| # taz.de -- Die Wahrheit: Mein Leben als Buchtoker | |
| > In einem Hamburger Literaturhotel ist nicht nur das Internet schneller, | |
| > auch die Gedanken über den Literaturbetrieb nehmen dort gehörig an Fahrt | |
| > auf. | |
| Neulich hatte ich eine Lesung in Hamburg. Irgendwo da, eher nicht im | |
| Zentrum, liegt ein Teil meiner Urahnen begraben, insofern hatte ich immer | |
| ein besonderes Verhältnis zu der Stadt, in der die Gegensätze noch krasser | |
| in Erscheinung treten als ohnehin, etwa in Berlin. Man gehe nur mal vom | |
| Hauptbahnhof aus zur „Langen Reihe“: Höhere Poshness, gern mit | |
| Bioboomer-Appeal, löst sich nahtlos mit zur Schau getragenem Elend ab, das | |
| sich vis-à-vis vom Edelhotel die Spritze im Freien setzt. Hamburg, meine | |
| Perle. | |
| Der Veranstalter buchte mich in einem sogenannten Literaturhotel ein, die | |
| Lobby war eine angelegte Bibliothek mit unterzeichneten Erstausgaben hier | |
| bereits abgestiegener Autorinnen und Autoren. Erstaunlicherweise war das | |
| Internet im Hotel schneller, als es die Kiezpolizei erlaubt, und ungefähr | |
| tausendmal so schnell wie das in der Deutschen Bahn – die einmal pro | |
| Kolumne vorkommen muss. Aber, dachte ich, Poshness und Literatur, Autoren | |
| und Internet, das scheint hier eh gut zusammenzupassen. | |
| Der Veranstalter, Kleinverleger und Ex-Werber, von daher die Verbindung zum | |
| Hotel, erzählte später, dass er zwei Ferienhäuser auf Usedom besitze und | |
| eines davon Autoren zur Verfügung stelle; leider nur für solche aus | |
| Hamburg. Gleichzeitig erzählte eine Krimiautorin, wie sie sich von | |
| Pommesbudenkritik und Quizfragenschreiberei finanziert. | |
| Und im Internet, das ja angeblich die Aufmerksamkeitspanne verkürzt und vom | |
| Lesen ablenkt, lese ich die letzten Verschlängelungen der Buchpreis-Debatte | |
| und staune über die mittlerweile völlig selbstverständliche totale | |
| Selbstvermarktung von Autoren. Quincy Jones ist tot? „Ich habe mich ja | |
| schon in meinem zweiten Roman von der Eleganz von ‚Thriller‘ inspirieren | |
| lassen … Hier Bilder von mir und meinem Roman auf dem Klo, auf dem | |
| Treppenabsatz gegenüber vom Hotel, hier mein Buch und eine schöne Frau in | |
| Verona, Schauplatz meines nächsten Romans, der nur zufällig einige | |
| Shakespeare-Anleihen …“ und so weiter. Na gut, irgendwer und irgendwas muss | |
| ja das Hotel bezahlen. | |
| Und die abfotografierten Bücherstapel erst! Ich habe das auch einmal | |
| gemacht, einen solchen Will-ich-jetzt-lesen-Stapel abfotografiert, vor | |
| Corona war das. Von den sechs Büchern habe ich jetzt, fünf Jahre später, | |
| immer noch nicht alle gelesen. | |
| Vielleicht sollte man wieder zur Negativität zurückkehren: Stapel von | |
| Büchern fotografieren, die man ganz bestimmt nicht lesen möchte, und | |
| endlich wieder schöne Buchwarnungen schreiben, gute Verrisse. Aber am Ende | |
| ist wieder jemand beleidigt, und es gibt schon wieder irgendwelche | |
| Diskussionen. | |
| Am anderen Morgen, als ich mittels Bahnhofs-WLAN schnell noch meine Arbeit | |
| zu Ende bringe, weil sie im Zug mit ICE-WLAN einfach zehnmal so lange | |
| dauert, denke ich, dass die Lösung in einem schnelleren Internet liegt: Die | |
| Arbeit geht so schnell, dass man noch Zeit hat, etwas anderes zu tun. Zum | |
| Beispiel Bücher lesen. | |
| 5 Nov 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| René Hamann | |
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