# taz.de -- Bündnis Sahra Wagenknecht: Ein Bestsellerautor will in den Bundest… | |
> Als Nahostexperte hat Michael Lüders unter anderem die Bundesregierung | |
> beraten. Jetzt tritt er für Sahra Wagenknecht zur Bundestagswahl an. | |
Bild: Traumergebnisse für den Kandidaten: Michael Lüders beim ersten Parteita… | |
Berlin taz | Nein, von der deutschen Außenpolitik hält Michael Lüders | |
wenig. „Unsere politische Klasse lebt in ihrer eigenen Wirklichkeit, ihrer | |
eigenen Blase“, sagt der hochgewachsene 65-Jährige, der stets Jackett | |
trägt. Die Bundesregierung sei „weitgehend beratungsresistent“. Seine | |
Einblicke als Sachverständiger im Afghanistan-Untersuchungsausschuss des | |
Bundestags hätten ihn in dieser Auffassung bestärkt. „Ich war teilweise | |
erschüttert über das Ausmaß an Unkenntnis dessen, worüber man redet. Die | |
Deutschen haben sich den Einsatz schöngeredet nach dem Motto: Wir | |
ermöglichen es Mädchen, die Schule zu besuchen. Aber das ist ja nicht die | |
primäre Aufgabe einer militärischen Intervention.“ | |
Michael Lüders ist schon länger ein scharfer Kritiker nicht nur der | |
deutschen, sondern der westlichen Außenpolitik insgesamt. Bekannt wurde der | |
Journalist, promovierte Islamwissenschaftler und frühere Zeit-Redakteur als | |
Nahost-Experte, der eine Weile lang häufig in Funk und Fernsehen zu Gast | |
war. In seinen Bestsellern wie „Wer den Wind sät“, „Die den Sturm ernten… | |
und „Hybris am Hindukusch“ widmete er sich hingebungsvoll den ideologischen | |
Irrtümern und Fehlern westlicher Interventionen im Irak, in Syrien und | |
Afghanistan. Manche warfen ihm deshalb vor, antiwestliche Ressentiments zu | |
verbreiten. In Rezensionen wurde Lüders’ Büchern „Schwarz-Weiß-Malerei�… | |
„Provokationslust“ und sogar „Zynismus“ vorgeworfen. | |
Nun schlägt der 65-Jährige ein neues Kapitel auf, ein politisches. Anfang | |
des Jahres gehörte Lüders zu den Gründungsmitgliedern des [1][„Bündnis | |
Sahra Wagenknecht“ (BSW)]. Jetzt will er für die Partei in den Bundestag, | |
tritt als Kandidat in Sachsen-Anhalt an, auf Listenplatz 1. | |
## Expertise unbestritten, Einschätzungen umstritten | |
Politisch passen der Nahost-Experte und das BSW gut zusammen. Mit | |
Wagenknecht, Oskar Lafontaine und Co teilt er die überaus kritische Haltung | |
zur Nato und den USA, die er in seinen letzten Büchern zu steilen Thesen | |
zuspitzte. In seinem 2021 erschienenen Buch „Die scheinheilige Supermacht“ | |
forderte Lüders, Europa müsse „aus dem Schatten der USA heraustreten“. In | |
„Moral über alles?“ plädierte er zwei Jahre später dafür, Deutschland s… | |
sein wirtschaftliches Eigeninteresse gegenüber Russland über moralische | |
Skrupel stellen. Das klang schon stark nach Wagenknecht. | |
Schon beim BSW-Bundesparteitag im Januar in Berlin war Lüders der heimliche | |
Star und erhielt als Kandidat für den erweiterten Vorstand und für die | |
Europawahlliste jeweils die besten Ergebnisse von allen. Als „spannenden | |
Versuch“ bezeichnet Lüders seinen Rollenwechsel zum Politiker. Aber droht | |
dieser nicht, seinen Ruf als unabhängiger Intellektueller zu untergraben? | |
„Ich werde ohnehin nicht mehr so oft in Talkshows eingeladen“, wiegelt | |
Lüders ab. | |
Die Urteile seiner Kollegen über ihn sind gespalten. „Michael Lüders ist | |
sehr freundlich, kollegial und stets sachlich“, sagt die Syrien-Expertin | |
Kristin Helberg. Sie schränkt aber auch ein: „Bei manchen Konflikten macht | |
er es sich mit seiner geostrategischen Analyse zu einfach, indem er dem | |
Westen alle Schuld zuschiebt.“ | |
Lüders’ Expertise ist dagegen unbestritten. Er beriet unter anderem das | |
Auswärtige Amt und die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung, erstellte | |
Fachgutachten für das Entwicklungshilfeministerium und lehrte an | |
Universitäten in Marburg, Trier und in der Türkei. Sieben Jahre lang, von | |
2015 bis 2022, war er Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft, in | |
Nachfolge des Welterklärers Peter Scholl-Latour. Nebenher schrieb er | |
mehrere Romane. | |
## Knick in der TV-Karriere wegen Syrien | |
Seine TV-Karriere erlitt während des Kriegs in Syrien einen Knick, nachdem | |
er wegen seiner damaligen Haltung scharf angegriffen wurde. Wie sein | |
erklärtes Vorbild, der US-Investigativjournalist Seymour Hersh, zweifelte | |
Lüders daran, dass Syriens Diktator Assad im April 2017 einen | |
