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# taz.de -- Neuwahlen auch in Irland: Dürfen sie schon im November?
> Irlands Regierungschef Simon Harris will die Parlamentswahl vorziehen
> lassen. Der Grund ist der rapide Absturz von Sinn Féin wegen einiger
> Skandale.
Bild: Simon Harris (l) und Sir Keir Starmer bei einem Guiness im britischen Che…
Dublin taz | Die Gelegenheit schien zu günstig, um ihr zu widerstehen:
Irlands Regierungskoalition aus den konservativen Parteien Fine Gael (Stamm
der Gälen) und Fianna Fáil (Soldaten des Schicksals) sowie den Grünen
liegt bei Umfragen vorn, so dass Premier Simon Harris die Parlamentswahlen
vorziehen will. Statt turnusmäßig im Frühjahr 2025 wird voraussichtlich am
29. November gewählt.
Wie Harris am Mittwoch erklärte, will er nach seiner Rückkehr vom
Europagipfel in Budapest an diesem Freitag den irischen Staatschef um die
Auflösung des Parlaments und Ansetzung von Neuwahlen bitten. Dies habe er
mit seinen Koalitionspartnern vereinbart. Am Donnerstag und Freitag soll
das Parlament noch den neuen Staatshaushalt verabschieden.
Grund für die Eile ist [1][der rapide Niedergang von Sinn Féin (Wir
selbst)], dem ehemaligen politischen Flügel der aufgelösten
Irisch-Republikanischen Armee (IRA). Noch Anfang des Jahres lag die Partei
bei 36 Prozent – scheinbar uneinholbar vor den beiden konservativen
Parteien, die Irlands Politik seit der Staatsgründung vor gut hundert
Jahren dominiert haben. Da Sinn Féin in Nordirland stärkste Partei ist und
dort die Erste Ministerin stellt, träumten die Anhänger schon von der
bevorstehenden Vereinigung Irlands.
Der Traum ist ausgeträumt. Das hat verschiedene Gründe. Zunächst wurde
bekannt, dass der Belfaster Ex-Bürgermeister und irische Senator Niall
O’Donghaile zurücktreten musste, weil er einem 16-jährigen Parteimitglied
„unangemessene Nachrichten“ geschickt hatte. Parteichefin Mary Lou McDonald
schob „gesundheitlichen Probleme“ vor, bis die wahren Gründe bekannt
wurden.
## Tadellose Zeugnisse
Das war lediglich der Beginn eines Sturms, der sich über Sinn Féin
zusammenbraute. Der Pressesprecher der Partei, Michael McMonagle, war im
Juni vor zwei Jahren wegen pädokrimineller Taten suspendiert worden.
Dennoch stellten ihm zwei führende Sinn-Féin-Mitglieder tadellose Zeugnisse
für einen Job bei der British Heart Foundation aus.
Die Wohltätigkeitsorganisation fiel aus allen Wolken, als sie durch die
Medien von McMonagles Vergangenheit erfuhr. Der hatte sich 14 Straftaten
für schuldig bekannt, darunter der Versuch, ein Kind zu sexuellen
Handlungen anzustiften. Das Urteil fällt am 8. November. Noch
schwerwiegender war, dass McDonald versucht hatte, die Schuld auf die
British Heart Foundation abzuwälzen.
Im Juli erhob ein weibliches Sinn-Féin-Mitglied eine partei-interne Klage
gegen den Abgeordneten Brian Stanley, den Vorsitzenden des mächtigen
Rechnungsprüfungsausschusses, wegen eines Zwischenfalls im Oktober 2023.
Einzelheiten wurden nicht veröffentlicht. Die Partei leitete eine
Untersuchung ein, worauf Stanley aus der Partei austrat: Die interne
Untersuchung sei eine Farce, sagte er, Sinn Féin hätte den Vorfall – den er
bestreitet – sofort der Polizei übertragen müssen.
[2][Sinn Féin reagiere auf Kindesmissbrauch in ihren Reihen wie die
katholische Hierarchie], schreibt der Kolumnist der Irish Times, Fintan
O’Toole: „Der Parteifunktionär ist, wie der Priester, einer von uns und
muss daher mit Mitgefühl und Verständnis behandelt werden. Das Opfer ist
ein Problem, das mit dem geringstmöglichen Schaden für das Vertrauen der
Gläubigen bewältigt werden muss.“
## Erheblicher Dämpfer
Es kann immer noch schlimmer kommen, musste Sinn Féin feststellen. Mitte
Oktober trat auch die Abgeordnete Patricia Ryan aus der Partei aus, nachdem
sie vor einer Veranstaltung in ihrem Wahlkreis ermahnt worden war, der
Parteichefin keine „negativen oder unangemessenen“ Fragen zu stellen. Die
Fragen sollten vorab in einer Whatsapp-Gruppe eingereicht werden. Elf
Mitglieder der Bezirksgruppe verließen daraufhin ebenfalls die Partei.
Schon bei den Kommunal- und Europawahlen Anfang Juni hatte die Partei einen
erheblichen Dämpfer erlitten. Dass sie längst nicht mehr bei gut 30 Prozent
lag, war der Parteiführung klar, aber der Absturz auf 12 Prozent – weniger
als die Hälfte ihres Ergebnisses bei den Parlamentswahlen 2020 – war dann
doch ein Schock. Dabei war das Ausmaß der Skandale damals noch gar nicht
bekannt.
Es gab dafür auch andere Gründe. Nach den Unruhen in Dublin vorigen
November, als Busse und Straßenbahnen in Brand gesteckt und Geschäfte
geplündert wurden, forderte McDonald den Rücktritt des Polizeipräsidenten
und der Justizministerin. Das war eine gravierende Fehleinschätzung, denn
die meisten machten die Randalierer und nicht die Polizei für das Chaos
verantwortlich.
## Als Verräterin angeprangert
Hinzu kam, dass Sinn Féin eine liberale Linie bei der Einwanderung
vertritt, was die Kernwählerschaft aus der Arbeiterklasse zunehmend
ablehnt. Die Proteste der Einwanderungsgegner richten sich auch gegen Sinn
Féin, McDonald wird als Verräterin angeprangert.
Und ihr droht weitere Unbill: In ihrem Wahlkreis bekommt sie es mit Gerry
Hutch zu tun, einem prominenten Gangsterboss mit dem Spitznamen „The Monk“.
Gegen den 61-Jährigen, der 30 Vorstrafen hat und dessen Clan sich seit
Jahren mörderische Fehden mit dem Kinahan-Clan um die Vorherrschaft auf dem
europäischen Drogenmarkt liefert, wird zurzeit in Spanien wegen Geldwäsche
ermittelt.
Hutch kann in dem Wahlkreis in der nördlichen Dubliner Innenstadt, wo er
aufgewachsen ist, auf Unterstützung zählen. Es reicht zwar nicht, um einen
Sitz zu gewinnen, aber er könnte McDonald die Wiederwahl vermasseln.
7 Nov 2024
## LINKS
[1] /EU-Wahlergebnis-Irland/!6017293
[2] /Sexueller-Missbrauch-in-Irland/!6031438
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
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Neuwahl
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