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# taz.de -- Tötung von Straßenhunden in der Türkei: Todesfalle Tierheim
> Die türkische Regierung verabschiedete ein Gesetz, das das Massentöten
> von Straßentieren erlaubt. Der Protest dagegen bringt die Menschen
> zusammen.
Bild: Protest von Tierschutzaktivist*innen vor dem Tierheim Ümraniye bei Istan…
Istanbul und Ümraniye taz | Es ist kalt. Regen und Wind ziehen durch die
Straßen, doch rund um eine Feuertonne haben sich um die 15 Menschen
versammelt. An der Skyline in der Ferne sind die Wolkenkratzer Istanbuls zu
erkennen. Die Gesichter der Menschen sind ernst, ihre Hände reiben sich
über dem aufsteigenden Rauch, ihre Augen sprechen von Erschöpfung, aber
auch von Entschlossenheit. Im Hintergrund hört man das laute Bellen der
Hunde. Ein Geräusch, das eigentlich normal wirken sollte. Doch nicht hier.
Hier löst es eine bedrückende Schwere aus – das Tierheim in Ümraniye, einer
Stadtgemeinde in Istanbul, ist der Schauplatz eines der größten
Tierschutzskandale der Türkei.
Auf dem Social-Media-Kanal Ümraniye Hayvan Haklari insiyatifi (Ümraniye
Tierrechtsinitiative) sind verstörende Aufnahmen vom Oktober zu sehen: tote
Katzen und Hunde, Blutlachen, in denen noch zum Teil lebende Tiere liegen,
und verfaulte Tierkadaver in Müllsäcken. Ümraniye ist neben Gebze und
Esenyurt eine von vielen Fronten, an denen Aktivist:innen seit Monaten
Widerstand gegen das [1][im Sommer eingeführte Tiertötungsgesetz] leisten.
Denn genau dieses Gesetz der AKP-Regierung erlaubt seit Juli die Tötung von
Straßentieren – vor allem von Hunden, die als aggressiv und besitzerlos
gelten.
In den Tierheimen wurde aber bereits vor der Verabschiedung des neuen
Gesetzes getötet, was gegen das bisherige Recht verstoßen hat. Dies war die
Befürchtung vieler Tierschutzaktivist:innen: Bislang waren die Zustände der
Tierheime intransparent, man hörte zwar, dass die Heime nicht die besten
Orte sind für die Tiere; aber dass dort systematisch über Jahre hinweg
getötet wurde, kam erst mit dem neuen Gesetz zum Vorschein.
So auch durch Özge Koçyiğit, sie setzt sich seit Jahren für den Tierschutz
ein und ist die Gründerin und Sprecherin der Ümraniye Tierrechtsinitiative.
„Wir haben über 300 Tiere da herausgeholt, die meisten davon waren leider
bereits tot“, sagt sie. Koçyiğit fällt sofort auf mit ihrer mal beigen, mal
roten Baskenmütze und ihren leuchtenden grünen Augen. Von ihren
Mitstreiter:innen wird sie geschätzt, sie sind dankbar, dass sie sich
um die Organisation kümmert und die Kommunikation mit der Polizei
übernimmt.
Ab und zu kommen Straßenhunde vorbei, die sich in der Nähe des Camps
aufhalten, einige lassen sich streicheln, andere sind ängstlich. Für viele
von ihnen konnten sie auch ein neues Zuhause finden, erzählt Koçyiğit mit
durchaus glücklicher Miene. Doch schlafen könne sie seit Langem nicht mehr
richtig. Jedes Mal, wenn sie die Augen schließe, müsse sie an die toten
Tiere denken, die kleinen Katzen, die ganz laut mauzten, als würden sie
nach Hilfe schreien, und die Hunde in den kleinen Zwingern, die nicht
bellten, sondern heulten.
Im Zuge der Annäherung an die EU im Jahr 2004 wird das Tierschutzgesetz
Paragraf 5199, Artikel 6, damals verabschiedet und sollte unter dem Slogan
„Sterilisieren, kastrieren und wieder aussetzen“ das Recht der Tiere
schützen. Entgegen dem Gesetz, das Gemeinden verpflichtet, Tierheime zu
errichten, sind nur 7 Prozent dieser Pflicht nachgekommen. Gelder für die
Tierheime wurden falsch genutzt, heißt es, aber wohin es geflossen ist,
weiß nur die Regierung. Von den 1.389 Gemeinden in der Türkei haben 1.200
kein Tierheim. Auch die gesetzlich vorgesehenen Sterilisierungskampagnen
wurden innerhalb von 20 Jahren nur schleppend umgesetzt.
