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# taz.de -- Vegane Ernährung und Fermentation: Käse ohne Kuh
> Kimchi, Kombucha und auch Käse: Beschert uns die Fermentation wirklich
> eine neue Welt veganer Ersatzprodukte? Und wie klimafreundlich ist das
> Ganze?
Bild: Sojabohnen Mischung in einer Fabrik in Tengzho
Warum werden fermentierte Lebensmittel wie Kimchi und Kombucha so gehypt?
Die rund 9.000 Jahre alte Konservierungsmethode der Fermentation erhielt
vor allem durch die Erforschung des Darmmikrobioms Aufwind – Digestive
Health ist seither ein vielbeachtetes Gesundheitsthema. Denn Kimchi,
Sauerkraut, Joghurt, Kefir oder Kombucha gelten als gesund und bekömmlich.
Joghurt wird darum zum Beispiel besser vertragen als Milch, weil Laktose
abgebaut wird. Durch die Gärung steigt auch die Bioverfügbarkeit bestimmter
Nährstoffe, wie etwa B-Vitamine, Zink oder Kalium, Vitamin K wird sogar
erst gebildet. Es entstehen gesunde Peptide, kurzkettige Fettsäuren,
außerdem gelangen Milchsäurebakterien in den Darm und verbessern dort das
Milieu. Langfristig könnten sich fermentierte Speisen darum positiv auf das
Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Leiden, Allergien oder entzündliche
Darmerkrankungen auswirken.
Zudem wird das Aroma von Lebensmitteln durch das mikrobielle Treiben
verändert. Man kann eher langweiliges Gemüse in frische, säuerliche und
komplexe Aromabomben verwandeln. Und in der Gärküche vereinen sich mehrere
angesagte Themen wie Nachhaltigkeit, Regionalität, Saisonalität sowie
Do-it-yourself.
Warum haben Food-Start-ups die Fermentation für sich entdeckt?
Fermentation kann bestehende vegane Ersatzprodukte geschmacklich verbessern
und bedeutet weniger Verarbeitung. Bei der Schweizer Firma Planted, die
Fleischersatzprodukte wie Braten, Steaks und Hähnchengeschnetzeltes aus
Sonnenblumen, Soja und Erbsen herstellt, kommt die Methode deswegen auch
zum Einsatz: „Fermentation ermöglicht uns die Herstellung von größeren,
komplexeren, saftigeren und zarteren Stücken sowie das Hinzufügen von
wichtigen Mikronährstoffen wie Vitamin B12“, liest man auf der Homepage.
Gleichsam kann auf Zusatzstoffe wie Geschmacksverstärker oder künstliche
Aromen verzichtet werden, die derzeit [1][in der Ernährungsszene] kritisch
beäugt werden.
Mithilfe der so genannten Biomassefermentation entstehen sogar ganz neue
und teils sehr gesunde Produkte. Hier wachsen in Kesseln, wie man sie aus
Brauereien kennt, Pilze oder Mikroalgen. Mikrobenprotein weist eine hohe
Aminosäurequalität auf, in Pilzzellen stecken zudem Ballaststoffe und in
Mikroalgen gesunde Fettsäuren.
Beim Unternehmen Kynda kommen zum Beispiel Schlauchpilze zum Einsatz, die
auf landwirtschaftlichen Reststoffen wachsen. Das Berliner Start-up Formo
nutzt einzellige Pilzvarianten der Gattung Aspergillus, um Käsealternativen
herzustellen. Diese als Koji bekannte Pilzkultur etwa ist für den würzigen
Geschmack in Sojasaucen bekannt.
Was ist der Unterschied zwischen Biomasse- und Präzisionsfermentation?
Bei der Biomassefermentation werden die Mikrobenzellen geerntet und mit
verzehrt. Hier kommen zudem Mikroben zum Einsatz, die in der Natur
vorkommen. Bei der Präzisionsfermentation hingegen werden die Einzeller
gentechnisch verändert, sodass sie etwa baugleiche Proteine wie in Milch
oder Fleisch bilden. Dabei werden die Mikroorganismen selber aber nicht
mitgegessen, sondern abgetrennt. Bei Formo wurde [2][im Labor bereits
erfolgreich Casein, das wichtigste Milchprotein, hergestellt].
Entsprechende Produkte sind aber noch nicht auf dem deutschen Markt. Denn
die europäische Lebensmittelbehörde EFSA müsste diese Produkte erst
zulassen, weil sie unter die Novel-Food- und die Gentechnik-Verordnung
fallen. Ein Antrag für die Casein-Herstellung liegt aber schon bei der
EFSA.
Wird Fleisch aus dem Labor auch mit Fermentation erzeugt?
Nein, hier geht es um Wachstumsprozesse in Nährmedien, die aus der
Muskelstammzelle, etwa von einem Rind, heraus ablaufen. Geht es nach den
Ideen der In-vitro-Fleisch-Branche, würden in Zukunft nur noch einige
wenige Hühner, Schweine und Rinder in einem Gemeinschaftsgarten gehalten.
