# taz.de -- UN-Klimakonferenz: Hinter glitzernden Fassaden | |
> Ab dem 11. November tagt die UN in Baku zum Klima. Das aserbaidschanische | |
> Regime nutzt die Chance und lässt Medien und Journalisten verstummen. | |
Bild: Skyline von Baku, Hauptstadt Aserbaidschans, Ort der der Klimakonferenz C… | |
Wie heißt es doch so schön: Wenn du eine Chance bekommst, dann nutze sie | |
auch! Das weiß niemand besser als Aserbaidschans autoritärer Staatschef | |
Ilham Alijew. Seien es der Eurovision Contest 2012, die Europa-Spiele 2015, | |
Formel-1-Rennen oder die Fußball-Europameisterschaft 2021 – jede | |
Gelegenheit ist willkommen, um das Image der öl- und gasreichen | |
Südkaukasusrepublik am Kaspischen Meer aufzupolieren. | |
Die nächste Möglichkeit zur perfekten Selbstinszenierung bietet sich | |
bereits ab der kommenden Woche, vom 11. bis zum 24. November. Dann findet | |
in der Glitzermetropole Baku, die sich gerne als moderne, boomende und | |
kulturell aufgeschlossene Weltstadt präsentiert, die UN-Klimakonferenz (COP | |
29) statt, zu der Zehntausende Besucher*innen erwartet werden. | |
Das Regime scheint, rein äußerlich betrachtet, gut gerüstet. Doch ein Blick | |
hinter die Fassaden ist eher ernüchternd. Denn Gastgeber Alijew hat sich in | |
bewährter Manier auf den Empfang der Gäste vorbereitet. Anders gesagt: Das | |
Terrain ist besenrein, kritische einheimische Stimmen werden bei der | |
Großveranstaltung kaum zu hören sein. | |
Laut Angaben der „Union für die Freiheit politischer Gefangener in | |
Aserbaidschan“ (SSPZA) vom vergangenen September sitzen derzeit über 300 | |
politische Gefangene in aserbaidschanischen Gefängnissen ein, darunter auch | |
Medienschaffende. | |
Allein seit November vergangenen Jahres wurden elf von ihnen festgenommen, | |
sie befinden sich aktuell in Untersuchungshaft. [1][Auf der aktuellen Liste | |
der Pressefreiheit der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen | |
bewegt sich Aserbaidschan stetig nach unten und belegt Rang 164 von 180 | |
Plätzen]. | |
Ilham Alijew ist seit 2003 an der Macht – das Jahr, in dem er seinen | |
verstorbenen Vater Heydar Alijew beerbte. Sechs Jahre später stimmten die | |
Aserbaidschaner*innen bei einem sogenannten Referendum für eine | |
Abschaffung der Amtszeitbeschränkungen des Staatsoberhauptes. Bei den | |
diesjährigen vorgezogenen Präsidentenwahlen im Februar, wie alle anderen | |
Abstimmungen vorher weder frei noch fair, legte der Dauerherrscher mit 92,1 | |
Prozent einen geschmeidigen Sieg hin. | |
## Kriminalität und Korruption | |
Neben Aktivist*innen stehen unabhängige Journalist*innen bei Alijew | |
von jeher auf der Abschussliste. Im Juli 2021 warf das „Projekt zur | |
Erfassung und Veröffentlichung von organisierter Kriminalität und | |
Korruption“ (OCCRP), ein Netzwerk von | |
Investigativjournalist*innen, Aserbaidschan vor, mit der | |
Überwachungssoftware Pegasus über tausend Telefonnummern ausgespäht zu | |
haben – auch zahlreiche Medienmacher*innen waren betroffen. | |
Im selben Jahr verabschiedete das Parlament ein verschärftes Mediengesetz. | |
Dieses sieht unter anderem vor, dass die Eigentümer*innen und | |
Direktor*innen von Medienunternehmen aserbaidschanische | |
Staatsbürger*innen mit ständigem Wohnsitz im Land sein müssen, wenn | |
sich ihre Medien hauptsächlich an ein Publikum in Aserbaidschan richten. | |
Außerdem müssen sie einen Hochschulabschluss nachweisen. Wenn ein | |
Medienunternehmen ausländische Gelder annimmt oder einen Direktor | |
beschäftigt, der diese Auflagen nicht erfüllt, kann es für zwei Monate | |
suspendiert werden. Bei weiteren Verstößen, auch gegen andere Vorschriften, | |
droht eine dauerhafte Schließung. | |
Im Herbst 2023 schritten die Behörden zur Tat, und eine beispiellose | |
Repressionswelle gegen Journalist*innen begann. Diese läuft bis heute | |
und immer nach dem gleichen Muster. Im November schlugen Alijews Handlanger | |
zunächst bei „Abzas Media“ zu – einem unabhängigen Medium, das sich mit | |
Enthüllungen über Korruption von hochrangigen aserbeidschanischen | |
Staatsbediensteten einen Namen gemacht hat. Neben den beiden Chef*innen, | |
Ulvi Hasanli und Sevinc Vagifgizi, wurden vier weitere Journalist*innen | |
festgenommen. | |
Laut Staatsanwaltschaft haben die sechs hohe Geldbeträge nach Aserbaidschan | |
geschmuggelt. Nach Angaben der Polizei wurden bei Durchsuchungen in | |
Hasanlis Wohnung und den Büros von Abzas 40.000 Euro in bar gefunden. | |
Hasanli sagte später aus, das Geld sei ihnen untergeschoben worden. | |
Vorwurf „Schmuggel von Fremdwährungen“ | |
Im August 2024 wurde das „Sündenregister“ der Beschuldigten erweitert. Die | |
neuen Vorwürfe lauten auf Steuerhinterziehung, Dokumentenfälschung und | |
Verwendung gefälschter Dokumente sowie Geldwäsche. Bei einer Verurteilung | |
