# taz.de -- Proteste im spanischen Galicien: Zellstoff-Gigant am Jakobsweg | |
> Der portugiesische Konzern Altri will im Nordwesten Spaniens eine große | |
> Fabrik bauen. Die Region sorgt sich um ihre Umwelt – und den | |
> Pilgertourismus. | |
Bild: Die geplante Fabrik hat in der Region viele Feinde | |
Madrid taz | Was in der spanischen Stadt Palas de Rei entstehen soll, hat | |
gigantische Ausmaße. Das portugiesische Unternehmen Altri will in der | |
Region Ulloa im Herzen der nordwestspanischen Region [1][Galicien] eine 360 | |
Hektar große Fabrik errichten. Das entspricht mehr als 700 Fußballfeldern. | |
Sie soll aus Eukalyptusholz jährlich 400.000 Tonnen Zellstoff herstellen. | |
Die Hälfte davon soll zu Lyocell verarbeitet werden, einer Faser für die | |
[2][Textilindustrie]. Der Rest geht als Rohstoff in den Verkauf. | |
Vor Ort regt sich Protest: „Eine Anlage in dieser Größe ist nicht mit | |
unserer lokalen Wirtschaft kompatibel“, sagt die 34-jährige Programmiererin | |
Marta Gontá. Sie ist Sprecherin der Bürgerinitiative Ulloa Viva, auf | |
Deutsch „Lebendiges Ulloa“. Die Region lebt vom Pilgertourismus, enthält | |
den wichtigsten Teil des Jakobswegs, und von der Viehzucht. Viele Betriebe | |
sind Ökobetriebe. | |
Marta Gontá kommt aus der Gegend. Zum Studieren und Arbeiten zog es sie | |
auch schon nach Barcelona und in die großen Städte Galiciens wie Lugo und | |
Ourense. Jetzt lebt sie wieder in ihrer alten Heimat. „Die Lebensqualität | |
ist hier auf dem Land einfach höher“, sagt die Mutter einer zweijährigen | |
Tochter und Enkelin von Viehzüchtern. Genau um diese Lebensqualität | |
fürchten die Menschen jetzt. | |
Altri gibt an, jährlich 46 Millionen Liter Wasser zu brauchen. 30 Millionen | |
Liter sollen nach der Produktion in den Fluss Ulla zurückgehen. Ein 75 | |
Meter hoher Schornstein soll entstehen. Was dort ausgestoßen werden soll, | |
wird trotz Reinigung Reste an Schwefel, Schwefeloxid, Stickoxide und | |
Kohlenmonoxid sowie Staub enthalten. | |
## Altri lockt mit Arbeitsplätzen | |
„Die Fabrik liegt 420 Meter über dem Meer. Die umliegenden Berge sind 700 | |
bis 1.000 Meter hoch. Die Abgase werden sich also hier im Tal stauen“, | |
befürchtet Gontá. Wenn es regnet, würde all das dann herunterkommen und die | |
Böden und damit die Weiden der Tiere verschmutzen. | |
Altri lockt mit 2.500 Arbeitsplätzen in einem Dorf mit etwas mehr als 3.000 | |
Einwohnern. Die Regionalregierung wirbt für das Projekt, das unweit eines | |
der europäischen Schutzgebiete Natura 2000 liegt. Der Genehmigungsprozess | |
läuft. Die Bewohner der Region haben 24.041 Widersprüche eingelegt. „So | |
viele wie nie zuvor bei einem Industrieprojekt in Galicien“, sagt Gontá. | |
Proxecto Gama nennt Altri das Vorhaben und legt bei der | |
Öffentlichkeitsarbeit den Schwerpunkt auf Lyocell als nachhaltige Faser, | |
als „Greenfiber“. Andere synthetische Fasern basieren auf Erdöl, nicht auf | |
nachwachsendem Holz. | |
Interviews gibt es keine, dafür einen Internetauftritt mit allerlei | |
Versprechungen. Das Projekt habe „positive Auswirkungen, nicht nur auf die | |
Textilbranche, sondern auch auf das Umfeld der Fabrik“, heißt es in einem | |
Werbevideo. „Greenfiber“ sei die Lösung für die Umweltprobleme der | |
Textilbranche. Die sind tatsächlich groß: Es gibt einen enormen | |
Wasserverbrauch, hohe CO2-Emissionen, viel Wasserverschmutzung und große | |
Müllberge. | |
Altri verspricht, gemeinsam mit spanischen Investoren nachhaltig und vor | |
allem zirkulär zu planen. „Eine Fabrik des 21. Jahrhunderts“ entstehe in | |
Palas de Rei, „der Umwelt verpflichtet“. Deshalb will Altri 250 Millionen | |
Euro aus dem Next Generation Fonds der Europäischen Union beantragen. | |
## Ist Lyocell nachhaltig? | |
Auch an den Öko-Versprechen der Firma gibt es allerdings Kritik. | |
„Angesichts der Klimakrise und des Artensterbens verkaufen in den letzten | |
Jahren alle ihre Projekte als nachhaltig“, sagt Manoel Santos. Der Biologe | |
ist der Koordinator der Umweltorganisation Greenpeace in Galicien und hat | |
sich in den vergangenen Monaten ausführlich mit der Mode- und Textilbranche | |
beschäftigt. | |