Die regierende AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat dies im Sommer
zum Anlass genommen, um offiziell mit den streunenden Hunden radikal
„aufzuräumen“. Die Regierung versucht offenbar damit von ihrem eigenen
Versagen abzulenken. Die steigenden Preise im Land stimmen immer mehr
Menschen unzufrieden. Mit dem Versprechen der AKP, für sichere und saubere
Straßen zu sorgen, soll der Anschein erweckt werden, dass sie sich um das
Wohl der Menschen kümmert. Die Regierung argumentiert zudem, dass Hunde im
Islam als unrein gelten.
Nachdem Koçyiğit von den brutalen Vorfällen in Gebze hört, besucht sie
immer öfter das Tierheim in Ümraniye. In Gebze fanden die
Aktivist:innen etliche Hunde in Müllsäcken, betäubt und kurz davor, zu
ersticken. Einige hätten sich noch bewegt und versucht sich zu befreien.
Die Aktivist:innen retten die Hunde, doch sie kommen zu spät, die
meisten sterben. Koçyiğit befürchtet, dass sich in Ümraniye ähnliche
Szenarien abspielen.
Anfangs ließ man die Aktivist:innen bei einem Besuch nur in die
vorderen Bereiche des Heims. Dort sah alles gut aus. Doch die hinteren
Bereiche blieben ihnen verschlossen. Nach langem Drängen schafften sie es
schließlich, Zugang zu bekommen. Was sie vorfanden, waren lebensunwürdige
Zustände. Die Aufnahmen, die Koçyiğit davon gemacht hat, sind verstörend:
tote Katzen und Hunde in Käfigen, Tierkadaver unter den Hütten, lebende
Tiere mit Würmern auf den Gesichtern, verdreckte, feuchte und dunkle Räume
ohne Fenster, ohne Wasser und mit Futter, dessen Haltbarkeit abgelaufen
war.
Sie spielt ein weiteres Video ab, in dem man sie schreien hört: „Da liegt
eine tote Katze, sie ist tot! So kümmert ihr euch um die Tiere?“ Sie stoppt
das Video, holt tief Luft, wischt sich die Tränen vom Gesicht und legt ein
fast unsichtbares Lächeln auf. Die Bilder und Videos postet Koçyiğit auf
dem Instagram-Kanal, doch das Tierheim streitet alles ab. „Photoshop“,
heißt es. Die toten Tiere, so behaupten sie, hätten die Aktivist:innen
selbst dort platziert.
Auch Çiğdem Kurt ist unter den Aktivist:innen in Ümranyie. Sie ist
Dozentin an einer renommierten Universität in Istanbul, Mutter von zwei
Kindern, und seit dem Sommer Teil der Tierrechtsbewegung. Im Mai bekommt
sie eine Nachricht mit einem Link zu einer Petition gegen das neue
Tiertötungsgesetz, welches die Große Nationalversammlung der Türkei, also
das Parlament in Ankara, verabschieden will. „Als ich diesen Link sah,
dachte ich, das sind Fake News. So schnell vor den Sommerferien wird das
Parlament bestimmt keine Gesetze mehr verabschieden und nirgends kam dies
in den Medien vor“, erinnert sie sich.
Doch aus dem Link wird Realität: „Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal
für Tierrechte auf die Straße gehen muss“, sagt Kurt. Sie wirkt erschöpft
und doch hat sie einen wütenden Unterton in ihrer Stimme. Sie streicht sich
immer wieder eine schwarze Strähne aus ihrem Gesicht: „Jetzt, wo es dieses
Gesetz nicht mehr gibt, kommen die wirklichen Zustände ans Licht, in den
Tierheimen haben sie bereits seit Jahren gemordet und das Gesetz
missachtet“, erklärt die Aktivistin.
