt. Historisch gesprochen: von allen und zwar schon immer. | |
Körperlicher Händel, der sich gefälligst auf die Fäuste zu beschränken hat, | |
ist Ausdruck der Zivilisationsgeschichte. Der Soziologe [1][Norbert Elias] | |
war es, der gezeigt hat, wie gerade im Boxen rohe Gewalt zurückdrängt wird, | |
wie unsere Umgangsformen geregelter werden, weniger körperlich, ziviler. | |
Angefangen hat es mit dem durchaus manchmal tödlich endenden [2][Pankration | |
in der Antike], das aber etwa dem Sokrates-Schüler Platon (angeblich) zu | |
zwei Olympiasiegen verhalf und somit in die Philosophiegeschichte gehört. | |
Bereits Jahrmarktraufereien im 17. und 18. Jahrhundert waren regulierter: | |
Zuschauer bildeten einen Ring, der bald mit Seilen begrenzt wurde. | |
Es kamen Kampfrichter hinzu, und Tiefschläge waren ebenso verboten wie das | |
Nachsetzen gegen jemand, der am Boden lag. Ende des 19. Jahrhunderts, als | |
aus all solchen Wettkämpfen moderner Sport wurde, bekam das Boxen weitere | |
Regeln, die des englischen [3][Marquess of Queensberry]. Der führte | |
beispielsweise die Handschuhpflicht ein und ließ einem niedergeschlagenen | |
Boxer gezählte neun Sekunden, um wieder aufzustehen. Bei zehn war Schluss. | |
## Alle tun es | |
Das alles mag das Boxen nicht unbedingt schön machen, und wenn ich | |
hinzufüge, dass dieser sporthistorische 9. Marquess, John Sholto Douglass, | |
auch derjenige war, der den Schriftsteller [4][Oscar Wilde] wegen dessen | |
Homosexualität ans Messer lieferte, dürfte die Bereitschaft, diesem Sport | |
größere Sympathie entgegenzubringen, noch ein wenig sinken. Aber wenn wir | |
zugeben, dass viele Menschen – ich gehöre dazu – Boxen attraktiv finden, | |
dann hilft gerade der Hinweis auf den Prozess der Zivilisation vielleicht | |
zu verstehen, warum geboxt wird. Nämlich wie gesagt: immer und überall und | |
von allen. | |
Ein wichtiger Grund lautet: Boxen ist eine Möglichkeit des sozialen | |
Aufstiegs – für den Einzelnen und für ganz große gesellschaftliche Gruppen. | |
Im England und Nordamerika des 18. und 19. Jahrhunderts boxten die, die | |
Unterschichtler genannt wurden. Als erster inoffizieller Weltmeister gilt | |
Daniel Mendoza aus London, ein Arbeiter und Kaufmannsgehilfe. Er und die | |
anderen frühen Profiboxer konnten sich auf diese Weise behaupten. | |
Sie schlugen sich durch. Es waren Juden wie Mendoza, Iren, Schwarze, nicht | |
selten befreite Sklaven, und auch Frauen erkämpften sich so Anerkennung. | |
Mendoza schrieb 1789, nicht zufällig im Jahr der Französischen Revolution, | |
das Buch „The Art of Boxing“, um seiner Kampfkunst ein höheres Renommee zu | |
verschaffen. | |
## Boxen zeigt alles | |
Noch im 20. Jahrhundert, als es schon eine Profiboxindustrie gab, war es | |
genau dieser Sport, der zeigte, welche benachteiligte Sozialgruppe gerade | |
vor einem gesellschaftlichen Aufstieg stand: nämlich beinah immer die | |
Gruppe, die gerade das Gros der Weltmeister stellte: die Iren, die Juden, | |
die Italo- und Afroamerikaner, die Hispanics. Mittlerweile sind es | |
[5][Osteuropäer,] die am stärksten die Szene prägen. Was Sportverächter | |
wohl nie kapieren werden, ist, dass mit der gesellschaftlichen Diagnostik, | |
die das Profiboxen bereitstellt, die Soziologie kaum mithalten kann. | |
Fazit nach der ersten Runde: Boxen ist nicht schön, und zwar genau | |
deswegen, weil es alles zeigt. Alles, wirklich alles. Und erst am Ende | |
dieser ersten Linker-Haken-Kolumne merke ich, dass ich etwas über die | |
politische Bedeutung des Boxens geschrieben habe, ohne ein einziges Mal den | |
Namen „Muhammad Ali“ zu verwenden. Ha. Das kann ja heiter werden. | |
13 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /quotEr-war-eine-Offenbarungquot/!1395248/ | |
[2] /Roman-ueber-Olympia-in-der-Antike/!5983301 | |
[3] /!1506783/ | |
[4] /100-Jahre-Dada/!5271740 | |
[5] /Profiboxen-der-Maenner/!5804306 | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
## TAGS | |
Boxen | |
Tote beim Boxen | |
Schwergewicht | |
Kolumne Linker Haken | |
Kolumne Linker Haken | |
Kolumne Linker Haken | |
Kolumne Press-Schlag | |
Muhammad Ali | |
Boxen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Boxsport zur NS-Zeit: Die Arischen versohlen | |
Boxer und Sportjournalist Ludwig Haymann schrieb während der NS-Diktatur | |
eine Theorie des „arischen Faustkampfs“. Doch die Nazi-Boxpläne | |
scheiterten. | |
Tyson Fury Netflix-Serie: Im Namen der Söhne | |
Die Netflix-Soap „At Home with the Furys“ zeigt Boxstar Tyson Fury mit | |
seiner Familie. Schon die Namen seiner Söhne sagen viel übers Ego. | |
Box-Comeback von Wladimir Klitschko: Out of the Box | |
Einiges deutet darauf hin, dass der 48-jährige Ex-Weltmeister Klitschko in | |
Saudi-Arabien wieder im Boxring stehen wird. Okay, aber was will er dort? | |
Jubiläum Boxkampf Foreman vs. Ali: Rumble of the World | |
Vor 50 Jahren boxten Muhammad Ali und George Foreman im damaligen Zaire um | |
den WM-Titel im Schwergewicht. Ein historischer Kampf und eine Metapher. | |
Box-Spektakel in Riad: Meister der Welt | |
Der ukrainische Schwergewichtler Usyk boxt sich gegen Tyson Fury zum | |
Weltmeister der vier wichtigsten Verbände. Ein Sieg voller Symbolik. |