Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Aktivistin über Kurd*innen in Syrien: „Eine schlechte Nachricht …
> Rosa Jiyan organisiert mit dem kurdischem Kulturverein in Hamburg seit
> dem Sturz des Assad-Regimes Demos, um auf die Lage in Syrien aufmerksam
> zu machen.
Bild: Demonstration gegen die Angriffe auf Rojava
taz: Ist der Sturz der Assad-Diktatur für die kurdische Gemeinschaft in
Norddeutschland ein Grund zum Feiern?
Rosa Jiyan: Ich habe gemischte Reaktionen mitbekommen. Wir verstehen auf
jeden Fall, dass es einen Grund gibt, zu feiern. Das Assad-Regime hat 50
Jahre lang gegen die ganze Bevölkerung, auch gegen die kurdische
Bevölkerung Syriens, staatliche Gewalt ausgeübt. Es wurden Bürgerkriege
geführt, die natürlich auch Kurd*innen beeinflusst und gezwungen haben,
das Land zu verlassen. Fast die Hälfte der syrischen Bevölkerung musste
fliehen.
taz: Welche Sorgen machen sich Kurd*innen jetzt?
Jiyan: Die allgemeine Lage Syriens ist noch nicht ganz einzuordnen. Wir
finden, dass die vielen euphorischen Reaktionen in Deutschland zu dem
Trugschluss führen können, dass die Zukunft Syriens jetzt friedlich sein
wird und es keine unterdrückerischen Kräfte geben wird. Die Gruppierung
Hajat Tahrir al-Scham (HTS), die jetzt die Macht übernommen hat, ist immer
noch eine islamistische Miliz. Wir beobachten Bombardierungen und eine
Invasion durch die Syrische National Armee (SNA) sowie der Türkei in
Rojava. Die SNA, die unter dem Kommando der Türkei steht, hat mehrere
Städte eingenommen.
taz: Es gab schon vorher Angriffe in Rojava durch die SNA und die Türkei.
Wie hat sich die Situation seit dem Machtwechsel in Syrien geändert?
Jiyan: Durch das Chaos in Syrien nach dem Sturz Assads gibt es jetzt einen
wirklichen Annektionskrieg. Die türkischen Angriffe sind intensiver
geworden. So kam es jetzt auch zu Drohnenangriffen. Das ist nochmal eine
andere Ebene.
taz: Welche Interessen verfolgen die SNA und die Türkei in Rojava?
Jiyan: Sie wollen das türkische Gebiet erweitern und das Konzept der
kurdischen Autonomieverwaltung zerstören.
taz: Was hören Sie von den Kurd*innen vor Ort?
Jiyan: Es herrscht bei der Bevölkerung dort, gerade bei Minderheiten,
Frauen und Kindern sehr viel Angst. Die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF)
versuchen, so gut es geht, Widerstand zu leisten, aber die SNA wurde von
der Türkei militärisch hochgerüstet. Es gibt eine schlechte Nachricht nach
der nächsten. Viele haben schon ihre Koffer gepackt und schauen, wohin sie
flüchten können. Wir hören, dass in Rojava SNA-Truppen in Krankenhäusern
Verwundete in ihren Betten erschießen. Wir hören, dass Zivilist*innen
gefoltert werden, die türkische Regierung mit Drohnenangriffen
Zivilist*innen umbringt, und wir hören auch, dass jesidische Frauen,
die zuvor den IS überlebt haben, von den Terrormilizen der SNA gekidnappt
werden.
taz: Kann Ihr Verein denn hier überhaupt etwas tun, um den Betroffenen vor
Ort zu helfen?
Jiyan: Was wir tun können, ist leider sehr limitiert, weil wir auf einem
anderen Kontinent sind und die Region sehr unzugänglich ist. Wir versuchen
vor allem, viele Spenden zu sammeln, die dann durch die Organisation Heyva
Sor verteilt werden. Die ist seit Jahren in kurdischen Regionen tätig und
leistet Nothilfe, die auch bei der Bevölkerung ankommt. Wir versuchen
außerdem, so viele Flyer wie möglich zu verteilen und organisieren jeden
Tag Demos.
taz: Was erhoffen Sie sich von den Bürger*innen hier?
Jiyan: Wir würden uns wünschen, dass mehr Personen sich bei unseren Demos
engagieren und mehr Präsenz zeigen, sich solidarisieren und spenden.
Außerdem würden wir uns wünschen, dass über den Machtwechsel nicht nur
positiv gesprochen wird, sondern man sich bewusst macht, wie unsicher die
Lage noch ist.
taz: Wie sind Sie in Norddeutschland organisiert?
Jiyan: Wir haben ein paar Hauptstädte in Norddeutschland. Dazu gehören
Hamburg, Bremen und auch Kiel, wo wir uns organisieren und auch in
regelmäßigem Kontakt zueinander stehen. Wir haben in den letzten zehn Tagen
jeden Tag in einer dieser Städte Demos veranstaltet.
taz: Was fordert Ihr Verein von der Bundesregierung und der internationalen
Gemeinschaft?
Jiyan: Konkret einen sofortigen Stopp der Waffenlieferungen an die Türkei,
insbesondere der Lieferung von Drohnenkomponenten. In den Kriegswaffen, die
in Rojava gefunden werden, sind Komponenten verbaut, die von der deutschen
Rüstungsindustrie kommen. Wir fordern außerdem, die Türkei zu sanktionieren
und sie aus der Nato zu werfen. Es erschreckt uns, dass die Asylanträge von
Syrer*innen einem sofortigen Stopp unterliegen. Es wird sogar wieder
über Abschiebungen nach Syrien gesprochen, obwohl doch noch überhaupt nicht
klar ist, wie die Zukunft Syriens aussieht.
taz: Was wünschen Sie sich für die Zukunft von Rojava und Kurdistan?
Jiyan: Ich wünsche mir viel Erfolg für Rojava und dass dieses Modell weiter
verbreitet werden kann. Aber ganz realistisch gedacht, wünsche ich mir
einfach nur, dass Rojava nicht untergeht und nicht komplett zerstört wird.
Für die kurdische Gemeinschaft wünsche ich mir, dass sie ihren Frieden
findet und nicht mehr wie eine Schachfigur den Interessen geleiteten
militärischen Aktionen Dritter zum Opfer fällt. Ich wünsche mir ein
friedliches Miteinander – nicht nur für die kurdische Gemeinschaft, sondern
allgemein für den ganzen Nahen Osten.
Demonstration des kurdischen Kulturvereins in Hamburg unter dem Motto
„Verteidigt die Revolution“, vor dem Elektromarkt in der Mönckebergstr.
1, 18. 12. 24, 18 Uhr
18 Dec 2024
## AUTOREN
Marie Dürr
## TAGS
Demonstration
Schwerpunkt Syrien
Hamburg
Rojava
Social-Auswahl
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kurd*innen in Syrien: Tanzen oder fliehen?
Die Türkei greift die kurdische Selbstverwaltung in Syrien an, mehr als
hunderttausend Menschen fliehen. Was passiert in den kurdischen Gebieten?
Blinken in Ankara: Die kurdische Frage
Mit seinem türkischen Amtskollegen Hakan Fidan will der US-Außenminister
über das weitere Vorgehen in Syrien sprechen. Thema sind die syrischen
Kurden.
Umsturz in Syrien: Kurd*innen aus Nordsyrien vertrieben
In Nordsyrien bedrohen pro-türkische Milizen die kurdische
Selbstverwaltung. Durch Kämpfe und türkische Bombardierungen werden
Zehntausende vertrieben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.