Im ganzen Land versammeln sich Tierschutzorganisationen und
-aktivist:innen, um zu protestieren. Bis ein Abgeordneter der Opposition
eine Information an die Aktivistin weitergibt: „Das Gesetz wird auf jeden
Fall noch im Juli verabschiedet“, heißt es. Es kommt zu mehreren großen
Protesten, die größte findet in Ankara statt. Und Kurt befindet sich auf
einmal mittendrin. Der AKP-Regierung geht es darum, das Gesetz so schnell
wie möglich umzusetzen, doch mit so vielen protestierenden Menschen hatte
sie nicht gerechnet. Erdoğan wiederum kriminalisiert die Protestierenden,
wie er es auch damals mit den Gezi-Demonstranten tat, und sagt: „Wir werden
nicht zulassen, dass drei bis fünf Randfiguren das Parlament lahmlegen,
indem sie Unruhe stiften. Wir werden keine Kompromisse eingehen, wir werden
diese Arbeit beenden.“
Doch vor dem Parlament hallt es trotzdem laut: „Ihr könnt nicht einsammeln,
nicht einsperren, nicht töten.“ Es sind nicht nur Aktivist:innen aus
dem ganzen Land angereist, auch ganz normale Bürger:innen aus kleinen
Städten und Dörfern, auch AKP-Wähler:innen befinden sich unter ihnen, die
diese Politik nicht mehr unterstützen möchten. Anwälte sind ebenfalls vor
Ort, die das Gesetz kritisieren. Sie werden von der Polizei festgenommen
und abgeführt.
„Es war gruselig, traurig und doch so empowernd zu sehen, wie viele
Menschen mit unterschiedlichen politischen Meinungen bei diesem einen Thema
zusammengefunden haben“, erzählt Kurt. Für die Menschen, die aus allen
Ecken der Türkei nach Ankara angereist sind, geht es um weit mehr als nur
das Tiertötungsgesetz. Zum einen gibt es eine mehrheitliche Angst davor,
dass sich die Gewalt gegen Tiere auch gegen andere Ziele, zum Beispiel
gegen die LGBTQ-Community, richten könnte. Sie passen nämlich genauso wenig
in das selbstinterpretierte religiöse Bild der Regierung. Zum anderen haben
sie inzwischen nach über 20 Jahren AKP kein Vertrauen mehr in die Justiz.
Eine Aktivistin in Ümraniye, die anonym bleiben möchte, sagt: „Frauen,
Kinder und Tiere haben in diesem Land keine Rechte, und wenn wir nicht
endlich etwas gegen diese Regierung tun, dann überlassen wir dieses Land
korrupten Verbrechern.“ Sie nehme eine mehrheitliche Wut auf die Regierung
wahr, die inzwischen wohl auch von AKP-Wähler:innen selbst ertönt: „Was
kann man denn von so einer Regierung, die das Töten als Lösung für alles
sieht, überhaupt noch erwarten?“, fragt sie rhetorisch und redet weiter:
„Eine Regierung, die einfach so über Nacht aus der Istanbul-Konvention
austritt, eine Regierung, die den Islam politisiert und als Instrument
benutzt, eine Regierung, die zuschaut, wie kleine Mädchen verheiratet,
vergewaltigt, ja ermordet werden und wie Frauen tagtäglich sterben müssen.“
Viele der Aktivist:innen nicken zustimmend. „Und das ist erst einmal
der Anfang“, sagt sie in voller Rage, während sie Holz in die Feuertonne
wirft. Es regnet, ein Pavillon ist aufgestellt. Der Pavillon wurde anfangs
von der Polizei nicht erlaubt. Die Polizei ist genauso, wie die
Aktivist:innen rund um die Uhr in Ümraniye, sie sind in Zivil und
sitzen direkt gegenüber dem Camp. Sie würden das Tierheim und auch die
Aktivist:innen schützen, heißt es. Die Aktivistin jedoch vertraut der
Polizei nicht und glaubt nicht, dass sie wirklich zu ihrem Schutz da ist.
Sie ist der festen Überzeugung, dass die Regierung Angst habe, die
Kontrolle zu verlieren, schließlich habe [2][Gezi] auch nur mit einem Zelt
angefangen. Andere wiederum sind froh über die Anwesenheit der Polizei, da
sie bereits angegriffen worden seien.
Özge Koçyiğit und ihre Genoss:innen fordern die Verurteilung der
Verantwortlichen. Sie dokumentieren akribisch die Zustände der Tiere im
Heim mit Fotos und Videos und teilen diese auch zum Großteil auf Instagram.
Auf die Frage was damit denn passieren solle, antwortet Koçyiğit: „Sie
haben bereits getötet, bevor das Gesetz überhaupt umgesetzt wurde. Sie
haben sich strafbar gemacht.“ Deshalb hätten sie Beschwerde gegen die
Tierheime und die Verantwortlichen in Gebze und Ümraniye eingereicht. „Die
Leute, die diese grauenhaften Taten verbrochen haben, arbeiten noch immer
hier. Wir fordern die Verurteilung dieser Mörder“, sagt sie.
