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# taz.de -- Klimakrise und Klimabewegung: Dramatische Ignoranz
> Die Menschen haben Sorgen: zu viele Kriege und zu wenig Hoffnung. Der
> Kampf gegen die Klimakatastrophe darf darüber nicht vergessen werden.
Bild: Der Klimawandel sorgt dafür, dass der Lebensraum für Eisbären kleiner …
Das Klima ist gerade nicht so wichtig, die Menschen haben andere Sorgen.“
Wer sich in diesen Zeiten fürs Klima einsetzt, hört aktuell wohl kaum einen
Satz so häufig wie diesen. Gebetsmühlenartig versuchen Politiker*innen
so, ihre Ignoranz zu rechtfertigen und Klimaaktivist*innen zu
diskreditieren.
Viel dramatischer allerdings ist, dass diese Geschichte auch bei einst
Klimabewegten verfängt, die beginnen, die Idee der klimapolitisch
desinteressierten Gesellschaft selbst zu übernehmen. Mitarbeiter*innen
von Klimaorganisationen also, die bei den ersten Klimastreiks Lautsprecher
und warmen Tee organisierten. Aktivist*innen, die vor wenigen Jahren noch
die Bagger in den Tagebauen mit ihren eigenen Körpern zum Erliegen
brachten.
Aber die Erzählung, dass „Klima kein Thema mehr“ sei, ist falsch. Und sie
droht zur selbsterfüllenden Prophezeiung zu werden, wenn sie weiter
kursiert. Sie demotiviert die Klimabewegten, die sich weiterhin engagieren,
und gibt allen, die auf fossile Interessen setzen, eine bequeme Ausrede für
Untätigkeit oder Rückschritte. Es stimmt natürlich, dass die
[1][Preissteigerungen, Wirtschaftskrise, Kriege in der Ukraine und Nahost
vielen Menschen – zurecht – Sorgen bereiten.] Was wir aber auch wissen: Der
weitaus größte Teil der Menschen macht sich weiterhin Sorgen um die
Klimakrise und wünscht sich mehr Klimaschutz von der Regierung. Das gilt
für Wähler*innen der Grünen genauso wie für jene der CDU.
Wer weiterhin Politik nach einer eindimensionalen Hierarchisierung von
Sorgen der Bevölkerung macht, wird an der Realität scheitern. Es gibt genug
junge Menschen, die sich riesige Sorgen um den Planeten machen und
gleichzeitig für ihren Führerschein sparen und sich fragen, wie der Sprit
in Zukunft bezahlbar bleibt. Das sind Menschen, die für den Klimaschutz zu
gewinnen sind, die man aber genau dann verliert, wenn man ihnen das Gefühl
vermittelt, dass die Ökologie nur noch Thema für diejenigen sei, die sonst
keine anderen Probleme haben.
## Rechte und Konservative triumphieren
In den letzten Monaten war zu beobachten, wie Progressive dabei versagen,
genau diese Gleichzeitigkeit anzuerkennen und zu erzählen. Stattdessen
lassen sie – von Verbänden bis hin zu Parteien – das Klima lieber fallen,
verunsichert durch den Gegenwind und überlassen die Debatte denjenigen, die
unsere Lebensgrundlagen nur allzu gern für die Profite fossiler
Großkonzerne über Bord werfen.
Rechte und Konservative triumphieren dabei, eine Geschichte zu spinnen, die
das Klima zum Irrelevanten verklärt. Wenn wir nicht aufpassen, fällt uns
zwar irgendwann unser Irrweg auf, aber womöglich haben wir dann bereits
jegliche Deutungshoheit verloren, zersetzt durch die Erzählungen der
Rechten.
