| # taz.de -- Theaterstück zu iranischer Geschichte: Pauker der Revolution | |
| > Alireza Daryanavard inszeniert am Berliner Ensemble einen Abriss | |
| > iranischer Revolutionsgeschichte. Wie viele Generationen müssen noch | |
| > scheitern? | |
| Bild: In den Rollen der Revolutionäre: Gabriel Schneider, Amelie Willberg, Nin… | |
| Man könnte auf die Idee kommen, es sei alles verloren. In dem Moment, in | |
| dem eine Revolution scheitert, könnte man auf die Idee kommen. Im [1][Iran] | |
| scheiterten die meisten – und die falsche obsiegte. | |
| Regisseur Alireza Daryanavard erzählt zusammen mit Mahsa Ghafari davon: | |
| „Tod, Tod, Tod. Verlorene Generation“, schallt es durch den Saal. Sein am | |
| Sonntag uraufgeführtes Stück „Chronik der Revolution“ im Berliner Ensemble | |
| (BE) ist eine Nacherzählung der jüngeren Revolutionsgeschichte des Landes – | |
| und der nicht zu zerstörenden Energie derjenigen, die Generation für | |
| Generation für die Freiheit fechten. | |
| Die Inszenierung ist Teil der Reihe „Worx“, mit der das BE Nachwuchstalente | |
| fördern will. Daryanavard wurde in Iran geboren, gründete dort ein | |
| Untergrundtheater und lebt seit 2014 in Österreich. Die drei | |
| Chronist*innen der Revolution sind Nina Bruns, Amelie Willberg und | |
| Gabriel Schneider – alle drei ebenfalls jung und noch nicht lang Teil des | |
| Ensembles. Ihre Rollen sind namenlos und nicht definiert. Ihr Spiel ist | |
| immer dann besonders stark, wenn sie in die Rollen der Revolutionäre | |
| schlüpfen und Szenen der jeweiligen Phase des Aufruhrs nachspielen. Dann | |
| marschieren sie energisch, in der Pose der Siegesgewissen, [2][sind | |
| Gefangene des berüchtigten Evin-Gefängnisses] oder sprechen verschüchtert | |
| (eingeschüchtert!) ins Mikro einer internationalen Journalistin. | |
| Eine der Szenen trägt eine Anspielung an die Medienlandschaft der heutigen | |
| Bundesrepublik in sich: „Wir fühlen uns nicht besonders nervös, nee, | |
| aufgeregt nicht. Schauen wir mal, was wird“, sagen die beiden Interviewten. | |
| Worte, die 2020 ein Rentnerpaar in der ZDF-Sendung „Bares für Rares“ sprach | |
| und die im Herbst 2023 ein von der Generation Z gehyptes Meme geworden | |
| sind. | |
| In einer anderen Szene redet der Journalist, der 2009 die beiden | |
| Präsidentschaftskandidaten Ahmadinedschad und Mussawi interviewt, wie | |
| Markus Lanz, schaut theatralisch in seine Moderationskarten und sagt: | |
| „Darüber wird zu reden sein.“ Beides ist für einen Lacher gut, was das ab… | |
| anderes sein soll als themenfremde Zurschaustellung jugendkultureller | |
| Kenntnisse des Regisseurs, bleibt offen. | |
| Eine Sonderfunktion nimmt Corinna Kirchhoff ein. Sie wird mehrmals per | |
| Video eingeblendet, sitzt weißhaarig, intellektuell vor der | |
| Altbaubücherwand und kommentiert die unterschiedlichen Phasen der | |
| persischen Zeitgeschichte seit der Islamischen Revolution 1979, wie eine | |
| Zeitzeugin in einer Geschichtsdoku. Wie ein wenig sinnvoller | |
| Verfremdungseffekt wirkt das zunächst. Doch ganz fernliegend erscheint die | |
| Interpretation nicht, dass Kirchhoff die ARD-Journalistin und deutsche | |
| Revolutionschronistin Natalie Amiri spielt, in höherem Alter, nachdem die | |
| Revolution tatsächlich irgendwann geglückt sein wird. | |
| Wie im Geschichtsleistungskurs | |
| Wenn sie [3][nicht die jungen Widerständler verkörpern], reden Bruns, | |
| Willberg und Schneider mit dem Publikum, als sei es ein | |
| Geschichtsleistungskurs, Thema: Iranische Revolutionen. Das ist erst mal | |
| toll, denn wer lernt in deutschen Schulen schon etwas über persische | |
| Geschichte? Allerdings geraten die Unterrichtseinheiten in ihrem | |
| Informationsgehalt etwas zu dicht. Das Problem ist ja: Möchte man als | |
| erwachsener Mensch im Theater wieder die Schulbank drücken? Die drei | |
| Schauspieler*innen können ihr Talent in diesen Szenen gar nicht richtig | |
| ausspielen vor lauter paukerhafter Erklärerei. | |
| Daryanavard scheint darum zu wissen; er kokettiert, indem er seinen | |
| Schauspielerinnen Studienrat-Hornbrillen aufsetzt und immer wieder | |
| oberlehrerhaft historische Daten und Namen auf Schiefertafeln schreiben | |
| lässt. | |
| Mit den „Jin, Jiyan, Azadi“-Protesten des Jahres 2022 hatte nun jede | |
| Generation ihren revolutionären Moment, jede Generation wurde mutiger, | |
| wütender, erklären die drei am Ende. Irgendwann bewahrheitet sich alle | |
| Hoffnung, mit diesem Gefühl verlässt man das Klassenzimmer im BE. | |
| 5 Dec 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Schwerpunkt-Iran/!t5007776 | |
| [2] /Weisse-Folter-in-iranischem-Gefaengnis/!5915486 | |
| [3] /Gefaengnisfilm-von-Narges-Mohammadi/!5966389 | |
| ## AUTOREN | |
| Julian Sadeghi | |
| ## TAGS | |
| Proteste in Iran | |
| Theater Berlin | |
| Theater | |
| Berliner Ensemble | |
| Schwerpunkt Iran | |
| Proteste in Iran | |
| Theater | |
| Theater | |
| Geflüchtete Frauen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Iranische Gegenwart im Theater: Chorsingen unter Lebensgefahr | |
| Das Theater an der Parkaue Berlin zeigt „Antigones Vermächtnis“ im | |
| renovierten Stammhaus. Die Inszenierung konzentriert sich auf Frauen im | |
| Widerstand. | |
| Theaterstück „1984“ am Berliner Ensemble: Dystopie als Singspiel | |
| Regisseur Luk Perceval adaptiert George Orwells Klassiker „1984“. Am | |
| Berliner Ensemble kreiert er eine auf Raum und Klang setzende | |
| Bühnenversion. | |
| Talk über „Judenhass“: Keine Kuschelrunde | |
| Am Berliner Ensemble lud Michel Friedman zum Gespräch. Mit seinen Gästen | |
| Felix Klein und Thomas Haldenwang sprach er über „Judenhass“ in | |
| Deutschland. | |
| Chorstück mit ukrainischen Frauen: „Die unzerstörbare Kraft Einzelner“ | |
| In „Mothers – A song for Wartime“ singen ukrainische Geflüchtete über K… | |
| und sexuelle Gewalt als Waffe. Ein Gespräch mit Regisseurin Marta Górnicka. |