| # taz.de -- Vertragsarbeiter in der DDR: Der verlorene Sohn | |
| > In den Siebzigern kam Ali als Vertragsarbeiter aus Algerien in die DDR | |
| > und bekam dort einen Sohn. Jahrzehnte später trifft er ihn wieder. | |
| Bild: S. hat Kinderheim und Gefängnisse überstanden, Neonazis verprügelt und… | |
| Zwei Männer umarmen sich. Ihre Hände sind unruhig, sie halten nicht still, | |
| klopfen sich ab – Schulter, Rücken, Schulter. Wenige Sekunden brauchen sie | |
| dafür. Die Männer lösen sich voneinander, stehen sich gegenüber, Zentimeter | |
| entfernt. „Alles gut?“, fragt der Ältere, er sagt es auf Deutsch, er konnte | |
| diese Sprache früher so gut. „Bisschen Stress“, antwortet der Jüngere. Da… | |
| sagen sie nichts, schauen sich an, weitere Sekunden lang. Der Jüngere | |
| fragt: „Wollen wir uns ein bisschen bewegen?“ | |
| So sieht es also aus, wenn sich zwei Männer nach 45 Jahren das erste Mal | |
| wiedersehen. Wenn sie Vater und Sohn sind, aber kaum etwas wissen | |
| voneinander. Der jüngere Mann hat im April dieses Jahres überhaupt erst | |
| erfahren, dass sein leiblicher Vater noch lebt. Der kam, wie etwa 8.000 | |
| weitere Männer, aus Algerien in das sozialistische Deutschland, in die DDR, | |
| um dort zu arbeiten. Und so wie die meisten dieser Männer musste er das | |
| Land wieder verlassen, als er seine Arbeit erledigt hatte. Ohne seinen | |
| Sohn. | |
| Die beiden gehen über eine vierspurige Straße in Richtung eines Parks. Sie | |
| sind etwa gleich groß, aber der Körper des älteren Mannes ist kräftiger, | |
| runder. Nimmt er seinen hellen Hut ab, enthüllt er eine sonnengebräunte | |
| Glatze. Der jüngere ist hager, läuft mit ausgreifenden Schritten, lässt die | |
| Arme schlenkern, als wären sie aus Holz. | |
| Die Männer wollen nicht mit ihren echten Namen im Text auftauchen. Beide | |
| haben Gewalt erfahren und Dinge getan, auf die sie nicht stolz sind. Sie | |
| wollen von ihren Leben erzählen, davon, wie sie sich wiedergefunden haben | |
| und wie schwierig Deutschland dieses Wiedersehen für Algerier macht, die | |
| früher hier gearbeitet haben. Und für ihre Kinder, die geblieben sind. Aber | |
| sie wollen nicht einfach per Suchmaschine im Internet aufzuspüren sein. | |
| Der ältere Mann, im August ist er 70 Jahre alt geworden, will in diesem | |
| Text „Ali“ heißen. So hätten ihn die meisten Deutschen genannt, auch eine | |
| Frau in dem Liebesbrief, den er abfotografiert und auf seinem Telefon | |
| gespeichert hat. Von 1974 bis 1979 hat Ali in der DDR gelebt und | |
| gearbeitet, meistens in Erfurt. 1974 schloss die DDR ein Abkommen mit | |
| Algerien. Das sozialistische Deutschland brauchte Arbeiter:innen aus | |
| dem Ausland, ebenso wie die kapitalistische BRD. Algerien schickte Männer | |
| um die zwanzig, wie Ali. Die sollten in der DDR nicht nur arbeiten, sondern | |
| auch eine Ausbildung erhalten. | |
| Ali hat sich den Namen für diesen Text auch deswegen ausgesucht, weil sein | |
| Vater tatsächlich so hieß. Der wurde 1958 getötet, während des | |
| Unabhängigkeitskrieges gegen die französische Kolonialherrschaft. Ali war | |
| vier Jahre alt. Er wuchs als Halbwaise in Algerien auf, seit 1979 lebt er | |
| wieder dort. Im August 2024 ist er für ein paar Tage nach Deutschland | |
| zurückgekehrt. Er will seinen leiblichen Sohn das erste Mal nach 45 Jahren | |
| wiedersehen. | |
