| # taz.de -- Autorin über Mütter in der Wissenschaft: „Meetings nach 16 Uhr … | |
| > Zwischen Dissertation und Mental Load: Warum Mutterschaft ein | |
| > Karrierenachteil für Wissenschaftler*innen ist und was dagegen | |
| > helfen könnte. | |
| taz: Frau Vogelaar, Ihr Buch richtet sich an schreibende Mütter in der | |
| Wissenschaft. Brauchen Väter keine Tipps? | |
| Wiebke Vogelaar: Mir geht es darum, die spezifischen Probleme von Müttern | |
| anzusprechen, die noch immer den Hauptteil von häuslicher Sorgearbeit | |
| leisten. Care-Arbeit und Mental Load haben großen Einfluss auf die Frage, | |
| wie produktiv und konzentriert eine Person sich ins wissenschaftliche | |
| Denken und Schreiben vertiefen kann. Gleichzeitig schreibe ich aber von | |
| Müttern*: Das heißt, alle, die sich in der beschriebenen Situation | |
| wiedererkennen, sind angesprochen. | |
| taz: Wo liegen die Probleme für Mütter in der Wissenschaft? | |
| Vogelaar: Die Zahl der Mütter in der Wissenschaft steigt zwar, | |
| verhältnismäßig aber sind es noch immer wenig. Von insgesamt nur 25 Prozent | |
| Professorinnen sind längst nicht alle Mütter. Wissenschaft ist kein Job, in | |
| dem man gut pausieren kann, um sich intensiv um etwas anderes zu kümmern. | |
| Daher wird die Zeit mit Babys und Kleinkindern schnell problematisch: Wer | |
| nichts veröffentlicht, kommt nicht weiter. Zudem ist inzwischen klar, dass | |
| Mütter eine Muttertät durchleben. | |
| taz: Was ist das? | |
| Vogelaar: Der Prozess des Mutterwerdens. Ein genauso radikaler, jahrelanger | |
| Transformationsprozess wie die Pubertät. Bei Wissenschaftler*innen | |
| fällt der oft in die Qualifikationszeit. Wenn genau dann Dissertationen | |
| nicht zu Ende geschrieben werden oder die Zeit und die Kraft fehlen, sich | |
| auf Stellen zu bewerben, hat das einen langfristigen Nachteil auf die | |
| Karriere. | |
| taz: Ist das der Grund, dass Frauen vor allem in der Zeitspanne zwischen | |
| Studium und Professur verloren gehen? | |
| Vogelaar: Mütter sind untererforscht, Frauen sind untererforscht. Aber ich | |
| vermute: Mutterschaft ist ein enormer Faktor. Das liegt auch daran, dass | |
| Mütter Prozesse und Strukturen neu hinterfragen: Kann ich Teil des | |
| Wissenschaftsbetriebs sein – und will ich es? | |
| taz: Sie prägen Wörter, um derlei Prozesse zu beschreiben, zum Beispiel | |
| Academic Mom Guilt. Was bedeutet das? | |
| Vogelaar: Die Academic Guilt besagt: Es gibt keinen Feierabend in der | |
| Wissenschaft. Man kann immer noch weiter schreiben, lesen, Veranstaltungen | |
| besuchen. Das hat Parallelen zur Mutterschaft: Mütter können nie gut genug | |
| sein, weil es gesellschaftlich völlig überzogene Erwartungen an sie gibt. | |
| Dieses doppelte Spannungsfeld betrifft Mütter in der Wissenschaft ganz | |
| anders als Väter. Einfach mal fertig zu sein,gibt es in beiden | |
| Lebensbereichen nicht. | |
| taz: Was raten Sie? | |
| Vogelaar: Tatsächlich müssen sich Mütter in der Wissenschaft zuerst fragen, | |
| wie es ihnen gerade geht. Haben sie genug Kraft und Freiraum, sich selbst | |
| zu spüren, kreativ und konzentriert zu sein? Jenseits dessen müssen sie die | |
| Baustelle angehen, wie Care-Arbeit zu Hause verteilt ist. Und drittens | |
| müssen sie prüfen, ob das Forschungsprojekt, das sie vor der Mutterschaft | |
| anfangen wollten oder bereits angefangen haben, noch das ist, was sie | |
