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# taz.de -- Personalmangel in Hamburgs Jugendhilfe: „Nachtarbeit wird quasi a…
> In Hamburgs Jugendwohngruppen ist meist eine Fachkraft allein mit bis zu
> zehn Kindern und Jugendlichen. Ein besonderes Problem sind die Nächte.
Bild: Wohnen für Jugendliche auf einem Ponton am Hamburger Hafen bietet „Gan…
Hamburg taz | In Hamburg ist seit dem Ende der Coronapandemie immer wieder
von der Überlastung und Überfüllung des zentralen [1][Kinder- und
Jugendnotdienstes] (KJND) die Rede, der mit 120 Plätzen größten Einrichtung
der Stadt. Dort kommen neben Kindern und Jugendlichen, die zum ersten Mal
staatliche Obhut brauchen, auch jene hin, die eine Wohngruppe wieder
verlassen mussten und einen neuen Ort zum Leben brauchen.
[2][Sozialstaatsrätin Petra Lotzkat] appellierte deshalb an die Anbieter,
mehr zu tun, um die Kinder zu halten. Die [3][Arbeitsgemeinschaft der
Freien Wohlfahrtspflege (AGFW)] in Hamburg dreht den Spieß jetzt um. Nur
mit einer besseren Ausstattung könnte die stationäre Jugendhilfe dazu in
die Lage versetzt werden.
Die ist bei einer normalen Wohngruppe wahrlich nicht üppig. In der Regel
gibt es dort acht bis zehn Plätze. Der Personalschlüssel sieht laut
Mustervertrag für zehn Minderjährige etwa 5,78 Betreuerstellen vor, die
aber eben an sieben Tagen über 24 Stunden die Aufsicht abdecken müssen und
wegen Urlaub und Krankheit nicht jede Woche zur Verfügung stehen. „Das
System ist finanziell auf Kante genäht. Die Arbeitsbedingungen sind nicht
mehr zeitgemäß“, sagt AGFW-Sprecherin Sandra Berkling. So sei zum Beispiel
pro Tag und Kind nur eine individuelle Betreuungszeit von 15 Minuten
vorgesehen, und oft eine Fachkraft im Dienst „ganz auf sich allein
gestellt“.
Ein besonderes Problem stellten dabei die Nächte dar. Zwischen 22 Uhr
abends und sechs Uhr früh sollen die Betreuer in der Regel schlafen und nur
in seltenen Notfällen eingreifen. Deshalb werde diese Zeit nur zu 25
Prozent bezahlt. „Die Realität sieht aber anders aus“, sagt Berkling.
Gerade abends und nachts, wenn zum Beispiel die Angst bei traumatisierten
Jugendlichen am größten sei und Krisen aufgefangen werden müssten, seien
die Fachkräfte gefordert.
## Die 30-Stunden-Woche dauert 42 Stunden
Erzieher Andres Pleess, der bei der „Wohngruppe Ponton“ des [4][Trägers
„Gangway“] auf einer 30-Stunden-Stelle arbeitet, kann das bestätigen. Die
nächtliche Arbeit werde quasi als Ehrenamt angesehen. Seine Schicht beginnt
dann um 18 Uhr und dauert bis morgens um 10.30 Uhr. So komme es, dass er,
wenn er in der Woche zwei dieser Nachtschichten übernimmt, 42 Stunden
arbeiten muss, darunter zwölf, für die er nicht bezahlt wird.
„So kann man Fachkräfte nicht halten“, mahnt Carolin Becker,
Jugendreferentin beim Paritätischen Wohlfahrtverband. In der Pflege oder in
Krankenhäusern gebe es das nicht. „Die Jugendhilfe ist der einzige Bereich,
in dem Nachtschichten nicht refinanziert werden“, so Becker. Dadurch werde
der Bereich so unattraktiv, dass Erzieher lieber woanders arbeiten. „Wir
stellen heute Menschen ein, die hätten wir vor zehn Jahren nicht
eingestellt.“
Als die Zahl der minderjährigen Geflüchteten beim KJND wieder stark
anstieg, regte die Sozialbehörde an, die Träger sollten pro Wohngruppe für
sie einen Platz zusätzlich schaffen. Doch das gehe eben nicht, wenn die
Fachkräfte fehlten, sagt Becker. „Es gibt viele Träger, die besetzen
weniger Plätze, um die gute Versorgung zu gewährleisten und ihre Fachkräfte
zu halten.“
Der Träger „Gangway“ bietet drei intensivpädagogische Wohngruppen mit ein…
leicht besseren Schlüssel an. Er nimmt Jugendliche auf, die schon mehrere
Einrichtungswechsel hinter sich haben, teils schon ein oder zwei Jahre
nicht mehr zur Schule gehen und „das Vertrauen in die Erwachsenen verloren
haben“, wie Leiter Lars Dierking berichtet. Der Schlüssel des Erfolgs sei
Beziehungsarbeit, sagt er.
Die Nachfrage sei sehr hoch. „Im vergangen Jahr hatten wir 220
intensivpädagogische Anfragen, von denen wir 210 absagen mussten“, sagt
Dierking. Doch auch dieser Träger hat es nicht leicht, Personal zu
bekommen. Nach Einschätzung von Karen Polzin, Referentin für Jugendhilfe
der Diakonie, hat sich der Fachkräftemangel spätestens in der
Nach-Corona-Zeit deutlich verschärft.
## Sozialbehörde prüft jetzt Zahlung der Nachtsdienste
Um das Problem zu lösen, dass es für Kinder in Notsituationen, die viel zu
lange beim KJND bleiben müssen, keinen Platz gibt, wären nach Ansicht der
AGFW Verbesserungen für die Regelwohngruppen angebracht. In jedem Fall
wären eine Doppelbesetzung mit Fachkräften in den Gruppen wünschenswert,
gleiche Betreuungsmaßstäbe für junge Volljährige und eben vollständig
bezahlte Nachtschichten.
Gerade letzteres dürfte Geld kosten. „Die Forderung ist unpopulär“, sagt
Carolin Becker. Aber es dürfe nicht sein, dass die Elbvertiefung wichtiger
sei und die Jugendhilfe hinten runter fallen. „Kinder aller Altersgruppen
brauchen eine verlässliche und qualitativ hochwertige Betreuung“, sagt
Sandra Berkling. Da seien die im aktuellen Haushaltsetat der Stadt
vorgesehenen Standards „völlig unzureichend“.
Die [5][Hamburger Sozialbehörde] erteilt der Forderung nach genereller
Doppelbesetzung eine Abfuhr. Angesichts des hohen Bedarfs in Folge von
Fluchtbewegungen der vergangenen Jahre und des sich gleichzeitig negativ
auswirkenden Fachkräftemangels, liege die Priorität weiter bei „Erhöhung
der Platzzahl“, so ihr Sprecher Wolfgang Arnhold. Eine bessere Betreuung
von Kindern und Jugendlichen mit „komplexen Problemlagen“ habe die Behörde
aber „fortlaufend im Blick“. Und eine vollständige Bezahlung der
Nachtdienste, so der Sprecher, wird sogar „aktuell geprüft“.
17 Dec 2024
## LINKS
[1] /Debatte-nach-Randale-in-Kinderklinik/!6009081
[2] /Hamburger-Staatsraetin-zur-Jugendhilfe/!6028792
[3] https://www.agfw-hamburg.de/
[4] https://www.gangway.hamburg/
[5] /Sozialbehoerde-Hamburg/!t5530765
## AUTOREN
Kaija Kutter
## TAGS
Jugendhilfe
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