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# taz.de -- Polizeigewalt gegen Geflüchtete: An der Hamburger Hafenkante sitzt…
> Anwohner*innen St. Paulis fürchten, dass es im Konflikt mit der
> Polizei bald Tote gibt. Schwarze Menschen in psychischen Krisen seien
> bedroht.
Bild: Dienstwaffe bleibt nicht im Holster: In der Hafenstraße erreichen Einsä…
Hamburg taz | Lamin Touray in Hannover, Mouhamad Dramé in Dortmund – die
Namen stehen schmerzhaft dafür, wie schnell eine psychische
Ausnahmesituation in Konfrontation mit der Polizei zum Tod führen kann. Vor
allem, wenn die betroffene Person schwarz ist.
In Hamburg-St. Pauli fürchten Anwohner*innen, dass es vor Ort zu einem
ähnlichen Fall kommen könnte. In den vergangenen sechs Monaten setzte die
„[1][Task Force Drogen]“ dort zwei mal Schusswaffen ein. Die Sondereinheit
der Polizei verfolgt seit 2016 schwarze Geflüchtete im Bereich der
Hafenstraße wegen potenziellen Handelns mit Betäubungsmitteln. Regelmäßig
kommt es zu gewaltvollen Einsätzen wegen des Verkaufs von Kleinstmengen
Marihuana und anderen Drogen. „In letzter Zeit werden die Einsätze immer
gefährlicher“, sagt eine Anwohnerin der taz. Mit dem Schusswaffeneinsatz
sei eine neue Eskalationsstufe erreicht.
So habe bei einer Situation im Juni vielleicht nur die Intervention der
Anwohner*innen dafür gesorgt, dass es keinen Toten gab. Eine Anwohnerin
schildert die Situation gegenüber der taz so: „Wir saßen abends auf dem
Sofa und sahen einen Film, als wir von draußen Geschrei hörten.“ Vom
Fenster aus hätte sie und ihre Mitbewohner*innen gesehen, wie mehrere
Polizist*innen am Zaun eines Hinterhofs ihre Pistolen auf einen
geflüchteten Obdachlosen richteten. Der Mann hatte wohl bis vor wenigen
Minuten Essen zubereitet – neben ihm lag ein Brett mit geschnittenem
Knoblauch, in der Hand hielt er zwei Küchenmesser.
## Aufgebrachter Mann im Hinterhof
Auf einem Video, das eine der Mitbewohner*innen filmte, sieht man, wie
der aufgebrachte Mann im Hinterhof vor und zurück läuft, mit einer weißen
Plane fuchtelt und die Polizist*innen anschreit, sie sollten weggehen.
„Wir hörten ein Klicken“, berichtet die Anwohnerin. „Mir war klar: Ein
Polizist hat seine Waffe entsichert. Wenn wir nichts unternehmen, gibt es
gleich einen Toten.“ Sie sei in den Garten gerannt und habe versucht, die
Person gegenüber den Polizist*innen abzuschirmen. Auf dem Video ist zu
sehen, wie sie versucht, den aufgebrachten Mann zu beruhigen.
„Die Person war offenbar in einer akuten psychischen Krise, schrie und
schimpfte“, sagt die Anwohnerin. In der einen Hand habe der Geflüchtete
zunächst die weiße Plane gehabt, dann das Brett mit dem geschnittenen
Knoblauch darauf, in der anderen Hand zwei Küchenmesser. Auf dem Video hört
man, wie der Mann ruft „I was cooking food!“ (auf deutsch: Ich habe
gekocht).
Innerhalb weniger Minuten seien mehrere Nachbar*innen dazu gekommen und
hätten versucht, den Mann dazu zu bewegen, die Messer wegzulegen und sich
weiter von der Polizei zu entfernen. „Als er sich soweit beruhigt hatte und
die Messer weglegte, merkte ich, dass Pfefferspray in der Luft lag“, sagt
die Anwohnerin. Der Betroffene hatte wohl eine größere Ladung abbekommen,
er spülte sich Gesicht und Augen aus.