„Das Projekt braucht Unmengen an Wasser und Rohstoffen“, sagt er. Lyocell | |
sei eine Faser für die schnelle Mode, die am Ende der Saison meist in der | |
Tonne landet. Gegen Mode sei er nicht, aber schon gegen die Wegwerfmode. | |
„Diese Überproduktion, diesen völlig verrückten Konsum kann niemand allen | |
Ernstes verteidigen“, meint Santos. | |
„Was Altri hier bauen will, ist keine Lösung, es ist Teil des Problems“, | |
urteilt Santos. Das Werk würde weitere Nachfrage nach Eukalyptusholz | |
schaffen. „Genau das Gegenteil von dem, was wir in Nordspanien und | |
Nordportugal brauchen“, sagt der Biologe. In den Eukalyptus-Monokulturen | |
findet die einheimische Tierwelt keinen Lebensraum. Viele Pflanzen, die | |
sonst in Harmonie mit den Wäldern wachsen, gibt es hier nicht mehr. Das | |
schnell wachsende Holz senkt den Grundwasserspiegel und die | |
[3][Waldbrandgefahr] erhöht sich. | |
„Die Eukalyptusplantagen, die hier in den letzten 50 Jahre dank der | |
Papierindustrie entstanden sind, sind das größte Drama für die | |
Biodiversität, das die Region je erlebt hat“, urteilt Santos. | |
Außerdem werde Lyocell nur wenig nachgefragt, so Santos. Weltweit sind es | |
derzeit 400.000 Tonnen pro Jahr. Altri plant jährlich 200.000 Tonnen, die | |
Hälfte des gesamten Weltverbrauchs. „Dabei wird Lyocell nur für wenige | |
Stoffe gebraucht“, meint Santos. Es sei nur eine von vielen Fasern, die von | |
der Textilindustrie genutzt werden. | |
## Berater raten Textilkonzernen von Altri-Produkt ab | |
„Dort wird weiterhin vor allem Baumwolle und synthetische Fasern aus | |
Erdölbasis verarbeitet. Und die Zukunft geht in Richtung dessen, was sich | |
Next Generation Fibers nennt“, so Santos. Diese Fasern würden aus | |
Rückständen der Lebensmittelindustrie, aus dem Recycling von weggeworfener | |
Kleidung und von Kunststoffen hergestellt. „Fasern aus Holz sind weder | |
zirkulär noch nachhaltig“, meint Santos. | |
Der Konzern Inditex, einer der Großen der Textilbranche mit Marken wie | |
Zara, Pull&Bear, Massimo Dutti und Bershka, kommt aus Galicien. Altri | |
dürfte unter anderem dieses Unternehmen als Abnehmer im Sinne haben. „Doch | |
das wird wohl kaum eintreffen“, ist sich Santos sicher. | |
Vor einigen Monaten unterzeichneten 52 Umweltorganisationen aus aller Welt | |
ein Protestschreiben an die galicische Regionalregierung gegen das | |
Altri-Projekt. Darunter ist auch Canopy Plant. Die kanadische Organisation | |
berät die Großen der Textilbranche über Fasern und Zulieferer. Von der von | |
Altri geplanten Produktion rät Canopy bereits jetzt schon ab. | |
„Was die Organisation nicht empfiehlt, wird von den Großen normalerweise | |
nicht angekauft“, meint Santos. „Wir werden also in Galicien Fasern | |
produzieren, die in Europa keinen Markt haben.“ | |
Transparenzhinweis: In der ersten Version ist statt von Galicien die Rede | |
von Galizien. Letzteres ist aber keine spanische Region, sondern eine | |
historische Landschaft im Süden von Polen und Westen der heutigen Ukraine. | |
Der Fehler lag nicht beim Autoren. | |
7 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Galizien/!t5622164 | |
[2] /Textilindustrie/!t5008009 | |
[3] /Mega-Waldbraende-in-Spanien/!5608896 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
## TAGS | |
Galizien | |
Textilindustrie | |
Spanien | |
Umweltzerstörung | |
Umweltbelastung | |
Umweltschäden | |
Jakobsweg | |
GNS | |
Lichtverschmutzung | |
Spanien | |
Interview | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Weihnachtsbeleuchtung im spanischen Vigo: Die Lichter, die für Ärger sorgen | |
In einer spanischen Stadt protestieren Bürger gegen eine ausufernde | |
Weihnachtsbeleuchtung. Es geht um die Umwelt – aber nicht nur. | |
Hochwasserkatastrophe in Spanien: Angehörige fordern Konsequenzen für Regiona… | |
Valencias Regionalpräsident weist Vorwürfe wegen seines Krisenmanagements | |
beim Hochwasser im Herbst von sich – und präsentiert sich als | |
Wiederaufbauchef. | |
Schriftstellerin Verena Boos: „Das sind unsere blinden Flecken“ | |
Im Roman „Die Taucherin“ beschäftigt sich Verena Boos mit | |
deutsch-spanischer Erinnerungpolitik. Sie interessiert, wer die Hoheit über | |
Geschichte hat. |