# taz.de -- Ausstellung über Politkunst: Äußerst fragwürdiger Wahrheitsbegr… | |
> In der Schau „Visual Investigations. Zwischen Aktivismus, Medien und | |
> Gesetz“ lässt sich das TU-Architekturmuseum München von Infobildern | |
> verführen. | |
Bild: Die Gegenkultur setzt jetzt auch Gesichtserkennungssoftware ein. Szene au… | |
Menschenrechtsverletzungen, von wem auch immer begangen, hinterlassen | |
Spuren. Solche, die offenkundig sind, und solche, die ohne technologische | |
Hilfsmittel wohl im Verborgenen bleiben würden. | |
Während sich die technischen Möglichkeiten derzeit schnell | |
weiterentwickeln, nehmen Menschenrechtsverletzungen einen immer größer | |
werdenden Raum im öffentlichen Diskurs ein, nicht nur in der digitalen | |
Öffentlichkeit sozialer Netzwerke. | |
Die Ausstellung „Visual Investigations. Zwischen Aktivismus, Medien und | |
Gesetz“ im Architekturmuseum an der Technischen Universität München blickt | |
auf dieses noch relativ junge Feld der Erforschung und Aufklärung von | |
Verbrechen durch visuelle IT-Werkzeuge. | |
## Schlagzeilen mit aufwendiger Recherche | |
Dafür setzen sich zumeist interdisziplinäre Teams aus Journalisten, | |
Informatikern, Datenanalytikern, Designern, Architekten und Filmemachern | |
zusammen. Mit aufwendigen Recherchen sorgten diese investigativen Teams | |
zuletzt immer wieder für Schlagzeilen. | |
Besonders bekannt ist die kürzlich mit dem Alternativen Nobelpreis | |
ausgezeichnete [1][Gruppe Forensic Architecture] um den Londoner | |
Architekten Eyal Weizman, aber auch die Recherchekollektive Bellingcat oder | |
das in New York beheimatete SITU kennt man vielleicht. Nicht zuletzt, da | |
die Arbeiten [2][dieser Gruppen auch viel in Kunstausstellungen zu sehen | |
sind]. Sie alle wollen komplexe, politische Ereignisse mithilfe von | |
Technologie rekonstruieren und so Beweismittel für rechtliche wie auch | |
journalistische Zwecke bereitstellen. | |
Die Münchner Schau stellt nun sieben solcher investigativen Untersuchungen | |
vor und blickt dabei besonders auf die Rolle, die Architekten bei den | |
Recherchen spielen. Handelt es sich doch viel um die Erfassung und | |
Darstellung von Räumen, von Straßen, zerstörten Gebäuden und Tatorten. | |
## Mit Unrecht um die Welt | |
Die beiden Kuratoren, die Architektin Lisa Luksch und der | |
Architekturhistoriker Andres Lepik, präsentieren dafür Untersuchungen zu | |
chinesischen Internierungslagern in Xinjian, Polizeigewalt in den USA, der | |
Tötung eines kolumbianischen Journalisten, [3][dem russischen Angriff auf | |
das Theater in Mariupol], Landenteignung im Westjordanland, zu politischen | |
Morden während Mexikos „Schmutzigem Krieg“ sowie zu den Folgen der | |
Klimakatastrophe für pazifische Inselstaaten. | |
Die Schau konfrontiert mit einer multimedialen Fülle an Raumanalysen und | |
3D-Modellierungen bis hin zu Darstellungen des Einsatzes von KI und | |
maschinellem Lernen. Dabei seien die vielgestaltigen Infobilder stets einer | |
„sachlichen, transparenten, wertfreien und möglichst unabhängigen | |
Sichtbarmachung von Fakten und Zusammenhängen“ verpflichtet, behaupten | |
Luksch und Lepik. | |
Doch verpasst das Kuratorenteam gleich zu Beginn seiner Ausstellung eine | |
kritische Einordnung. Denn es wird ausgespart, dass den vermeintlich | |
wertfreien Darstellungen bestimmte Narrative zugrunde liegen. So | |
präsentiert „Visual Investigations“ am Beispiel des Westjordanlandes, wie | |
Agrarflächen durch die israelische Besatzungsmacht systematisch umgewandelt | |
werden. | |
## Einseitiges Bild | |
Satellitenaufnahmen zeigen die Verwandlung von Olivenbaumplantagen | |
palästinensischer Landwirte zu Weinanbausystemen israelischer Siedler. In | |
Videos und Texten, beruhend neben Landbildaufnahmen auf | |
Vor-Ort-Dokumentation und Zeugenaussagen, wird Besuchern ein höchst | |
einseitiges Bild der Situation im Westjordanland vermittelt. | |
Über die Hintergründe, wie es zu dieser Situation kommen konnte, die seit | |
1967 besteht, wird kaum informiert. Auch fehlen in der Darstellung | |
[4][israelische Stimmen]. Das vermeintlich Faktische offenbart hier | |
deutlich ideologische Schlagseite. Die „Beweisführung“ selbsternannter | |
Feldforscher etwa, die eher Politaktivisten zu sein scheinen, führt auf | |
geradem Wege zur Untermauerung der Apartheid-Hypothese. | |
Auch wenn es um die Aufarbeitung von Polizeigewalt während der Proteste in | |
New York infolge der Tötung des Afroamerikaners George Floyd geht, neigt | |
man zu Einseitigkeit. Ein „Experiment“ der Gruppe SITU will Methoden zur | |
Identifikation mutmaßlich an Gewalt beteiligter Beamter aufzeigen. Mittels | |
KI-gestützter Gesichtserkennungsalgorithmen decken die Rechercheure die | |
Identitäten beteiligter Beamte auf. | |
Wenn offizielle, staatliche Stellen solche Überwachungstechnologien | |
anwenden, führt dies – berechtigterweise – zu öffentlicher Kritik. Doch d… | |
selbstermächtigte Privatermittler wird in der Ausstellung seltsamerweise | |
unkritisch eingeordnet. | |
Solche einzelnen Versäumnisse werfen insgesamt ein ungünstiges Licht auf | |
die ambitionierte Schau. So überwiegt der Eindruck einer eher naiven | |
Technologiebejahung und eines fragwürdigen Objektivitäts- wie | |
Wahrheitsbegriffs. Erkenntnistheoretische Herausforderungen und praktische | |
Folgen, denen Redaktionen, aber auch eine breite Öffentlichkeit, angesichts | |
der Visual Investigations gegenüberstehen, bleiben so unterbelichtet. | |
15 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Chris Schinke | |
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