| # taz.de -- taz nach dem Attentat auf Charlie Hebdo: Und dann stand die Polizei… | |
| > Der Anschlag auf Charlie Hebdo vor zehn Jahren hat auch die taz | |
| > verändert. Das Redaktionshaus ist jetzt sicherer. Aber es hat uns auch | |
| > was genommen. | |
| Bild: tazpresso und ein Schwätzchen mit den Bullen. Polizeischutz für die taz… | |
| Es war ein Tag, an dem sich vieles änderte – auch in der taz. Als am 7. | |
| Januar 2015 gegen Mittag die Eilmeldungen zum Terroranschlag auf Charlie | |
| Hebdo eintrafen, wurden schnell die vorderen Seiten freigeräumt – das ist | |
| Business as usual im Nachrichtengeschäft. Die Titelseite war schon mehr als | |
| das: „Je suis Charlie“ schrieben wir wie so viele darauf. Als | |
| Solidaritätsadresse an die Kolleg:innen. Und als Erkenntnis der eigenen | |
| Betroffenheit. | |
| „Ziel von Terroristen ist es immer auch, Angst und Schrecken zu verbreiten. | |
| Mit dem Anschlag vom Mittwoch ist nun Angst eingekehrt in die Redaktionen“, | |
| [1][schrieb Andreas Rüttenauer damals im Seite-1-Kommentar]. „Es wird | |
| schwer sein, mit den Ängsten umzugehen, die die Mörder in das Bewusstsein | |
| der Journalistinnen und Journalisten geschossen haben. […] Freiheit von | |
| Angst ist eine entscheidende Voraussetzung für Freiheit – auch für | |
| Pressefreiheit.“ | |
| Was das ganz konkret bedeutete, war in den nächsten Tagen zu sehen. Vor der | |
| Tür der taz, die damals noch ihren Sitz in der Rudi-Dutschke-Straße hatte, | |
| stand die Polizei. Anders als noch in den ersten Jahrzehnten der taz waren | |
| die Beamt:innen nicht vorgefahren, um nach verdächtigen, linken Papieren | |
| in der Redaktion zu fahnden. Sondern als Schutz. Für uns. Und unsere | |
| Arbeit. | |
| Sie stand damals vor nahezu allen Redaktionsgebäuden der Stadt. Aber für | |
| die taz war es ein besonderer Einschnitt auf mehreren Ebenen. Das | |
| Rudi-Dutschke-Haus war bis dahin ein sehr offenes Gebäude. Wer rein wollte, | |
| kam auch rein. Eine unverschlossene Tür im taz-Café führte direkt durchs | |
| Treppenhaus rauf in die Redaktionsetagen. | |
| ## Weniger Diebstahl, weniger Spontanbesuche | |
| Es war üblich, dass Leser:innen, Aktivist:innen, wer auch und warum auch | |
| immer Kontakt zu tazler:innen suchte, neben deren Schreibtischen | |
| auftauchte. Mit allen Vor- und Nachteilen. Man durfte zum Beispiel nichts | |
| Wertvolles auf den Tischen liegen lassen, es sei denn, man nahm in Kauf, | |
| dass es verschwindet. Andererseits gab es unzählige Gespräche, | |
| Diskussionen, Auseinandersetzungen mit den Besorgten, Engagierten, Nervigen | |
| und Interessanten der Stadt. | |
| Nun aber erwies sich die offene Tür nicht nur als manchmal lästig, sondern | |
| als Gefahr. Einige Kolleg:innen wünschten sich, dass wenigstens der | |
| Zahlencode, der die Tür am Haupteingang sicherte, neu eingestellt würde. | |
| Doch die kiezweit bekannte Kombination aus Hausnummer und Postleitzahl ließ | |
| sich nicht ändern – die Technik! | |
| Da waren viele tazler:innen schon froh, dass die Polizei vor der Tür | |
| stand. „Einige tragen Cappuccinos hinüber, fair gehandelten taz-presso für | |
| die Bullen vom Dienst und plaudern ein wenig“, [2][schrieb Martin Kaul im | |
| taz-hausblog]. Er wusste aber auch von geplatzten Treffen mit | |
| Informant:innen, die kehrtmachten, weil die Polizei vor dem taz-café | |
| parkte. | |
| Als eine Woche später die erste Ausgabe der Charlie Hebdo nach dem Anschlag | |
| herauskam, übernahmen wir die Titelseite komplett. „Tout est pardonné“, | |
| sagte dort „der Prophet“ mit einer Träne im Auge. „Alles ist verziehen�… | |
| seinen Händen hielt er ein Schild mit der Aufschrift: „Je suis Charlie“. | |
| ## Angst ist subjektiv | |
| Ein Team des TV-Senders Arte fragte den an dem Tag als Seite-1-Redakteur | |
| arbeitenden Deniz Yücel, ob es keine Bedenken gebe, gegen den Abdruck | |
| dieser Karikatur. „Wir haben keine Angst“, sagte er sehr bestimmt in die | |
| Kamera. Aber das traf mit Sicherheit nicht auf alle in der Redaktion zu. | |
| Heute ist die taz längst ein paar hundert Meter weiter in einen Neubau | |
| gezogen. Der Zugang ist wie bei so vielen Gebäuden elektronisch gesichert, | |
| damit man drinnen arbeiten kann – frei von Angst. Es wird auch weniger | |
| geklaut. Ein Stückchen Offenheit aber wurde uns gestohlen. Gereon Asmuth | |
| 6 Jan 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Kommentar-Anschlag-auf-Charlie-Hebdo/!5024512 | |
| [2] https://blogs.taz.de/hausblog/die-polizei-vor-der-tuer/ | |
| ## AUTOREN | |
| Gereon Asmuth | |
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