# taz.de -- Spielfilm über BDSM-Beziehungen: Sie kommt nicht, aber sie hat den… | |
> Joanna Arnows erster autofiktionaler Spielfilm ist lustig und subversiv. | |
> In ihm entfaltet sich die Suche einer jungen Frau nach einem | |
> Lebensentwurf. | |
Bild: BDSM-Beziehung: Ann (Joanna Arnow) und Allen (Scott Cohen) | |
Ann ist nackt. Sie liegt mit dem anscheinend bekleideten, halb zugedeckten | |
Allen, der seine Augen geschlossen hat, im Bett, und reibt sich an seinem | |
Bein. Ihre ersten Sätze lauten: „Es ist dir egal, ob ich komme. Du machst | |
nie irgendwas für mich. Das ist so respektlos und misogyn!“ Sie macht eine | |
Pause und fragt: „Meinst du, dass Menschen sich ändern können?“ Allen sag… | |
„Ich weiß nicht.“ | |
Ann macht weiter mit ihren Bewegungen, Allen öffnet endlich seine Augen und | |
sagt: „Kannst du damit aufhören?“ So lakonisch geht es in Joanna Arnows | |
Komödie „Dieses Gefühl, dass die Zeit, etwas zu tun, vorbei ist“ weiter, | |
wobei diese erste Szene leicht in die Irre führt. | |
Denn wir haben es bei Ann und Allen nicht mit einem Paar zu tun, das | |
zusammenlebt, sondern mit einer rein sexuellen [1][BDSM]-Beziehung. Ann | |
spielt dabei den submissiven Part. Sie führt aus, was die Männer, mit denen | |
sie schläft (Allen ist nicht der einzige), von ihr möchten, damit sie gemäß | |
ihres Skripts zum Orgasmus kommen. | |
Trotzdem zeigt schon diese erste Szene, was sich im Film immer deutlicher | |
entfaltet: Dass es – gegen das Klischee des dominanten Meisters und der | |
gehorsamen Sexsklavin– Ann ist, die in diesen sexuellen Beziehungen am Ende | |
den Hut auf hat, auch wenn sich die Männer wenig für sie als Person | |
interessieren. Sie entscheidet, was sie tut oder nicht tut, die Männer sind | |
letztlich Gefangene ihrer sexuellen Fantasien, aus denen sie nicht | |
herauskönnen, um in eine tatsächliche Beziehung zu treten. | |
## Genie des Filmemachens | |
Ähnlich sieht es in Anns Büro aus. Ann ist in ihren Dreißigern, sie hat | |
einen nicht besonders interessanten Job in einem mittelständischen | |
Unternehmen. Anders als manchen Kolleg*innen gelingt es ihr, im Laufe | |
von mehreren Umstrukturierungsmaßnahmen nicht rausgeworfen zu werden, | |
obwohl sie sich ihren allesamt autoritär auftretenden männlichen | |
Vorgesetzten gegenüber durchaus renitent gibt. | |
Joanna Arnow ist ein Genie des Filmemachens. Sie hat das Drehbuch für | |
diesen sehr lustigen, intelligenten und subversiven Film geschrieben und | |
die Regie geführt. Sie zeichnet für den Schnitt verantwortlich und spielt | |
noch dazu selbst die Hauptrolle. | |
Allein Letzteres ist eine Meisterleistung, da die Regisseurin in gefühlt | |
der Hälfte der kurzen Vignetten, aus denen sich ihr Film zusammensetzt, | |
nackt ist und noch dazu in relativ expliziten Sexszenen agiert. Arnow | |
bezeichnet ihren Film als autofiktional, weil er sich aus vielerlei eigenen | |
Erlebnissen und Gesprächen speise, aber nicht als autobiografisch. | |
Die Dialoge in den kurzen Szenen, die sich zu einem Mosaik des Lebens einer | |
jungen amerikanischen Frau zusammenfügen, sind allesamt kurz, aber so | |
pointiert, dass sie präzise Auskunft über die Beziehungen der Protagonisten | |
zueinander geben. Ann geht etwa durch die Straßen und telefoniert mit ihrer | |
Mutter, deren Stimme nicht zu hören ist. Die Mutter klagt anscheinend | |
darüber, Hunger, aber nichts zu essen zur Hand zu haben. Ann sagt: „Ich | |
gehe nie ohne Snacks aus dem Haus.“ Kurze Pause. Ann: „Nein, ich esse nicht | |
zu viele Snacks.“ | |
## Imperativ von Selbstverwirklichung | |
Mutter und Vater sind alte jüdische Hippies. Wenn der Vater mit Emphase | |
Arbeiterlieder auf der Klampfe spielt, scheint er glücklich zu sein. | |
Natürlich lieben beide ihre Tochter, sind aber zu sehr mit sich selbst | |
beschäftigt, um wirklich mit ihr in Kontakt zu treten. | |
In einer Szene ist beim Tele-Yoga eine Stimme zu hören, die sagt: „Ihr seid | |
mehr als eure Arbeit, als eure Stellenbeschreibung, eure Gedanken, eure | |
Körper.“ Ja, schön, gut zu wissen, scheint Joanna Arnow zu sagen, aber wie | |
lässt sich dieser Imperativ von Selbstverwirklichung und Selbstsorge in ein | |
gelungenes Leben übersetzen? | |
Ann nimmt einen Anlauf, um ihr Leben zu ändern. Ob das gelingt, wissen wir | |
nicht. Die Regisseurin hat eine Szene an den Schluss gesetzt, zu deren | |
Interpretation wir selbst aufgerufen sind. Der Film geht nach dem letzten | |
Bild also noch eine Weile im Kopf weiter. Mehr kann Kunst nicht erreichen. | |
12 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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