| # taz.de -- Altkleider-Recycling: Alte Kleider, viele Probleme | |
| > Auch beschädigte Kleidung darf seit Jahresanfang nicht mehr im Hausmüll | |
| > entsorgt werden. Doch die neue EU-Regel im Sinne des Umweltschutzes hat | |
| > Tücken. | |
| Bild: Von brauchbar bis Müll: In den Sammelcontainern kann man vieles finden | |
| Berlin taz | Mehr als eine Milliarde Kleidungsstücke in Deutschland werden | |
| seltener als alle drei Monate getragen, knapp eine Milliarde so gut wie | |
| nie: Nach [1][Erhebungen von Greenpeace] besitzt jeder Erwachsene | |
| hierzulande durchschnittlich 95 Kleidungsstücke – Socken und Unterwäsche | |
| nicht mitgerechnet. Und es werden täglich mehr: Statistiken zufolge kauft | |
| der Deutsche durchschnittlich 60 Kleidungsstücke im Jahr. Um Platz im | |
| Schrank zu schaffen, fliegt der alte Plunder auf den Müll – allein in | |
| Deutschland 1,3 Millionen Tonnen Kleidung jährlich. Und in aller Regel | |
| werden die Stücke verbrannt: Über die Altkleiderbox recycelt werden in | |
| Deutschland nur ein Viertel der Stoffe – meist werden sie zu Putzlappen | |
| oder Dämmstoff. | |
| Doch damit soll nun Schluss sein. Seit Jahresanfang dürfen keine | |
| Alttextilien mehr im Hausmüll entsorgt werden, auch nicht, wenn sie kaputt | |
| sind. Es gilt die Altkleiderverordnung der EU, wie sie umgangssprachlich | |
| heißt. „Die korrekte Bezeichnung bezieht sich auf die Vorgaben [2][der | |
| Abfallrahmenrichtlinie der EU], welche durch das Kreislaufwirtschaftsgesetz | |
| in nationales Recht umgesetzt wurde“, erklärt Dirk Böttner-Langolf, | |
| Sprecher des Bundesverbandes der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und | |
| Kreislaufwirtschaft. „Diese Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten | |
| dazu, bis zum 1. Januar 2025 ein System zur getrennten Sammlung von | |
| Alttextilien und Textilabfällen einzuführen.“ Auch Bettwäsche, Vorhänge, | |
| Handtücher und Teppiche sollen davon erfasst werden. Ziel ist, die Fasern | |
| wiederzuverwenden. | |
| Allerdings hat das neue System einige Haken: Erstens gibt es für viele | |
| Stoffe noch gar kein Recyclingverfahren. Zweitens bestehen Stoffe selten | |
| aus nur einer Faser, oft handelt es sich um ein Gemisch aus Baumwolle, | |
| Acryl, Viskose, Elastan. Wie auch bei Kunststoff oder Baustoffabfällen ist | |
| es kompliziert, Mischungen zu recyceln. Drittens werden die Altkleider | |
| nicht sortenrein gesammelt, sie müssen erst getrennt werden. | |
| „In der Regel geschieht das manuell“, sagt Hannah Lorösch, die beim | |
| Öko-Institut Freiburg zu nachhaltigem Konsum forscht. Sprich: Menschen | |
| sortieren die Altkleider in „noch brauchbar“ und „nicht mehr brauchbar“. | |
| „Dann gibt es Infrarotverfahren, mit denen bestimmte Fasern aussortiert | |
| werden können.“ Allerdings seien diese nur bis zu einer Reinheit von etwa 8 | |
| Prozent genau, aus einer alten Leinenhose lasse sich deshalb keine neue | |
| Leinenmütze machen. „Das Problem ist aber gar nicht die Sortierung: Es ist | |
| die Verwertung“, sagt Lorösch: Derzeit gebe es mehr recyceltes | |
| Stoffmaterial, als von der Industrie nachgefragt wird. | |
| ## Neue Produkte sollen leichter recyclebar sein | |
| „Mit der Neuregelung sind Hersteller und Produzenten angehalten, ihre | |
| Produkte so zu gestalten, dass sie am Ende ihres Lebenszyklus leichter | |
| recycelt werden können“, sagt Verbandssprecher Dirk Böttner-Langolf. Das | |
| umfasse die Auswahl geeigneter Materialien und des Designs, die das | |
| Recycling erleichtern. Aber auch die Entsorgungs- und Recyclingunternehmen | |
| seien gefragt: „Sie müssen Technologien und Prozesse entwickeln, um die | |
| gesammelten Textilabfälle effizient zu sortieren und in den | |
| Produktionskreislauf zurückzuführen.“ | |