Auf die Nachfrage, wie hoch sie ihre Erfolgschancen einschätzten, lachen
die meisten nur müde. Ob sie eine Chance haben, das können sie nicht sagen,
aber die Beweise liegen vor. Und sie hoffen, dass diese irgendwie beim
Verfassungsgericht Grund genug sein werden, damit das Gesetz zurückgezogen
wird. Die Oppositionspartei CHP hat bereits gegen das Gesetz geklagt. Wann
es zu einer Entscheidung, geschweige denn überhaupt zu einem Prozess kommt,
ist ungewiss.
Vor dem Tierheim zäunen Polizei und Ordnungsamt den Eingang ab, die
Besuchszeit ist zwar von 14 bis 16 Uhr, doch sie lassen niemanden rein, der
auf sie verdächtig wirkt. Auf Nachfrage bei der Polizei, ob man das Gelände
des Tierheims betreten dürfe, lautet die Antwort des verantwortlichen
Beamten: „Ich kann Ihnen versichern, dass sich der Zustand und vor allem
die Hygiene des Tierheims verbessert hat.“ Er zeigt auf die blauen
Container auf dem Gelände des Tierheims und erklärt: „Dort befinden sich
das Futter und die Medizin, die sind haltbar bis 2026. Das haben wir den
Aktivisten hier zu verdanken. Der Druck, den sie auslösen, funktioniert.“
Auf das Gelände darf man trotzdem nicht, angeblich weil keiner der
Verantwortlichen vor Ort sei, mit dem man sprechen könnte.
Seit mehr als 80 Tagen sind Koçyiğit und ihre Mitstreiter:innen nun Tag
und Nacht vor Ort im Widerstand. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht,
vorbeikommende Leute aufzuklären und sie davon abhalten, Tiere im Heim
abzugeben. Etwa einen älteren Herrn, der mit einem weißen Hund in Richtung
Tierheim geht. Zunächst beachtet er die Aktivist:innen nicht, schaut
sie nur aus den Augenwinkeln an. Einer der Aktivisten stoppt ihn und
informiert ihn über die Zustände des Tierheims. Der reagiert schockiert und
fassungslos und will seinen geliebten Hund unter keinen Umständen dort
zurücklassen. Doch selbst könne er nicht mehr auf ihn aufpassen, er sei zu
alt.
Aktivist:innen nehmen den Hund entgegen, sie werden versuchen ihn über
soziale Plattformen zu vermitteln. Wenn das nicht gelingt, wird er an ein
besser organisiertes Tierheim gegeben. Kurt erzählt, dass dies nicht zum
ersten Mal passiere. Die meisten Menschen, die das Tierheim aufsuchen
wollten, wüssten nichts von den Zuständen oder von dem Tiertötungsgesetz.
So wie der Herr mit dem weißen Hund, der keine Nachrichten mehr schaue: „Es
ist ja immer das Gleiche hier, besser wird es nicht“, sagt er.
## Erdogans AKP verspricht saubere Straßen
Die AKP-Regierung hält derweil an ihrem Gesetz fest und verspricht saubere
und sichere Straßen bis 2028, „so wie in Europa“. Laut den Angaben der
Regierung gebe es vier Millionen Straßenhunde in der Türkei und das Gesetz
erlaubt die Tötung von Straßentieren, wenn die Population überhandnehme.
Doch Belege für die vier Millionen gibt es keine.
Die Journalistin Zülâl Kalkandelen befasst sich seit Jahren mit dem
Tierrecht und schreibt in einem Artikel für die Zeitung Cumhuriyet vom Juli
2024, dass die Kapazität der Tierschutzzentren derzeit 105.000 Tiere
betrage. Kalkandelen kritisiert auch, dass die Regierung durch den Bau von
Tierheimen wirtschaftliche Vorteile anstreben könnte, etwa indem sie durch
öffentliche Ausschreibungen Unternehmen bevorzugt, die ihr nahestehen, und
dabei Gelder aus diesen Projekten abschöpft. Gleichzeitig könnte der Bau
von Tierheimen als Vorwand dienen, um Wälder für Bauprojekte freizugeben.
In Ümraniye sitzt Kalkandelen mit am Feuer, komplett schwarz angezogen, ein
Hut bedeckt ihre Haare, nur ihr streng geschnittener Pony sticht hervor.