| verfolgen wollen und können. | |
| taz: Und die praktischen Schritte? | |
| Vogelaar: Es ist wichtig, in kleinen Zeitfenstern zu denken. Es ist gerade | |
| zu Beginn leichter, eine Stunde nicht daran zu denken, welche Matschhose in | |
| welcher Größe noch bestellt werden muss, das Handy wegzulegen und so | |
| Konzentrationszeitfenster zu schaffen, die im Gesamttag meistens nicht | |
| möglich sind. | |
| taz: Das klingt recht naheliegend. Was ist neu an Ihren Strategien? | |
| Vogelaar: Vieles ist naheliegend – aber es fällt schwer, diese in dem | |
| Rennen, es allen recht zu machen, wirklich zu praktizieren. In der oft | |
| neuen Situation der Mutterschaft muss man erst wieder ein Verständnis für | |
| sich entwickeln, den neuen Kontext verstehen und die Produktivitätsmethoden | |
| mit diesem zusammenbringen. | |
| taz: Sie schreiben, sowohl Muttersein als auch Wissenschaft seien jeweils | |
| Vollzeitjobs. Sie selbst haben sich gegen ein Leben als Mutter in der | |
| Wissenschaft entschieden. Weil es eben doch nicht geht, beides in Einklang | |
| zu bringen? | |
| Vogelaar: Ich habe während meiner Promotion selbst Schreibcoaching in | |
| Anspruch genommen und gemerkt, dass das ein Berufsfeld für mich ist. Aber | |
| ich wünsche mir wesentlich mehr Mütter in der Wissenschaft, weil deren | |
| Perspektive sonst fehlt. Es ist wichtig, wer welche Erfahrung mitbringt und | |
| wer welche Themen auf die Agenda schreibt, das macht etwas mit der | |
| Wissenschaft. Aber jede Person muss für sich selbst entscheiden können, ob | |
| sie sich diesen besonderen Herausforderungen stellen kann und will. | |
| taz: Trotzdem: Ist eine gesunde Vereinbarkeit nicht letztlich ein Ding der | |
| Unmöglichkeit? | |
| Vogelaar: Meetings nach 16 Uhr sind nicht in Ordnung. Es ist belastend, | |
| wenn Semesterferien und Schulferien verschieden liegen. Es gibt viele | |
| systemische Faktoren, die an den Unis geändert werden müssen, und | |
| Vereinbarkeit sollte nicht in der Verantwortung Einzelner liegen. Ich | |
| selbst engagiere mich für die politische Ebene zum Beispiel im Netzwerk | |
| Mutterschaft und Wissenschaft und dem neu gegründeten Roten Tisch Berlin. | |
| Aber die, die gerade in der Situation sind, trotz Care-Arbeit schreiben zu | |
| müssen und zu wollen, haben akuten Bedarf nach Unterstützung. Ich richte | |
| mich an die, die nicht warten können, bis sich der Wissenschaftsbetrieb | |
| verändert hat. | |
| 11 Dec 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Patricia Hecht | |
| ## TAGS | |
| Wissenschaft | |
| Mütter | |
| Care-Arbeit | |
| Arbeit | |
| GNS | |
| Social-Auswahl | |
| Hochschule | |
| Haushalt | |
| Ausgehen und Rumstehen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Bildungsversprechen nach Ampel-Aus: Nachwuchsforscher:innen müssen weiter leid… | |
| Mit der Einigung auf den Digitalpakt 2.0 hat Bildungsminister Cem Özdemir | |
| einen Coup gelandet. Andere Bildungsvorhaben der Ampel sind vom Tisch. | |
| Kürzungen bei Wissenschaftsinstitutionen: Blutleere Wissenschaft | |
| Die Wissenschaftsinstitutionen bleiben vom Rotstift des Senats nicht | |
| verschont. Kleine Institute und Studierende bekommen die Kürzungen zu | |
| spüren. | |
| Mutterschaft in der Kultur: Care-Arbeit und Superkräfte | |
| Sowohl auf Theaterbühnen als auch auf der diesjährigen Berlinale wird | |
| Mutterschaft zum Thema. Bei unserer Autorin ist es noch (?) nicht so weit. |