| Die derzeitigen Kleidercontainer werden von Betreibern unterhalten, die | |
| alte Kleidung wieder in Verkehr bringen wollen – als „Vintage“-Ware, | |
| „Zweite Hand“ oder außerhalb der EU. Deshalb haben diese Betreiber Sorge, | |
| dass jetzt alle abgetragenen Stoffe bei ihnen landen. „Bitte nicht“, sagte | |
| Thomas Ahlmann, Geschäftsführer von FairWertung, des Verbands | |
| gemeinnütziger Sammelstellen, dem ZDF. „Das würde das System zum Einsturz | |
| bringen.“ Der Verband spricht [3][von „Kleiderspende“] – es geht ihm al… | |
| nicht um das Recyceln von Stoffen, sondern um die Wiederverwertung von | |
| Kleidung. | |
| „Das Sammelsystem ist in Deutschland – verglichen mit anderen europäischen | |
| Staaten – schon ganz gut“, urteilt Hannah Lorösch vom Öko-Institut. | |
| Trotzdem müssen auch hierzulande neue Sammelsysteme etabliert werden. | |
| „Erfahrungsgemäß kann das zwischen 12 und 36 Monate dauern“, sagt | |
| Verbandssprecher Böttner-Langolf. Solange dieses System noch fehlt, sollten | |
| Verbraucher das Entsorgungsverbot im Hausmüll noch nicht wörtlich nehmen, | |
| raten Verbraucherschützer. Philip Heldt, Experte der | |
| NRW-Verbraucherzentrale: „Sonst können auch die anderen, noch verwertbaren | |
| Textilien in der Sammlung unbrauchbar werden“. | |
| Aktuell wird in den Mitgliedsstaaten nur 1 Prozent der Altkleidung | |
| recycelt. Dabei verschmutzt die Textilindustrie wie kaum eine andere | |
| Branche die Umwelt. Sie verursacht mehr Treibhausgase als der | |
| internationale Flug- und Schiffsverkehr zusammen, verpestet die Natur mit | |
| Mikroplastik aus synthetischen Fasern und ist für 20 Prozent der | |
| Wasserverschmutzung verantwortlich. Um ein Baumwoll-T-Shirt herzustellen, | |
| sind 2.700 Liter Süßwasser erforderlich – so viel, wie ein Mensch in 2,5 | |
| Jahren trinkt. | |
| 10 Jan 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.greenpeace.de/publikationen/20151123_greenpeace_modekonsum_flye… | |
| [2] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX%3A02008L0098-… | |
| [3] https://fairwertung.de/wp-content/uploads/2024/12/Was-ist-eine-Kleiderspend… | |
| ## AUTOREN | |
| Nick Reimer | |
| ## TAGS | |
| Recycling | |
| Textilien | |
| Umweltschutz | |
| Europäische Union | |
| Secondhand | |
| Social-Auswahl | |
| Kleidung | |
| Kleidung | |
| Recycling | |
| Kreislaufwirtschaft | |
| Türkei | |
| Lieferketten | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Irisches Rechercheprojekt: Wo landen Altkleider wirklich? | |
| Die Organisation Voice Ireland hat getrackt, wohin Altkleider transportiert | |
| werden. Sie fordert strengere Gesetze gegen Deponien in prekären Ländern. | |
| Klamottenberge mit „Störstoffen“: Altkleidersammlung in Deutschland mit ma… | |
| Seit aussortierte Textilien nicht mehr in den Müll dürfen, quellen die | |
| Kleidungscontainer über. Die Betreiber schlagen Alarm. | |
| Richtiges Altglas-Recycling: Das kaputte Weinglas gehört in den Restmüll | |
| Eigentlich ist das Recycling von Glas in Deutschland gut etabliert, doch | |
| rund läuft es darum noch nicht. Eine Klärung der wichtigsten Fragen. | |
| BDE-Präsidentin über Baustoffrecycling: „Ich sehe ein Rohstofflager“ | |
| Für Anja Siegesmund ist ein Haus nicht nur ein Haus. Die Präsidentin des | |
| Wirtschaftsverbandes BDE über die Bedingungen einer Kreislaufwirtschaft. | |
| Arbeitsbedingungen in Textilindustrie: Union Busting bei Levi’s-Zulieferer | |
| NGOs werfen dem Konzern Levi’s Untätigkeit im Fall einer türkischen Fabrik | |
| vor. Diese feuerte die halbe Belegschaft nach einem Streik. | |
| Lieferkettengesetz wirkt: KiK kooperiert mit Gewerkschaften | |
| Der Textildiscounter KiK plant eine Vereinbarung zwischen Zulieferern und | |
| Arbeitervertretungen in Pakistan. Das Ziel: das Lieferkettengesetz | |
| einzuhalten. |