# taz.de -- Vergewaltigungsprozess um Gisèle Pelicot: „Schande für die Just… | |
> Am Donnerstag endete der Vergewaltigungsprozess um Gisèle Pelicot. Das | |
> Urteil: Höchststrafe für den Ex-Ehemann, aber geringes Strafmaß für die | |
> 50 Mitangeklagten. | |
Bild: Gisèle Pelicot nach Verkündung des Urteils | |
Schuldig, in allen Anklagepunkten. Dominique Pelicot, der seine Ehefrau | |
Gisèle Pelicot über zehn Jahre betäubt und vergewaltigt hat, sie außerdem | |
anderen Männern im Internet zur Vergewaltigung anbot und die Taten filmte, | |
ist am Donnerstag vor Gericht in Avignon schuldig gesprochen worden. Das | |
Gericht verhängte die Höchststrafe für den 72-Jährigen: 20 Jahre Haft. Auch | |
alle 50 mitangeklagten Täter wurden verurteilt. Mit 3 bis 15 Jahren blieb | |
das Strafmaß allerdings deutlich unter den Anträgen der Staatsanwaltschaft, | |
die 10 bis 18 Jahre gefordert hatte. | |
Insgesamt konnten die Ermittler etwa 200 Vergewaltigungen der bewusstlosen | |
Gisèle Pelicot nachweisen. [1][Der Prozess gilt wegen der Zahl der | |
Angeklagten, der Brutalität der Taten und vor allem wegen des Muts von | |
Gisèle Pelicot als historisch.] Die 72-Jährige hatte sich für ein | |
öffentliches Verfahren eingesetzt, „damit die Scham die Seite wechselt“. | |
Während Dominique Pelicot seine Taten von Beginn an gestanden hatte, hatten | |
die Anwälte der Mitangeklagten ihre Mandanten mit teils haarsträubenden | |
Argumenten verteidigt. Viele der Männer erklärten, sie seien überzeugt | |
gewesen, sich an einem Sexspiel eines freizügigen Paares beteiligt zu | |
haben. Lediglich zwei Männer verließen das Haus der Pelicots, als sie auf | |
eine bewusstlose Frau trafen, mehrere vergingen sich wiederholt an ihr. | |
Niemand wandte sich an die Polizei. | |
Ein 63-Jähriger wurde wegen Betäubung und Vergewaltigung seiner eigenen | |
Frau zusammen mit Dominique Pelicot zu 12 Jahren Haft verurteilt, 5 Jahre | |
weniger als von der Staatsanwaltschaft gefordert. Ein weiterer Angeklagter, | |
der Dominique Pelicots Einladung, dessen Frau zu vergewaltigen, sechsmal | |
angenommen hatte, wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt. | |
## Geringes Strafmaß sorgte für Enttäuschung | |
Sechs der verurteilten Männer konnten das Gericht dennoch frei verlassen: | |
Sie haben ihre Strafe in der Untersuchungshaft bereits abgebüßt. 41 der | |
Verurteilten wurden sofort in eine Haftanstalt überstellt. Drei weitere | |
können ihre Haft aus Gesundheitsgründen nicht sofort verbüßen. Ein einziger | |
wurde in Abwesenheit verurteilt, er ist flüchtig. | |
Vor dem Gericht hatten sich bereits am Morgen Hunderte Menschen versammelt, | |
über 180 Journalist*innen auch aus dem Ausland waren angemeldet. Viele | |
Menschen waren zur Unterstützung Gisèle Pelicots angereist. Auf dem Schild | |
einer Demonstrantin war zu lesen: „Vergewaltiger, dein Schwanz in den | |
Mixer!“ Das geringe Strafmaß sorgte bei ihnen für Enttäuschung. „Honte �… | |
justice“ („Schande über die Justiz!“), rief es nach Urteilsverkündung a… | |
der Menge aus Frauen und einigen Männern vor dem Gericht in Avignon. Einer | |
der Verurteilten wurde tätlich angegriffen, als er das Gericht verlassen | |
wollte. | |
Die Verbrechen, die in Avignon verhandelt wurden – das Paar lebte in der | |
Nähe der Stadt in der Provence – schockierten im In- wie im Ausland. Nach | |
jahrzehntelanger Ehe, aus der drei Kinder hervorgegangen waren, hatte | |
Dominique Pelicot seine Ehefrau Gisèle über zehn Jahre hinweg mit | |
Medikamenten betäubt und von Dutzenden von Männern, die er auf einer | |
Internetplattform kontaktiert hatte, vergewaltigen lassen. Die Taten filmte | |
er. | |
Dadurch kam die Polizei ihm – nur zufällig – auf die Spur: Dominique | |
Pelicot war im September 2020 dabei erwischt worden, wie er in einem | |
Supermarkt Frauen unter den Rock gefilmt hatte: sogenanntes Upskirting. | |
Polizisten fanden auf seinem Handy Fotos und Videos von den | |
Vergewaltigungen seiner Frau und durchsuchten daraufhin auch seinen | |
Computer, wo sie noch weit mehr Videos fanden. | |
## Schlaglicht auf die Abgründe männlicher Perversität | |
Gisèle Pelicot selbst hatte die Übergriffe wegen der starken Medikamente, | |
die ihr damaliger Mann ihr heimlich verabreicht hatte, nicht mitbekommen. | |
Sie bemerkte aber Gedächtnislücken und Schmerzen im Unterleib, weshalb sie | |
über Jahre verschiedene Ärzte aufsuchte. | |
Dank der auf Dominique Pelicots Computer und Mobiltelefon gespeicherten | |
Videos konnte die Polizei 50 der vermutlich annähernd 100 von Pélicot | |
