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# taz.de -- Iranische Gegenwart im Theater: Chorsingen unter Lebensgefahr
> Das Theater an der Parkaue Berlin zeigt „Antigones Vermächtnis“ im
> renovierten Stammhaus. Die Inszenierung konzentriert sich auf Frauen im
> Widerstand.
Bild: Gewidmet ist die Inszenierung der iranischen Protestbewegung „Jin, Jiya…
Fest umklammert Kreon die Beine der Widerstandskämpferin. Hilflos streckt
diese ihre Hände nach oben, erträgt angeekelt, dass er seinen Kopf an ihren
Oberschenkel schmiegt und streichelt dann mit spitzen Fingern über seinen
Rücken. Kreon liegt da wie ein Hund, bemitleidet sich gerade selbst und
sucht dafür beim Chor der Widerstandskämpferinnen Unterstützung.
Er hat sowohl Sohn als auch Ehefrau durch Selbstmord verloren und gibt
dafür Antigone die Schuld. Dass er als Herrscher die Todesspirale, an deren
Ende nur er und Antigones Schwester Ismene übrigbleiben, in Gang gesetzt
hat, will er nicht zugeben.
Denis Pöppings Kreon läuft im mausgrauen Anzug umher, eine viereckige
Bürokraten-Brille auf der Nase. So haut er Sätze raus wie: „Wenn ich nicht
über ein folgsames Volk herrschen kann, dann lieber über Tote.“ Auf der
Bühne 2 des Berliner Theaters an der Parkaue stehen einige
Standscheinwerfer und eine Handvoll Stühle (Bühne: Jenny Kronberg). Draußen
wird der Theatercontainer wieder abgebaut, der dem landeseigenen Berliner
Kinder- und Jugendtheater als Ausweichspielstätte während der Sanierung des
Stammhauses diente.
## Kraftvoller Akt
Mit „Antigones Vermächtnis“, einem Auftragswerk der iranisch-schwedischen
Dramatikerin Athena Farrokhzad für das Theater, gelingt ein kraftvoller
Auftakt im runderneuerten alten Haus. Farrokhzad und Farnaz Arbabi,
iranisch-schwedische Regisseurin und Intendantin des Stockholmer Kinder-
und Jugendtheaters „Unga Klara“, ließen sich dazu von Frauen im Widerstand
weltweit inspirieren.
So hat der langjährige Parkaue-Schauspieler Pöpping als König von Theben
nur zwei Kurzauftritte, sonst [1][gehört die Bühne einem Dreier-Chor der
Widerstandskämpferinnen] (Birgit Berthold, Caroline Erdmann, Elisabeth
Heckel) und dem ungleichen Schwesternpaar Antigone und Ismene.
Nach einer kurzen Stunde intensiven Bühnendialogs, bei dem der antike
Mythos präsent bleibt und durch den Zusammenprall der beiden Schwestern ins
Jetzt geholt wird, skandieren alle fünf: „Vergiss nicht, jede Schwester hat
einen Chor. Vergiss nicht, jede Widerstandskämpferin hat eine Schwester.“
Selten poppt Widerstands-Agitprop in den Chor-Szenen auf, eigentlich führt
das Heranzoomen an die Konstellation Antigone/Ismene dazu, Motivation und
Zweck von Widerstand einer kritischen Untersuchung zu unterziehen.
## „Jin, Jiyan, Azadi“
So stolziert Theresa Hennings Antigone mit dem Nimbus einer
Widerstands-VIP-Ikone umher, für den sie vom Chor immer mal wieder zur
Ordnung gerufen wird. Nina Niknafs Ismene kann man dabei zusehen, wie sie
sich von der übermächtigen toten Schwester schrittweise emanzipiert und
konstatiert: „Der Mythos um MärtyrerInnen ist meiner Schwester zu Kopf
gestiegen. Sie wollte ihr Leben etwas Großem opfern.“
Gleichzeitig macht Ismene im Dialog mit dem Chor, einem Weisheits-Cluster
aus Frauen, die im früheren Leben beim Widerstand waren, einen
Bewusstseinswerdungsprozess durch. Ismene weiß jetzt: „Ich werde überleben.
Ich werde meine Schwester bei Tageslicht begraben. Ich werde mich dem Chor
der kämpfenden Frauen anschließen. Wir werden alle Statuen des Königs
umstoßen. Wenn ich muss, suche ich Asyl in einem fremden Land. Ich werde
leben.“
Gewidmet ist die Inszenierung der [2][gegenwärtigen Protestbewegung „Jin,
Jiyan, Azadi“ (deutsch: Frau, Leben, Freiheit) im Iran.] Dort leisten
Frauen unter Lebensgefahr vielfältigen Widerstand. So halten sie an den
Gräbern ihrer vom Regime ermordeten Kinder Reden. Denn sie lassen sich
nicht davon abhalten, die Wahrheit über deren gewaltsamen Tod zu
verbreiten. Auch wenn danach das Regime zuschlägt.
8 Nov 2024
## LINKS
[1] /Theaterstueck-zu-iranischer-Geschichte/!5978193
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## AUTOREN
Katja Kollmann
## TAGS
Proteste in Iran
Theater an der Parkaue
Frauenbewegung
Antigone
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Theater Berlin
Literatur
Proteste in Iran
Theater
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