| ## Über zehn Jahre seines Lebens im Gefängnis | |
| Der jüngere Mann soll in diesem Text „S.“ heißen. Er ist heute 48 Jahre | |
| alt. Als Ali die DDR verlassen muss, ist er drei. Seine Mutter zieht mit S. | |
| von Erfurt nach Neubrandenburg, heute eine Kreisstadt in | |
| Mecklenburg-Vorpommern. Sie heiratet einen anderen Mann, den S. Vater | |
| nennt, sie bekommt weitere Kinder. S. geht in der DDR zur Schule, erlebt | |
| die Revolution von 1989 in einem Kinderheim, geht nach Berlin, lebt als | |
| Punk auf der Straße. Im Moment arbeitet er bei einer Zeitarbeitsfirma, die | |
| Möbel für Behörden von einem Ort zum anderen transportiert, für die | |
| Feuerwehr, für die Polizei. Dass sein leiblicher Vater noch lebt, erfährt | |
| er, als er im Gefängnis sitzt. | |
| Ende November 2024, nahe dem Bahnhof Gesundbrunnen im Berliner Bezirk | |
| Wedding. Es ist vier Uhr nachmittags, dunkel und kalt. S. will durch den | |
| Park laufen. „Ich war mir nicht einmal sicher, dass er noch lebt“, sagt S. | |
| über Ali. Warum er in der Justizvollzugsanstalt einsaß, möchte er nicht | |
| erzählen, aber es war nicht das erste Mal. | |
| Über zehn Jahre seines Lebens habe er insgesamt in Haftanstalten verbracht, | |
| sagt S., nicht nur in Berlin. In Nordrhein-Westfalen hätten sie ihn zum | |
| Beispiel vier Jahre inhaftiert, weil er zwei Nazi-Skins verprügelt habe. Im | |
| Frühjahr bekommt er eine Nachricht ins Gefängnis. Sie ist von Ali. Er sucht | |
| nach ihm. S. meldet sich zurück. Er wundert sich nicht nur, dass Ali noch | |
| am Leben ist, sondern auch, dass der ihn finden will. S. sagt: „Meine | |
| Mutter hat mir immer die Story erzählt, dass ich das Produkt einer | |
| Vergewaltigung sei.“ | |
| Er hat Bilder seiner leiblichen Eltern gesehen, aus den siebziger Jahren. | |
| „Ich habe mich jahrelang gefragt, wie macht die Frau das?“, sagt S. „Wie | |
| kann die ein Kind lieben, das genauso aussieht wie der Mann, der ihr so ein | |
| großes Brett angetan hat?“ | |
| ## Viele Menschen in der DDR hießen Beziehungen zwischen deutschen Frauen | |
| und Algeriern nicht gut | |
| An einem Morgen Anfang August 2024 steigt Ali in Erfurt in einen alten | |
| roten VW Polo. Heute Nachmittag wird er S. in Berlin wiedersehen. Vorher | |
| hatte er hier in der Stadt noch etwas zu tun. Er hat am Abend zuvor [1][mit | |
| anderen algerischen Männern über ihre Arbeit und ihr Leben in der DDR | |
| gesprochen] – vor Publikum. Der Raum war voll, Menschen saßen auf dem | |
| Boden, die Stühle reichten nicht. | |
| Der Historiker Jan Daniel Schubert hat Ali nach Deutschland eingeladen. | |
| Schubert forscht zu algerischen Arbeitern in der DDR. Er hat einige in | |
| Algerien interviewt, auch Ali. Ali wiederum hat den Wissenschaftler | |
| gebeten, ihm zu helfen, seinen Sohn zu finden. Schubert hat die Mutter von | |
| S. aufgespürt und die hat wiederum den Tipp gegeben, dass S. im Gefängnis | |
| sein könnte. Deshalb hat Ali dort im Frühjahr eine Nachricht für S. | |
| hinterlassen. | |
| An jenem Augusttag fährt Schubert Ali in seinem eigenen Auto von Erfurt | |
| nach Berlin. Ali zeigt Fotos auf seinem Mobiltelefon, Menschen und | |
| Dokumente, er erzählt die Geschichten dazu auf Französisch, Jan Schubert | |
| übersetzt: Wie freundlich Alis Kollegen waren. Wie er mit Teenagern Schnaps | |
| getrunken hat. Wie er an einer Brücke mitgebaut hat, die immer noch in der | |