angeworbenen Täter identifizieren und nun vor Gericht stellen. Bei den | |
Verhandlungen erst wurde das Ausmaß des Horrors deutlich. Erschreckend war, | |
dass sich viele dieser 22- bis 73-jährigen Männer aus unterschiedlichem | |
beruflichen Milieu, von denen viele verheiratete Familienväter sind, noch | |
vor Gericht nicht ihrer Verantwortung stellen wollten. | |
Der Fall Pélicot warf nach Ansicht der Prozessbeobachter ein Schlaglicht | |
auf die Abgründe männlicher Perversität und vor allem auf das noch | |
weitgehend unterschätzte Phänomen der Verwendung von Drogen bei | |
Vergewaltigungen. Ungewöhnlich war vor allem, dass Gisèle Pelicot sich für | |
eine öffentliche Verhandlung aussprach. Sie wollte, dass die Gesellschaft | |
die Taten nicht hinter die verschlossenen Türen eines Gerichtssaals – ohne | |
Medien und Zuschauer – verbannt. Pelicot entpuppte sich als kämpferische | |
Frau. Sie löste mit ihrem mutigen Auftreten vor Gericht eine Welle | |
internationaler Solidarität aus. An fast jedem Verhandlungstag wurde sie | |
beim Betreten und Verlassen des Gerichts mit Applaus begrüßt. | |
## Den Männern reichte das Wort des Mannes | |
So wurde sie zu einer Ikone des Kampfs gegen die sexuelle Gewalt. Im und | |
vor dem Gericht sah man Journalisten aus ganz Europa, aber auch aus Japan, | |
Brasilien und den USA. Sie mussten allerdings die Urteilsverkündung am | |
Donnerstagmorgen in einem Nebensaal per Übertragung verfolgen. Im Saal | |
Voltaire, wo der Gerichtspräsident jedem der Angeklagten den Schuldspruch | |
und das Strafmaß vorlas, hatten nur gerade eine Handvoll Medienvertreter | |
und drei Zeichner neben den Anwälten sowie den Familienangehörigen von | |
Gisèle Pelicot Platz. Für sie war es bis zum Schluss nicht einfach, so im | |
Rampenlicht der Welt zu stehen. | |
„Der Prozess Pelicot illustriert die ganze Brutalität der Justiz gegenüber | |
den Opfern sexueller Gewalt“, schreibt das Online-Magazin HuffPost, weil | |
Gisèle Pelicot nicht nur mit den Angeklagten und vor allem den | |
schrecklichen Videos ihrer eigenen Vergewaltigung konfrontiert wurde, sie | |
musste sich Unterstellungen und unglaubliche Verdächtigungen anhören. Sie | |
sorgte dafür, dass in diesem Prozess [2][„die Scham die Seite wechselte“], | |
wie sie es zu Beginn gefordert hatte: nämlich vom Opfer zu den Tätern. | |
Nicht sie als Opfer muss das Gesicht verbergen, sondern die Männer auf der | |
Anklagebank müssen es. | |
Die wenigsten gestanden ihre Schuld ein, einige wollten sich damit | |
rausreden, dass sie von einem Spiel ausgingen, zu dem die Frau ihre | |
Zustimmung gegeben hätte. Selbst versicherten sie sich dieser Zustimmung | |
nicht, [3][ihnen reichte das Wort des Mannes] – als ob der Ehemann über den | |
Körper seiner Gattin so verfügen könnte. Mit der Verurteilung aller | |
Angeklagten bestätigt die französische Justiz, dass das definitiv nicht | |
oder hoffentlich ein für allemal nicht mehr der Fall ist. | |
## Gisèle Pelicot respektiert das Urteil und bereut nichts | |
Damit dies mit aller Deutlichkeit unterstrichen würde, konnte man auch | |
exemplarisch strenge Strafen erwarten. Laut der Vorsitzenden der Fondation | |
des Femmes, Anne-Cécile Mailfert, liegen die nun ausgesprochenen | |
Haftstrafen deutlich unter dem im letzten Jahr üblichen Strafmaß für | |
Vergewaltigung, das im Durchschnitt 11 Jahre betrage. Die | |
Staatsanwaltschaft hat (wie die Anwälte der Verteidigung auch) eine Frist | |
von 10 Tagen, um Berufung einzulegen. Eine neue Verhandlung würde dann vor | |
einem Geschworenengericht angeordnet. | |
Gisèle Pelicot äußerte sich kurz beim Verlassen des Gerichts. Sie sagte, | |
sie respektiere das Gericht und dessen Entscheidung. Sie bereue es | |
keineswegs, dass sie die Öffentlichkeit bei der Verhandlung zugelassen | |
habe. Sie denke an ihre Kinder, Enkelkinder und Schwiegertöchter: „Sie sind | |
die Zukunft, für sie habe ich gekämpft. Aber ich denke auch an [4][all die | |
Frauen, die Opfer (sexueller Gewalt) sind, die aber im Schatten bleiben.“] | |
Sie bedankte sich bei ihren Anwälten, der Vereinigung der Hilfe für die | |
Opfer und auch bei den Medien, die „in getreuer und würdiger Weise“ über | |
den Prozess berichtet hätten. | |
Die Justiz befasst sich auch mit dem Verdacht, dass Dominique Pelicot auch | |
seiner Tochter Caroline sowie seinen zwei Schwiegertöchtern sexualisierte | |
Gewalt angetan habe. Auch von ihnen hatte er Fotos auf seinem Computer. | |
Mitarbeit: Johanna Treblin | |
19 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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