# taz.de -- Bundestagswahl am 23. Februar: An der Wählerschaft vorbei | |
> SPD und CDU haben ihre Listen für die Bundestagswahl im Februar | |
> aufgestellt – und dabei wenig nachvollziehbare Personalentscheidungen | |
> getroffen. | |
Bild: Rückenwind könnte die SPD derzeit gut gebrauchen – ihre jüngsten Per… | |
Über die sogenannte Politikverdrossenheit ist oft zu lesen, sie sei | |
eigentlich eine Parteienverdrossenheit. Dass das durchaus nicht falsch ist | |
und seinen Grund hat – nämlich zu viel Beschäftigung der Parteien mit sich | |
selbst –, ließ sich jetzt wieder gut bei SPD und CDU beobachten. Bei der | |
Aufstellung ihrer Kandidatenlisten für die Bundestagswahl am 23. Februar | |
herrschte viel Binnensicht und wenig Blick für die Außenwirkung der | |
Nominierungen. | |
Denn was hat die SPD am Mittwochabend gemacht? Sie hat einen zwar nicht bei | |
allen beliebten, aber zumindest bekannten Spitzenkandidaten von 2021 vom | |
ersten Listenplatz abgezogen. Wer auf diesem Platz steht, vertritt die | |
Partei in den bestbesetzten Talk-Runden auf Landesebene und steht auf dem | |
Wahlzettel gleich neben dem Kreis, den es bei der SPD anzukreuzen gilt. | |
Eine vage Erinnerung an diesen Namen kann durchaus helfen, dass da | |
tatsächlich ein Kreuz hinkommt. | |
Gut, könnte man meinen, die SPD wollte es ja zumindest teilweise den Grünen | |
gleichtun und dauerhaft eine Frau an die Spitze setzen – was in den | |
vergangenen Jahrzehnten bloß zweimal gelang, 2013 und 2017. Das wäre dann | |
zumindest eine nach außen vermittelbare Erklärung gewesen, warum die | |
Berliner SPD an der Spitze auf eines ihrer mutmaßlich weiterhin | |
bekanntesten Gesichter verzichtet, [1][den früheren Regierenden | |
Bürgermeister Michael Müller]. | |
Doch so ist es ja nicht. Die SPD ersetzt Müller durch einen über seinen | |
Wahlkreis hinaus kaum bekannten Kandidaten aus Steglitz-Zehlendorf: Ruppert | |
Stüwe, 2021 auf Platz 6 der Landesliste. Ob der sich in den vergangenen | |
drei Jahren im Bundestag besser oder schlechter als Müller machte, ist gar | |
nicht die Frage. Entscheidend ist, wessen Bekanntheit mehr unentschlossene | |
Wähler zum Kreuz bei der SPD motivieren kann. Da kann man mit Inhalten und | |
Positionen argumentieren, die im Bundestag zu vertreten seien – aber dort | |
muss die SPD erstmal ausreichend Sitze haben, die es nur über | |
Stimmengewinne gibt. | |
## Keine überzeugende Botschaft | |
Aber das sei doch eine klare Botschaft, hört man aus der SPD: Man ersetze | |
einen zum konservativen Flügel der Fraktion gewanderten Müller durch einen | |
Kandidaten mit deutlich linkerer Prägung. Aha. Wer weiß davon [2][außerhalb | |
der 114 Abteilungen] der Berlin-SPD, die überall sonst in Deutschland | |
Ortsvereine heißen? Neben ein paar Journalisten mutmaßlich noch ein paar | |
tausend politisch Interessierte. Nicht gerade eine relevante Größe bei 2,5 | |
Millionen Berliner Wahlberechtigten – und damit wahlstrategisch irrelevant. | |
Grund genug also, entweder auf einen solchen Tausch zu verzichten oder eine | |
Frau an die Spitze zu setzen und das offensiv zu vermarkten – gerade bei | |
Wählerinnen, die zwischen CDU und SPD schwanken. Denn unter denen, das | |
zeigen Befragungen immer wieder, gibt es auch bei inhaltlicher Nähe zur CDU | |
durchaus Unbehagen gegenüber dem Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz | |
und seinem von Männern dominierten engsten Kreis. | |
Die SPD kann bloß froh sein, dass die CDU genauso wenig über ihren | |
innerparteilichen Tellerrand zu schauen scheint. Denn was hat die in der | |
vergangenen Woche bei ihrer Listenaufstellung gemacht? Sie hat [3][zum | |
ersten Mal seit 2002 keine Frau mehr auf den Spitzenplatz] gesetzt – | |
Generalsekretärin Ottilie Klein rangiert erst auf Platz 2, nachdem Monika | |
Grütters fünf Mal in Folge Spitzenkandidatin war. | |
Gerade angesichts des Merz'schen Frauenproblems läge doch nichts näher, als | |
dieses mit einer Frau zumindest an der Spitze der Berliner Landesliste | |
aufzufangen. Natürlich sind in Berlin nur rund 5 Prozent aller | |
Wählerstimmen bundesweit zu gewinnen. Aber wenn es knapp wird, können am | |
Ende auch ein paar Zehntel Prozentpunkte bedeutsam sein. Keine | |
Spitzenkandidatin mehr zu haben, ist daher wenig nachvollziehbar. | |
## Verwirrung bei CDU-Haltung zu Mietpreisbremse | |
Doch nicht allein das lässt am Weitblick der CDU zweifeln. Denn der Mann, | |
den sie stattdessen zum Spitzenkandidaten gemacht hat, Jan-Marco Luczak, | |
ist unter all ihren vorderen Kandidaten der angreifbarste. Dass er eine Art | |
rotes Tuch für Mieterschützer ist, ist zwar weder unzulässig noch strafbar. | |
Aber es ist eine unnötige Provokation – und mit Vermieterstimmen allein | |
lässt sich keine Wahl gewinnen. | |
Das gilt umso mehr, als CDU-Landeschef Kai Wegner schon vor seiner Wahl ins | |
Rote Rathaus auf mehr Mieterschutz setzte und auch im Senat einen anderen | |
Weg verfolgt als Luczak. Erst am Dienstag beschloss die schwarz-rote | |
Landesregierung, einer Bundesratsinitiative zur Verlängerung der | |
Mietpreisbremse beizutreten, als bisher einziges CDU-geführtes Bundesland. | |
Fast zeitgleich den Mietpreisbremsen-Kritiker Luczak an eine derart | |
exponierte Stelle zu rücken, konterkariert das – und verwirrt zumindest | |
die, die sich dafür interessieren. | |
Erklärbar ist das bei SPD wie CDU bloß mit einer reinen Binnenperspektive | |
und innerparteilichen Abhängigkeiten. Die viel zitierte Bürgernähe und ein | |
Gefühl dafür, was die Wählerschaft tatsächlich zur Wahlurne und zum Votum | |
für die eigene Partei bringen könnte, sähe anders aus. | |
21 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Abgang-von-Regierungschef-Mueller/!5820785 | |
[2] https://spd.berlin/mitglieder/wegweiser-neue-mitglieder/ | |
[3] /Bundestagswahl-am-23-Februar/!6056240 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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