Sie würden nicht mehr geschlachtet, sondern wären lediglich Spender von
Stammzellen. Aus diesen Zellen würde in großen Biotanks nahezu „echtes“
Fleisch entstehen.
Unter dem Begriff cellular agriculture werden fermentative sowie
In-vitro-Produktionsmethoden zusammengefasst. Bei beiden Methoden würde
nicht nur Tierleid erheblich verringert, auch das Klima könnte profitieren.
Derzeit ist allerdings noch unklar, in welchem Maß, da für die Produktion,
vor allem für die Herstellung der Nährmedien, teils viel Energie benötigt
wird. Die Produktionsanlagen könnten also nur durch grünen Strom wirklich
nachhaltiger sein. Für Wind- und Solaranlagen bräuchte man auch Seltene
Erden in größeren Mengen. Wie eine Szenarienstudie unter Leitung von Hanna
Tuomisto von der Universität Helsinki kürzlich zeigte, wäre vor allem
Tellurium ein limitierender Faktor. Sicher ist aber, dass durch Fleisch und
Käse aus dem Labor weniger Flächen sowie Pestizide und Dünger benötigt
würden.
Würden Verbraucher Milch und Fleisch aus dem Labor essen?
Die Verbraucherakzeptanz ist bei Hightech-Food eher gering. Fleisch aus dem
Labor wird zum Beispiel als eklig und höchst unnatürlich angesehen. Der
Grund: Die Abscheu vor unbekanntem Essen, die Neophobie, schützte den Homo
sapiens einst vor Vergiftung, da vor allem schleimige Konsistenzen auf
krankmachende Keime hindeuten. Die Ekelempfindung selbst ist zwar
angeboren, was genau wir dann aber ablehnen, hat viel mit Kultur und
Erziehung zu tun.
Im Erwachsenenalter sind diese Prägungen schwierig zu ändern. Unmöglich ist
es aber nicht. Die Aufklärung über die potenziellen Vorteile der neuen
Produkte, wie Tierwohl oder Klimaschutz, erhöht zum Beispiel die
Verbraucherakzeptanz, wie Sarah Kühl, Wissenschaftlerin für Agrarmarketing
an der Universität Göttingen, kürzlich für Käse aus dem Labor belegte.
Letztlich können auch positive Geschmackserfahrungen den Ekel überwinden.
Auch gibt es Verbrauchertypen, die leichter zu überzeugen wären. So sind
Männer und junge Menschen allgemein toleranter gegenüber unbekannten
Speisen aus dem Labor als Frauen und alte Menschen. Kommt Gentechnik zum
Einsatz, sinkt die Verbraucherakzeptanz laut der Göttinger Studie jedoch
nur gering. Nicht unerheblich ist auch der Preis. Die Imitate dürften nur
wenig teurer sein als die Originale. Das könnte vor allem im Fall von
Laborfleisch schwer werden. Zudem sind laut einer aktuellen finnischen
Studie Verbraucher eher bereit, Laborfleisch zu essen, wenn es im Inland
produziert wurde.
Können diese Produkte die Originale irgendwann ersetzen?
Das hängt von sehr vielen Faktoren ab. Wie bereits beschrieben, erst einmal
vom Geschmack und der damit verbundenen Nachfrage. Bei den neuartigen
alternativen Proteinen aus dem Fermenter, aber auch bei kultiviertem
Fleisch, ist außerdem noch unklar, ob das Upscaling funktioniert, also ob
diese Produkte in großem Stil hergestellt werden können. Dafür fehlt
teilweise das Geld, aber auch technisch ist noch nicht alles geklärt.
[3][In-vitro-Fleisch] kann zum Beispiel noch nicht gut in dreidimensionalen
Strukturen erstellt werden. Darum gibt es Versuche mit dem 3-D-Druck.
Fleisch besteht zudem neben Muskelzellen aus Fett und Bindegewebe, an einer
entsprechenden Co-Kultur wird noch geforscht. Erst wenn das Upscaling
gelingt, kann auch gezeigt werden, ob die Branche wirklich
umweltfreundlicher arbeitet.
Zudem sind hier in Europa gesetzgeberische Hürden zu nennen. Derzeit sind
entsprechende Novel-Food-Produkte in den USA und Asien auf dem Markt,
während europäische Länder wie Italien oder Österreich den Import dieser
Fleischerzeugnisse sogar verboten haben, um ihre heimische Fleisch- und
Käseindustrie zu schützen. Derweil wird in einer niederländisch-deutschen
Machbarkeitsstudie namens Respectfarms getestet, wie man kultiviertes
Fleisch auf bestehenden Höfen produzieren kann, damit Landwirte von der
möglichen Transformation profitieren können.
3 Jan 2025
## LINKS
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[3] /Laborfleisch-der-Zukunft/!5923105
## AUTOREN
Kathrin Burger
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Ernährung
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