Kriminolog*innen weisen immer wieder daraufhin, dass der Einsatz von
Pfefferspray oder Teasern bei psychisch kranken Menschen [2][nicht die
gleiche Reaktion hervorruft wie bei gesunden]. Anstatt die Person außer
Gefecht zu setzen, verstärkt das Reizgas oder der Elektroschock oft Ängste
und Aggressionen. Im schlimmsten Fall kann das zu Herzversagen führen.
Auf dem Video sieht man, wie Anwohner*innen immer wieder auf die
Polizist*innen mit ihren gezückten Schusswaffen zugehen und mit ihnen
reden. „Wir haben ruhig und pädagogisch erklärt, dass der Mann keine
Bedrohung darstellt und sie ihre Waffen herunternehmen sollen“, sagt die
Anwohnerin. „Und dass sie die Situation nur weiter eskalieren, wenn sie so
laut und bedrohlich auftreten.“
Doch die Beamt*innen seien extrem aufgebracht gewesen und hätten
gerufen, dass sie sofort Zugriff bräuchten. „Wir schlugen vor, dass sie den
sozial-psychiatrischen Dienst oder einen Krankenwagen rufen“, sagt die
Anwohnerin. Die Polizist*innen hätte stattdessen Verstärkung gerufen
und das Haus umstellt. Auch drei knurrende und winselnde Polizeihunde seien
dazu geholt worden. „Es war fast ein Wunder, dass nichts Schlimmeres
passiert ist“, sagt die Anwohnerin.
Bundesweit sind im Jahr 2024 17 Menschen durch Polizeischüsse getötet
worden – [3][so viele wie seit 1999 nicht mehr]. Drei Viertel der Opfer
waren psychisch krankt, viele von ihnen zudem von Rassismus, Armut,
Obdachlosigkeit oder Drogenabhängigkeit betroffen. Expert*innen
kritisieren immer wieder die mangelhafte Fähigkeit von Polizist*innen,
gegenüber Menschen in psychischen Krisensituationen deeskalierend
aufzutreten.
Zu der Situation am 6. Juni im Hinterhof antwortet der Senat auf eine
Kleine Anfrage der Linksfraktion: „Die Dynamik der Einsatzlage ließ ein
unmittelbares Hinzuziehen von psychologischem Fachpersonal nicht zu.“ Die
Polizist*innen hätten zuvor einen Handel mit Betäubungsmitteln
beobachtet, nach dem eine Person in den Hinterhof geflüchtet sei. Der
Tatverdächtige habe zwei Küchenmesser in den Händen gehalten und sich
bedrohlich auf die Polizei zu bewegt, woraufhin ein Polizist zur
Eigensicherung seine Dienstwaffe gezogen habe. Später sei der Zentrale
Zuführdienst des Bezirks involviert worden, sagt ein Polizeisprecher auf
Nachfrage. Der Zuführdienst ist für die Zwangseinweisung von psychisch
kranken Menschen zuständig, die eine Gefahr für sich oder andere
darstellen.
## Auf dem Boden fixiert
Für die Situation vor Ort sei das zu spät gewesen, meint die Anwohnerin.
Als sich der Betroffene schließlich mit erhobenen Händen selbst
ausgeliefert habe, hätten die Polizist*innen ihn auf dem Boden fixiert.
Dann hätten sie ihn verhaftet und abgeführt. Am nächsten Tag sei die Person
wieder da gewesen. „Die Polizei schafft hier im Viertel keine Sicherheit,
sondern eher das Gegenteil, insbesondere für Schwarze Menschen und für
Menschen in psychischen Krisen“, so die Anwohnerin.
Wenige Wochen später sei es erneut eskaliert, als Zivilpolizist*innen
gewaltsam eine schwarze Person festgenommen hätten. Als Anwohner*innen
dazu kamen, habe ein Polizist die Waffe auf sie gerichtet.
23 Dec 2024
## LINKS
[1] /Strafverfolgung-von-Kleindealern/!5998990
[2] /Kriminologe-ueber-Polizeischuesse/!6000538
[3] /Die-Polizei-hat-2024-so-viele-Menschen-erschossen-wie-seit-1999-nicht-mehr…
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
Tödliche Polizeischüsse
Racial Profiling
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
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Geflüchtete
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