| Nähe des Erfurter Hauptbahnhofs steht und am Hotel Kosmos, das heute einer | |
| großen Kette gehört. Er erzählt, wie er und seine algerischen Kollegen | |
| gestreikt haben, obwohl Streiks in der DDR politisch geächtet waren – sie | |
| wollten eine Zulage, die Arbeiter aus Polen und Ungarn bereits bekamen. Im | |
| November 1976 wird S. geboren. | |
| Ali zeigt ein Familienfoto in Schwarz-weiß, er und seine Freundin, | |
| lächelnd, dazwischen Baby S. mit großen Augen und offenem Mund. Der Ali von | |
| damals und der S. von heute sehen sich ähnlich. Von der Geschichte mit der | |
| Vergewaltigung weiß Ali bei der Autofahrt nach Berlin bereits. Das sei | |
| Unsinn, sagt er. | |
| Auch S. sagt, dass die Vergewaltigung erfunden ist, seine Mutter habe das | |
| inzwischen revidiert. Das erzählt er beim Gang durch den kalten Park im | |
| November. Sie sage, die Staatssicherheit habe sie zu dieser Lüge gezwungen. | |
| In der DDR ist die Stasi Geheimpolizei, Ermittlungsbehörde und | |
| Auslandsnachrichtendienst in einem, sie überwacht und diskreditiert | |
| Menschen. S. glaubt seiner Mutter, er glaubt ihr, dass sie Angst gehabt | |
| hat, ihr könnte der Sohn weggenommen werden. Warum die Staatssicherheit so | |
| handelt, dafür gibt es derzeit keine Erklärung, die sich mit Akten belegen | |
| ließe. Fest steht, dass viele Menschen in der DDR Beziehungen zwischen | |
| deutschen Frauen und Algeriern nicht guthießen. | |
| ## Eine Hetzjagd mit „Pogromstimmung“ | |
| Ali erzählt auf dem Beifahrersitz des VW Polo vom 10. August 1975. Er | |
| besucht damals mit anderen Algeriern und ihren deutschen Freundinnen ein | |
| Volksfest. Karussell, Würstchenbude, Bier, Schnaps. Er erinnert sich, wie | |
| deutsche Männer die Frauen beleidigt haben. Schlampen, Nutten. Wie ein | |
| Algerier einem Deutschen eine Ohrfeige verpasst. Er erinnert sich an das | |
| Wegrennen, weil so viele auf ihn und seine Freunde losgegangen sind. In der | |
| Nähe des Bahnhofs endet seine Erinnerung, er bekommt einen Schlag auf den | |
| Kopf, er glaubt, dass es ein Brett war. Ali nimmt seinen hellen Hut ab, | |
| zeigt die Narben. Vielleicht spürt er Fußtritte damals, er ist nicht ganz | |
| sicher. Er wacht nachts in einem Krankenhaus wieder auf. | |
| An diesem Abend hetzen hunderte Deutsche algerische Arbeiter durch die | |
| Stadt – es ist die erste [2][massenhafte rassistisch motivierte | |
| Menschenjagd] nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland. Ein extremes | |
| Ereignis, das weit verbreitete [3][Haltungen] zeigt; die Ermittler der | |
| Staatssicherheit schreiben in ihren Akten zu der Hetzjagd von einer | |
| „Pogromstimmung“. Ehemalige Arbeiter wie Ali erinnern sich gut, wie | |
| Deutsche in der ganzen DDR zu dieser Zeit ihren Hass begründen: Ihr | |
| Algerier habt es besser als wir, ihr nehmt uns die Frauen weg, ihr mordet | |
| und vergewaltigt. Dieser Hass wird an die Kinder weitergegeben. | |
| „Alles, wovor Du je Angst gehabt hast, waren wir und Deine Frau“, singt der | |
| [4][Erfurter Rapper Rashid Jadla] in seinem Stück „Anger 75“. Jadla, selbst | |
| Sohn eines algerischen Arbeiters, erzählt 2023 in einem Interview mit der | |
| taz, Mitschüler hätten ihn schon in der ersten Klasse verprügelt. Ihre | |
| Begründung: Er sei ein Vergewaltiger. | |
| S. spricht von rassistischen Beleidigungen in seiner Familie und in der | |