Giftgasangriff befohlen hatte, wie es westliche Regierungen damals | |
behaupteten. Bei Markus Lanz legte Lüders nahe, die Türkei habe Saringas an | |
Rebellengruppen in Syrien geliefert. Eine UN-Sonderkommission kam später | |
zum Ergebnis, dass das Giftgas aus syrischen Beständen stammte. Wer genau | |
es eingesetzt hat, ist aber bis heute ungeklärt. Seitdem haben Lanz oder | |
andere große Talkshows ihn nicht mehr eingeladen. | |
Dafür hat sich Lüders selbst ein neues mediales Standbein aufgebaut: Sein | |
Youtube-Kanal hat über 70.000 Abonnent:innen, manche seiner oft über | |
einstündigen Vorträge werden dort teilweise über 100.000 Mal abgerufen. „So | |
ein Format, in dem man mal Zusammenhänge erklären kann, das hat etwas | |
Befreiendes“, sagt Lüders. „Also mir tut das gut. Sonst kann man oft ja nur | |
verzweifeln an der Welt.“ | |
Lüders Kritik an einer „moralisierenden Außenpolitik“ der grünen | |
Außenministerin Annalena Baerbock ähnelt auf den ersten Blick der Kritik | |
des konservativen Historikers Andreas Rödder, einem Vordenker der Union, | |
der in die gleiche Kerbe schlägt. Rödder meint aber etwas ganz anderes: Er | |
will trotz Trump an der Westbindung zu den USA festhalten, auch wenn das | |
gemeinsame Wertefundament bröckelt. Konservative wie Rödder nehmen es in | |
Kauf, wenn Verbündete wie die USA oder Israel eine völkerrechtswidrige | |
Politik der Stärke verfolgen, Russland aber mit moralischen Argumenten | |
kritisieren. Das BSW verhält sich spiegelbildlich dazu: Es ist bereit, | |
Russlands völkerrechtswidrige Politik der Stärke zu akzeptieren, kritisiert | |
dafür aber die Politik des Westens auch moralisch. | |
## Scharfe Kritik an Israels Kriegsführung | |
Keine andere Partei prangert auch die israelische Kriegsführung in Gaza und | |
im Libanon mit so scharfen Worten an wie das BSW. Wagenknecht spricht von | |
einer „barbarischen Kriegsführung“, Oskar Lafontaine gar von „Völkermor… | |
Das BSW fordert, Waffenlieferungen an Israel zu stoppen. Das Thema Gaza | |
rangiert in der Partei aber nicht so prominent wie der Krieg in der | |
Ukraine. „Es ist ein sehr stark emotionalisierendes Thema“, sagt Lüders. | |
Darum halte man sich damit zurück, es stärker ins Zentrum zu rücken. Berät | |
Lüders Wagenknecht in Nahost-Fragen? „Wir, die sich innerhalb der Partei | |
mit der Region befassen, tauschen uns aus“, antwortet er ausweichend. | |
Auch Lüders selbst sieht die deutsche Haltung zu Israel sehr kritisch. Sein | |
neues Buch „Krieg ohne Ende?“ handelt davon. Israel sei dabei, den Nahen | |
Osten „in die Luft zu jagen“. Israelische Extremisten seien „völlig | |
entfesselt“, sagt er. Die deutsche Politik wiederum halte „an Positionen | |
fest, die einmal ihre Berechtigung gehabt haben mögen, aber längst von der | |
Realität überrollt worden sind“. Frankreich, Spanien und Italien hätten | |
Waffenlieferungen an Israel gestoppt, mehrere Staaten der EU Palästina als | |
Staat anerkannt oder sich sogar, wie Spanien und Irland, der | |
Völkermordklage Südafrikas angeschlossen. Deutschland dagegen habe sich als | |
einziges Land in Den Haag an die Seite Israels gestellt. | |
„Wir machen uns mitschuldig an einem Genozid“, ist Lüders überzeugt. Und … | |
warnt, das werde auch materielle Folgen haben. Es drohe eine neue | |
Fluchtbewegung aus dem Nahen Osten nach Europa, wenn die Palästinenser von | |
dort vertrieben würden. Und Deutschlands Ruf in der Welt habe zudem | |
mindestens so stark gelitten wie das Ansehen der USA nach dem Irakkrieg. | |
„Wir konkurrieren mit anderen Ländern um Energie und Ressourcen. Warum | |
sollen wir Besserwisser, die wir aus Sicht vieler sind, in Zukunft noch den | |
Zuschlag kriegen?“ | |
## Pessimistisch für Deutschland | |
Auch mit Blick auf die Ukraine ist Lüders pessimistisch. „Es hieß immer: | |
Wir rüsten die Ukraine auf, damit sie aus einer Position der Stärke | |
verhandeln kann. Aber inzwischen sind 100.000 ukrainische Soldaten | |
gestorben, es gibt einfach keine Kämpfer mehr.“ Die Ukraine könne diesen | |
Krieg nicht gewinnen. Und der designierte Vizepräsident des künftigen | |
US-Präsidenten Donald Trump, J. D. Vance, habe bereits klargemacht, | |
Deutschland solle nach dem Ende des Kriegs dort den Wiederaufbau | |
übernehmen. „Das wird die deutsche Wirtschaft weiter belasten“, fürchtet | |
Lüders. | |
24 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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