# taz.de -- Werkschau der Solinger Band S.Y.P.H.: Als Umkehrung von Rousseau | |
> Wahre Betonkunst: Neu aufgelegte Werkschauen der Solinger Punker S.Y.P.H. | |
> ermöglichen die Wiederbeschäftigung mit einer eigenständigen und | |
> seltsamen Band. | |
Bild: Im Original erschien diese Fotocollage zum S.Y.P.H. Debütalbum 1980. Pet… | |
„Für Punk waren wir zu alt“, glaubt Gitarrist und Sänger Peter Braatz | |
(alias Harry Rag). „Für Punk ist man nie zu alt“, widerspricht Bassist Jojo | |
Wolter kurz darauf. Und der andere Gitarrist Uwe Jahnke erklärt | |
unmissverständlich: „Punk fand ich schnell langweilig.“ | |
Braatz, Wolter und Jahnke sind drei Viertel der Solinger Band S.Y.P.H., | |
deren Musik sich als Punk mit erweitertem Horizont beschreiben ließe. In | |
den Chroniken des westdeutschen Punk haben S.Y.P.H. jedenfalls ihren festen | |
Platz, von Anfang an sang die 1978 gegründete Band ihre Texte auf Deutsch. | |
Bekannt geworden sind allerdings andere wie die Düsseldorfer Bands | |
Mittagspause und Fehlfarben. Zu beiden sollte einer der | |
S.Y.P.H.-Mitbegründer bald wechseln: „[1][Thomas Schwebel wollte | |
weiterkommen.] | |
## Eher rumpelig | |
Bei S.Y.P.H. war das immer eher rumpelig“, deutet Jahnke an, wenn es um den | |
Charme und die Crux der Band geht, denen Campino von den Toten Hosen | |
anlässlich der 2004 erschienenen Werkschau „Ungehörsam“ bescheinigte, sie | |
habe mit „Industrie-Mädchen“ das „schönste Liebeslied“ jener Zeit | |
vorgelegt. | |
„Industrie-Mädchen“, ein Stück von Schwebel, ist 1979 auf Single und 1980 | |
auf dem Debütalbum von S.Y.P.H. erschienen, in zwei unterschiedlichen | |
Versionen. Die frühe kommt mit der Grazie eines Kohlentransports daher, | |
die zweite mit der Rasanz eines Go-Karts. Vergleichen lässt sich das auf | |
den beiden gerade erschienenen Wiederveröffentlichungen aus dem Frühwerk | |
von S.Y.P.H.: „Pure Freude Singles 1979 + 1981“ bildet mit der 7’’-EP �… | |
Feind, viel Ehr“, der Doppel-7’’ „Der Bauer im Parkdeck“ und drei | |
unveröffentlichten Songs die Klammer für das erstmals 1980 veröffentlichte, | |
unbetitelte Debütalbum von S.Y.P.H. | |
Da waren Wolter und der Drummer Uli Putsch gerade frisch zur Band gekommen. | |
Zum Auftakt des Albums ertönt ein rasender, emblematischer Song, dessen | |
Refrain zum Slogan werden sollte: „Zurück zum Beton“. | |
## Werkstoff-Ästhetik | |
Arbeit und Industrie spielen bei S.Y.P.H. in dieser Phase eine große Rolle | |
in den Textwelten. Braatz erklärt das mit den Einflüssen aus dem englischen | |
und US-Punk, mit der Werkstoff-Ästhetik von Rustbelt-Bands wie [2][Pere | |
Ubu] und [3][Devo]. Dann gab es eine lokale Komponente: „Wir kamen ja vom | |
Rand des Ruhrgebiets. [4][Und wenn man nach Düsseldorf reinfährt, kommst du | |
erst mal bei Henkel vorbei].“ | |
Den Text von „Zurück zum Beton“ hat Braatz in Umkehrung von Rousseaus | |
„Zurück zur Natur“ geschrieben, als Replik auf die Öko- und | |
Friedensbewegung der späten Siebziger, die ihm innerlich nicht | |
unsympathisch war, mit der Braatz aber äußerlich und musikalisch nicht | |
übereinstimmen konnte. Auf Rudi Dutschke, dem das Album gewidmet ist und zu | |
dem familiäre Bande bestanden, lässt Braatz hingegen nichts kommen. | |
„Zurück zum Beton“, „Industrie-Mädchen“, „Lachleute und Nettmensche… | |
ihnen die komplette A-Seite des Debütalbums, sind die Songs, „die uns als | |
Punker identifizierten“, meint Braatz. Er sagt wirklich „Punker“! | |
„Mercedes“, von frühen Singles der Briten [5][The Cure] inspiriert, ist | |
Braatz’ Antwort auf Schwebels „Industrie-Mädchen“. Die Geschichte einer | |
Urlaubsbekanntschaft spielt mit der doppelten Bedeutung des spanischen | |
Frauennamens und der deutschen Automarke. | |
## KI für Kategorischer Imperativ | |
Übrigens war die Staatskarosse des spanischen Caudillo General Franco ein | |
Mercedes-Benz und die Zeit des faschistischen Diktators 1980 gerade einmal | |
fünf Jahre abgelaufen. S.Y.P.H. sangen von KI, als man bei der Abkürzung | |
noch an den kategorischen Imperativ dachte: Der „Chess Challenger“ war ein | |
Schachcomputer der siebziger Jahre, auf dessen Feldern Braatz den „Bauer | |
der Liebe, der Zuneigung, der Empathie und des Verständnisses“ geopfert | |
sah. | |
S.Y.P.H., – „wir waren keine Akademiker“, sagt Jojo Wolter -, konnten auch | |
ganz anders: „What Happens?“, ist ein Discostück, gesungen von Braatz’ u… | |
Jahnkes damaligen Freundinnen Stefanie De Jong, die auch den Text schrieb, | |
und Andrea Eichler. Der Song beweist „Spaß am Spaßhaben“, erinnert sich | |
Braatz. | |
Und dann ist da die B-Seite des Debütalbums mit dem Noise-Rocksong | |
„Partir“, wieder gesungen, diesmal expressiv, von De Jong und Eichler, und | |
die ausladenden Stücke „Kein Ziel“ und „Kisuaheli“. Hier und auf Teile… | |
„Pure Freude“-Compilation, die wie ein durchdachtes Album funktioniert, | |
sind S.Y.P.H. als improvisierende Rockband zu erleben. | |
Jojo Wolter, sozialisiert mit Progrock, spricht vom Befreiungsmoment, der | |
damit einherging. Uwe Jahnke, angefixt vom Krautrock von Can und Neu!, ist | |
das Langhaarigen-Dissen im Punk schwer auf den Zeiger gegangen: „Fronten | |
aufmachen fand ich immer schlimm.“ | |
Diese Offenheit führte S.Y.P.H. in den frühen achtziger Jahren geradewegs | |
in [6][das Inner-Space-Studio von Can-Bassist Holger Czukay.] Worauf sie | |
bei dem Stockhausen-Schüler kamen, wird auf den beiden nächsten | |
Wiederveröffentlichungen zu hören sein, die mit einem weiteren | |
Raritätenalbum 2025 erscheinen sollen. Freude ist möglich, Ernst kein | |
Widerspruch. | |
20 Dec 2024 | |
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[2] https://www.youtube.com/watch?v=Leax63ullPE | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=QmKQ2Z1odSc | |
[4] /Wuppertaler-Kulturzentrum-boerse/!5974723 | |
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## AUTOREN | |
Robert Mießner | |
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