| Schule, er findet noch heute, dass sein französischer Vorname, den Ali 1976 | |
| für ihn ausgesucht hat, wie ein Frauenname klingt. S. sagt, er habe | |
| zugeschlagen, getreten, bei Schüler:innen und Lehrer:innen. Er kommt in | |
| ein Spezialkinderheim. In solchen Heimen lassen die Erzieher:innen die | |
| Kinder sich gegenseitig bestrafen, wenn eines aus der Reihe tanzt. „Blinde | |
| Kuh haben wir das genannt, da sind die anderen nachts in dein Zimmer | |
| gekommen und haben dir ein Handtuch über den Kopf gezogen. Die Decke haben | |
| sie festgehalten, dass du nicht abhauen kannst. Dann gab es Senge.“ | |
| Laut und wütend wird S., wenn er darüber spricht, wie Erzieher:innen | |
| als Strafmaßnahme die Beziehung zwischen ihm und seiner Mutter | |
| manipulierten: „Die haben mir erzählt, meine Mutter will nicht zu Besuch | |
| kommen. Die stand vor der Tür. Und ist nicht reingelassen worden.“ Zwei | |
| Wissenschaftlerinnen, die zu [5][Heimen und Jugendwerkhöfen in der DDR] | |
| forschen, sagen, dass das, was er schildert, in solchen Häusern üblich | |
| gewesen sei. | |
| ## Immer wieder wurde ihm die Einreise in die DDR verweigert | |
| Ali und die Mutter von S. trennen sich, da arbeitet er noch in Erfurt. Er | |
| lernt eine neue Frau kennen, seinen Sohn sieht er weiterhin. Die Großmutter | |
| von S. bringt ihn aus einem Vorort immer wieder zu Ali in die Stadt. Beim | |
| letzten Treffen, an das er sich erinnert, geht Ali mit S. an Blumenbeeten | |
| vorbei über das Gelände der Internationalen Gartenausstellung. 1979 läuft | |
| sein Vertrag aus und er muss gehen. | |
| S. kommt mit der Revolution von 1989 aus dem Kinderheim raus, tut sich mit | |
| Punks in Neubrandenburg zusammen, prügelt sich mit Nazi-Skins. | |
| Baseballschlägerjahre. S. fängt eine Ausbildung zum Metallbauer an, die ist | |
| ihm zu stupide, „zu viel Feilerei“. Er geht nach Berlin, S. sagt, er wollte | |
| sich nur die Loveparade angucken, damals läuft die noch über den | |
| Kurfürstendamm. Er bleibt, gehört irgendwann zu den Punks auf der | |
| Friedrichstraße, lebt in besetzten Häusern, verbringt einen tödlich kalten | |
| Winter in einer Bushaltestelle, sieht eines Morgens, dass einer neben ihm | |
| erfroren ist. So viel Zeit habe er aber gar nicht auf der Straße verbracht, | |
| sagt S. und erzählt einen alten Witz: „Was ist ein Punk ohne Freundin? | |
| Obdachlos.“ | |
| „Ich habe alles getan, um ihn wiederzusehen“, sagt Ali bei einem Stopp an | |
| einer Tankstelle in der Nähe von Halle. Er trinkt einen Schluck Vita Cola, | |
| die gab es in der DDR auch. Er schüttelt sich, verzieht das Gesicht. Er | |
| sagt: „Drei Mal habe ich versucht, wiederzukommen.“ Immer wird ihm die | |
| Einreise in die DDR verweigert. Gründe dafür erfährt er nicht. | |
| Viele algerische Väter versuchen, den Kontakt zu ihren Kindern nicht zu | |
| verlieren oder sie wiederzufinden. Die DDR machte es ihnen schwer, die | |
| vereinigte Bundesrepublik auch. Ali kann davon erzählen, Jan Schubert, der | |
| Historiker, der den Polo fährt, ebenfalls, aber mehr noch Karin Graieb. Sie | |
| sucht seit 2021 für algerische Männer nach ihren Söhnen und Töchtern, und | |
| umgekehrt. | |
| Graieb leitet eine Facebook-Gruppe mit 1.500 Mitgliedern, sie führt zu | |
| Hause Akten über mehr als sechzig Suchen. Sie ist in der DDR aufgewachsen, | |