Das Zurückstellen des Themas aus taktischen Überlegungen birgt eine weitere
Gefahr: Ohne übers Klima zu sprechen, werden wir Klimaschutz nicht umsetzen
können. Wer glaubt, Klimaschutz geräuschlos nebenbei abzuwickeln, der sitzt
einer gewaltigen Illusion auf. Als wir das erste Mal freitags die Schule
bestreikten, war die Aufregung über unseren Protest groß. Größer war jedoch
etwas anderes: die Hoffnung. Lehrkräfte, Politiker*innen,
Wissenschaftler*innen erzählten uns, dass sie endlich wieder ein Licht
am Ende des Tunnels sähen.
Unsere [2][Proteste waren kein verzweifelter oder entnervter Aufschrei
mehr, sie waren zum Ausruf einer kollektiven Erleichterung geworden].
Endlich waren da junge Menschen, die sich mutig für ihre Zukunft einsetzten
und sich den fossilen Logiken des politischen Betriebs widersetzten. Und
endlich hatte die Gesellschaft eine Projektionsfläche für ihre Hoffnungen
gefunden und machte uns damit anschließend direkt zum Verantwortungsträger
in allen Klimakrisenfragen.
Mittlerweile bedanken sich die Erwachsenen nicht mehr bei uns, sondern
fragen zunehmend verzweifelt, wo die Hoffnung denn hin sei. Dass die Jugend
die größte Herausforderung unserer Zeit allein lösen könnte, war von Anfang
an eine Illusion. Nur durch die jahrelange, oft fast unbemerkte Arbeit von
Klimabewegten aller Generationen, nur durch die Selbstorganisation vieler
Menschen, konnten unsere Klimastreiks überhaupt ihre Wucht und Größe
entfalten. Selbst dann, als Klima gerade nicht ganz oben auf der
politischen Prioritätenliste stand.
## Die Frage nach dem Ob, ist faul und feige
Politisch mächtig konnten Klimathemen nur werden, weil Menschen in
Unternehmen, in Klimaorganisationen, in der Politik diesen Impuls
aufnahmen. Die kleineren Proteste, die nachlassende politische
Aufmerksamkeit, die vermehrt negative Stimmung gegenüber
Klimaaktivist*innen lassen mich nicht kalt, ganz im Gegenteil.
Gleichzeitig sind diese Veränderungen auch deshalb so hart, weil die
Klimastreiks 2019 Millionen auf die Straße gebracht haben. Weil wir
erfolgreich den Kohleausstieg erkämpft haben. Weil wir die fossile Lobby so
überrollt haben, fühlt es sich heute umso härter an, wenn der Klimaschutz
angegriffen wird.
Wo [3][Klimaschutz] diskursiv unter die Räder gerät, kratzt das am
politischen Selbstbewusstsein aller Klimabewegten. Wir können und sollten
die Herausforderungen zum Anlass nehmen, uns zu fragen, wie wir weiter fürs
Klima kämpfen. Wenn daraus allerdings die Frage nach dem ob wird, ist das
faul und feige. In dem Jahr, in dem die Klimakrise in einem selbst für
Wissenschaftler*innen schockierenden Tempo eskaliert, ist die
Klimaignoranz der Progressiven ein Desaster für uns alle. Aktuell nimmt
keine politische Partei die ökologische Realität in der ihr gebührenden
Drastik ernst.
Wenn die ehemals Klimabewegten so weitermachen wie bisher, wird sich im
Wahlkampf daran nichts ändern. Nein, viel mehr noch, dann schaffen sie
einen Raum, in dem Klimaschutz zwischen den [4][Rückschrittsforderungen von
Friedrich Merz und dem Business-As-Usual-Gerede von SPD und Grünen]
gemütlich zerrieben werden kann. Ob es tatsächlich so weit kommt – dafür
tragen wir alle die Verantwortung.
31 Dec 2024
## LINKS
[1] /Weg-in-die-postfossile-Gesellschaft/!6052911
[2] /Klimastreik-von-Fridays-for-Future/!6037909
[3] /Studie-zum-Hitzerekord-im-Jahr-2023/!6057456
[4] /Klimaschuetzer-zu-Wahlprogrammen/!6052182
## AUTOREN
Pauline Brünger
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