in allen Anklagepunkten drohen bis zu 20 Jahre Haft. | |
Im März 2024 bekamen die Online-Nachrichtenplattform „Toplum TV“ sowie zwei | |
zivilgesellschaftliche Organisationen unangemeldeten Besuch: das Institut | |
für demokratische Initiativen sowie die Plattform III. Republik. Mit beiden | |
arbeitete Toplum TV eng zusammen, etwa bei Trainings für | |
Nachwuchsjournalist*innen oder in Sachen Management sozialer | |
Netzwerke. | |
Bei Razzien wurden neun Mitarbeiter sowie drei Journalisten festgenommen, | |
der Vorwurf lautet auf Schmuggel von Fremdwährungen. Später behauptete die | |
staatliche Nachrichtenagentur apa, Toplum TV habe illegal rund eine halbe | |
Million Dollar von westlichen Spendern erhalten, um in Aserbaidschan | |
Unruhen zu schüren. Das Medium hatte über Korruption sowie | |
Unregelmäßigkeiten bei den Präsidentschaftswahlen im Februar berichtet. | |
Einer der Festgenommenen, Farid Iismayilow, gab später an, dazu gezwungen | |
worden zu sein, ein Dokument zu unterzeichnen. Bei einer Hausdurchsuchung, | |
ein Anwalt war nicht zugegen, will die Polizei 3.100 Euro gefunden haben – | |
in bar, versteht sich. Zudem wurden die Accounts von Toplum TV auf YouTube | |
und Instagram gehackt und die Inhalte gelöscht. | |
Auch einer der Mitbegründer von Toplum TV, der Medienanwalt und | |
Korruptionsspezialist Alasgar Mammagli, landete im Gefängnis. Er war beim | |
Verlassen einer Klinik gewaltsam in ein Auto verfrachtet und weggefahren | |
worden. Auch bei ihm zu Hause wurde die Polizei fündig: 60.000 Euro. | |
Zuvor war er bereits des Betrugs und Rowdytums sowie der Erpressung | |
beschuldigt worden. Im April 2024 verurteilte ein Gericht in Sumgait | |
Mammagli, der gesundheitlich schwer angeschlagen ist, zu sechs Jahren Haft. | |
Zwei Monate später bestätigte ein Berufungsgericht den Schuldspruch. | |
Wer permanent an Leib und Leben bedroht ist sowie mit einem Bein im | |
Gefängnis steht, sucht – wenn möglich – das Weite. Doch auch im Ausland | |
sind kritische Journalist*innen vor Alijew nicht sicher – nicht selten | |
leistet der Zufluchtsstaat dem aserbaidschanischen Autokraten bereitwillig | |
Amtshilfe. | |
Ein Beispiel ist der Fall von Afghan Sadigow, Chefredakteur des | |
Fernsehsenders Azel.TV. Im vergangenen August wurde er in der georgischen | |
Hauptstadt Tbilissi festgenommen. Nach einer entsprechenden Ankündigung des | |
georgischen Innenministeriums fürchtet die Familie jetzt seine Auslieferung | |
nach Aserbaidschan. Sadigow war bereits zweimal wegen Erpressung | |
festgenommen worden. | |
Nach einer medizinischen Behandlung in Georgien kehrte er nach | |
Aserbaidschan zurück, nur um sich ob massiver Drohungen und | |
Einschüchterungsversuche erneut nach Georgien zu begeben. | |
Sadigow wäre nicht der erste Journalist, den Georgien seinem Nachbarn frei | |
Haus liefert. Afghan Mukhtarli, lautstarker Kritiker der | |
aserbaidschanischen Regierung und seit 2015 als politischer Flüchtling in | |
Georgien ansässig, war im Mai 2017 im Zentrum von Tbilissi entführt und | |
nach Baku verschleppt worden. | |
Dort wurde er wegen illegalen Grenzübertritts, Schmuggels und Widerstands | |
gegen die Polizei angeklagt und zu sechs Jahren Haft verurteilt. 2020 kam | |
er unerwartet auf freien Fuß. Vor knapp zwei Monaten entschied der | |
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu Mukhtarlis Gunsten. | |
Aserbaidschan und Georgien müssen ihm zusammen 21.000 Euro Schmerzensgeld | |
zahlen. | |
## Journalisten im Exil | |
Die Regierung Aserbaidschans versucht die Medien maximal zu kontrollieren | |
und jede kritische Stimme zum Schweigen zu bringen, sagt die | |
aserbaidschanische Journalistin Edita, die ihren richtigen Namen nicht | |
nennen möchte und derzeit im Exil lebt. Gerade gleiche der Journalismus in | |
Aserbaidschan einer halbgeheimen Tätigkeit, die dem Vorgehen von Partisanen | |
ähnele. | |
„Nur eine ernsthafte Unterstützung durch internationale Organisationen, | |
möglicherweise aber auch Druck auf die aserbaidschanischen Behörden kann | |
die Situation verbessern“, sagt sie. | |
Doch Druck des Westens auf Baku wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen | |
zu entfalten und dafür auch die Bühne während der COP zu nutzen, so wie es | |
einige westliche Regierungsorganisationen fordern – das alles dürfte ein | |
frommer Wunsch bleiben. Denn Baku ist für Europa ein begehrter | |
Gaslieferant, den man nicht verprellen will. | |
Wie formulierte es Bundeskanzler Olaf Scholz bei einem Treffen mit Ilham | |
Alijew vergangenen April in Berlin: Bei der Menschenrechtslage sehe man | |
Verbesserungsbedarf. | |
10 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/rangliste-2024 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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