Das einzig Helle an ihrem Outfit sind die weißen Pferdemotive auf ihrem
schwarzen Schal. Sie erzählt von ihren langjährigen Recherchen, davon, dass
sich in den letzten 20 Jahren in den Tierheimen ein systematisches Töten
etabliert habe, wie man es auch in Ümraniye und Gebze sehen kann. Seit
Jahren habe sie vor genau diesen Zuständen gewarnt. Denn schon 2020 sei dem
Tiertötungsgesetz bereits der Weg geebnet worden, erzählt sie. Dies kann
man offiziellen Social-Media-Kanälen der Regierung entnehmen, sie listen
Statistiken über Hundebisse auf und propagieren die Maßnahme als
Sicherheitsvorkehrung. Wie der Instagram-Kanal Güvenli Sokaklar Derneği
(Sichere Straßen e. V.), die seit 2022 die Angriffe von aggressiven Hunden
posten und dokumentieren.
Çiğdem Kurt spricht von einer Propaganda der AKP-Regierung, die bereits vor
Jahren angefangen hat: „Es gibt die Nachricht, Tollwut hätte sich im ganzen
Land verbreitet, doch wenn man sich genau informiert, dann stellt man
schnell fest, dass es sich hierbei um fünf bis zehn Fälle handelt. Und
dabei ist auch zu beachten, dass es um Verletzungen von Wildtieren geht und
nicht von Straßenhunden“, erklärt Kurt. Auch Zülâl Kalkandelen spricht von
einer einseitigen Berichterstattung. Dass es Angriffe von streunenden
Hunden oder Katzen gebe, bestreiten beide nicht. Aber sie argumentieren
damit, dass die meisten Straßentiere einst Haustiere gewesen und, aus
welchen Gründen auch immer, ausgesetzt worden seien. Kurz: Sie sind keine
Wildtiere.
## Tötung aller „aggressiven Hunde“
Am 23. Dezember 2021 zum Beispiel kommt es im südostanatolischen Gaziantep
zu einem Angriff auf einen Mann durch einen Hund. Daraufhin verordnet
Präsident Erdoğan im ganzen Land die Tötung von allen „aggressiven Hunden�…
Die Verbände der Tierärzt:nnen und Tierschützer:innen machen zu diesem
Zeitpunkt auf das damals bestehende Tierschutzgesetz aufmerksam und
erklären, dass sie diese Anweisung nicht ausführen werden, da sie sonst
gegen das Gesetz verstoßen würden. Daraufhin heißt es von Erdoğan, dass
sich das Gesetz bald ändern werde und es aus diesem Grund legitim sei,
berichtet die Journalistin Kalkandelen.
In der ganzen Türkei organisieren sich die Aktivist:innen inzwischen
immer mehr und gestatten den Tierheimen unangekündigte Besuche ab. Die
meisten werden wegen Hausfriedensbruchs angezeigt. Gegen einige von ihnen
wurden bereits Gefängnisstrafen von bis zu zwei Jahren verhängt. Viele
Aktivist:innen sind verstört von den lebensunwürdigen Zuständen, doch
sie geben den Tieren eine Stimme: „Sie können sich nicht verteidigen, nicht
sprechen, aber wir schon. Wir haben nichts mehr zu verlieren“, sagt einer
der Aktivisten aus Gebze, der anonym bleiben möchte. Das Ziel der
Aktivist:innen ist, dass das Verfassungsgericht dieses Gesetz
zurückzieht. Um weiterhin Druck auszuüben, gehen die Aktivisten täglich auf
die Straße und verteilen Flyer und klären die Leute auf.
Trotz der Kälte und des scheinbar endlosen Kampfes geben Çiğdem Kurt, Özge
Koçyiğit und ihre Mitstreiter:innen nicht auf. „Direne, direne,
kazanacağiz“ – nur durch Widerstand werden wir gewinnen, rufen sie am Ende
eines jeden Tages, einige halten die Fäuste in die Luft. „Uns erwarten noch
viel schlimmere Tage. Doch unsere Hoffnung ist das Letzte, was uns bleibt,
und die kann uns niemand nehmen“, sagt Kurt mit fester Stimme. Der Kampf um
die Rechte der Tiere ist für sie längst zu einem Kampf um die Seele der
türkischen Gesellschaft geworden.
9 Jan 2025
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## AUTOREN
Derya Türkmen
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