| hat dort einen algerischen Mann geheiratet und wohnt inzwischen in Worms. | |
| Am Telefon erzählt sie, dass algerische Männer oft monatelang auf einen | |
| Termin in der deutschen Botschaft in Algier warten müssen. Dass eine Frau | |
| über 4.000 Euro auf ihrem Konto hinterlegen sollte, damit ihr algerischer | |
| Ex-Partner sie und den gemeinsamen Sohn besuchen darf. „Es muss für die | |
| Männer aus Algerien einfacher werden, Visa zu erhalten“, sagt Graieb. „Und | |
| diese Vereinfachung sollte schnell kommen, die Männer sind alt.“ | |
| ## „Vielleicht werde ich weinen.“ | |
| Als Ali klar wird, dass es kein Zurück nach Deutschland gibt, fällt er in | |
| ein Loch, trinkt viel. Weil er S. zurücklassen musste. Weil er sein Leben | |
| in Erfurt vermisst, seine Freundin, bis 1983 schreibt sie ihm Briefe. Für | |
| das staatliche Erdöl-Unternehmen Sonatrach fährt Ali durch die Sahara und | |
| bringt den Arbeitern auf den entlegenen Stationen ihr Essen. | |
| „Wir haben zu viel erlebt“ – diesen Satz sagt Ali oft auf Deutsch. Manchm… | |
| sagt er auch: „Wir haben zu viel gelebt.“ Er lernt eine Frau in Algerien | |
| kennen, Ali sagt, sie hat ihn vom Trinken weg und ins Leben zurückgeholt. | |
| Sie bekommen drei Söhne und zwei Töchter. | |
| S. hat ebenfalls Kinder, zwei Söhne und eine Tochter. „Ich bezeichne mich | |
| nicht als ihr Vater. Meine Kinder wurden von ihren Müttern großgezogen. Und | |
| das rechne ich denen hoch an.“ Er sagt, er wäre kein gutes Vorbild, er habe | |
| die Kinder von Bekannten ins Gefängnis gehen sehen, so wie ihre Väter. Mit | |
| seinem ältesten Sohn redet und schreibt er bisweilen auf Whatsapp. | |
| Bedauern. Ali sagt, er frage sich, ob S. auch im Gefängnis gelandet wäre, | |
| wenn er Deutschland damals nicht hätte verlassen müssen. Wenn er geblieben | |
| wäre und er und S. darüber hätten reden können, dass auch Ali sich | |
| geprügelt hat, als er jung war. „Ich kann es nicht ertragen, wenn mir auf | |
| die Füße getreten wird.“ S. sagt im November im kalten Park, das sei | |
| Unsinn. „Nichts hätte sich geändert, wir wären nur beide dran gewesen.“ | |
| Im Polo kurz vor Berlin. Bist Du nervös, Ali? | |
| „Bisschen Schiss“, sagt er auf Deutsch. | |
| Warum? | |
| „Vielleicht werde ich weinen.“ | |
| Ali weint nicht. S. auch nicht. Sie gehen zusammen in ein Dönerrestaurant. | |
| Sie versuchen, sich von ihren Leben zu erzählen. S. spricht kein | |
| Französisch. Jan Schubert übersetzt erneut. Als Ali wieder in Algerien ist, | |
| schreiben er und S. sich Nachrichten per Signal. S. zeigt im November ein | |
| paar auf seinem Telefon. Ali schreibt mit einem Übersetzungsprogramm, | |
| manchmal redet er S. mit „Du“ an, manchmal mit „Sie“. Er entschuldigt s… | |
| dass er den Geburtstag von S. vor ein paar Tagen vergessen hat, „weil ich | |
| zur regelmäßigen Untersuchung meines Herzens im Krankenhaus war“. S. findet | |
| das nicht schlimm: „Ich bin genauso“, sagt er. „Ich gratuliere niemandem | |
| zum Geburtstag. Für mich ist Geburtstag kein Tag, den man feiern muss. Was | |
| ist die Leistung? Wenn, dann müssen die Eltern feiern, oder?“ | |
| S. würde gern mal nach Algerien reisen. Er sagt, ihn interessieren Alis | |
| Kinder eigentlich mehr als Ali selbst. S. sagt: „meine neuen Geschwister.“ | |
| Ali will im nächsten Jahr wieder nach Deutschland kommen. | |
| 21 Dec 2024 | |
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