| # taz.de -- Wartelisten bei Spenderorganen: Wer 18 wird, rutscht nach hinten | |
| > Eine Studie des Uniklinikums Schleswig-Holstein kritisiert die starren | |
| > Altersgrenzen bei der Verteilung von Spenderorganen. Diese seien | |
| > ungerecht. | |
| Bild: Problematisch verteilt: Behälter zum Transport von zur Transplantation v… | |
| Bremen taz | Für Menschen mit Niereninsuffizienz ist eine | |
| Nierentransplantation lebensverändernd. Ohne [1][Transplantation] wird | |
| Dialyse notwendig – eine aufwändige Behandlung, die die Niere ersetzt. Wer | |
| eine Niere transplantiert bekommen will, muss sich auf eine Warteliste | |
| setzen lassen. Die Wartezeiten sind lang und hängen sowohl von der Anzahl | |
| der Spenderorgane als auch von den Verteilungsregeln ab. | |
| Für diese Regeln ist in Deutschland die Bundesärztekammer zuständig. Die | |
| Verteilung selbst erfolgt durch die Stiftung Eurotransplant gemäß den | |
| Vorgaben der Bundesärztekammer. Eurotransplant verteilt Organe auch in | |
| anderen EU-Ländern, darunter Österreich und Belgien. | |
| Eine aktuelle Studie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) | |
| zeigt, dass die Verteilungsregeln für Nieren problematisch sind. Benedikt | |
| Kolbrink ist Erstautor der Studie, die die Problematik der „starren | |
| Altersgrenzen“ beleuchtet. Derzeit warten Menschen, abhängig vom Alter, | |
| unterschiedlich lange auf ein Transplantat. Die Altersgrenzen für die | |
| Organverteilung liegen bei 18 und 65 Jahren. Das heißt, die | |
| Verteilungsregeln kommen Menschen unter 18 oder über 65 zugute. Die | |
| durchschnittlichen Wartezeiten betragen laut Studie 1,7 Jahre (U18) und 3,8 | |
| Jahre (Ü65). Menschen zwischen 18 und 65 warten dagegen rund sieben Jahre | |
| auf eine Transplantation. | |
| Die Unterschiede ergeben sich daraus, dass Menschen unter 18 einen | |
| Kinderbonus bekommen. Menschen über 65 fallen ins Eurotransplant Senior | |
| Program, das ihnen ebenfalls einen Sonderstatus verleiht. Laut Studie führt | |
| dies dazu, dass besonders viele 65- und 66-Jährige transplantiert werden. | |
| 65-Jährige würden zudem fast viermal häufiger transplantiert als | |
| 64-Jährige. Außerdem steige die Differenz der Wartezeit zwischen Personen | |
| unter und Personen über 65 weiter. Die Ungleichheiten an der | |
| 18-Jahre-Altersgrenze wüchsen ebenfalls. | |
| ## Willkürliche Verteilungsregeln? | |
| Kolbrink, der Arzt an der Klinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten am | |
| UKSH Kiel ist, nennt die Verteilungsregeln ungerecht. „Diese Altersgrenzen | |
| stehen nicht auf medizinisch-wissenschaftlicher Basis, sondern sind | |
| willkürlich gesetzt. Sie führen dazu, dass Menschen mit dem Erreichen eines | |
| kalendarischen Datums plötzlich eine ganz andere Chance auf eine | |
| Nierentransplantation haben als Menschen, die dieses Datum noch nicht | |
| erreicht haben.“ | |
| Dies führe zu „krassen Effekten“. Junge Menschen, die an einem | |
| Nierenversagen litten und vor ihrem 18. Geburtstag kein Organangebot | |
| erhielten, rutschten mit dem 18. Geburtstag in der Warteliste um viele | |
| Plätze nach hinten. Die lange Wartezeit mit Dialyse zu überbrücken, | |
| verringere die Lebenserwartung massiv, sagt Kolbrink. | |
| Kolbrink hält die starre Regelung für überholt: „Der größte Teil der | |
| Fachwelt ist der Meinung, dass der Prozess des Erwachsenwerdens, | |
| insbesondere von chronisch kranken Kindern, nicht an eine Altersgrenze | |
| gekoppelt sein soll.“ Alle anderen Länder im Eurotransplant-Raum hätten die | |
| starre Altersgrenze ab 18 abgeschafft und durch einen kontinuierlichen | |
| Abbau von Bonuspunkten vom 18. bis zum 30. Lebensjahr ersetzt. | |
| „Es gab seit Langem Hinweise, dass starre Altersgrenzen in den Regeln zur | |
| Verteilung von Nieren problematisch sind. Aber erst die Einführung des | |
| [2][nationalen Transplantationsregisters] und somit die Verfügbarkeit | |
| öffentlich zugänglicher Daten hat es ermöglicht, dies nachzuweisen“, sagt | |
| Kolbrink. So sei die Studie möglich geworden, für die die Daten von | |
| Spender*innen und Empfänger*innen zusammengeführt wurden. | |
| ## Ärztekammer sieht keine Notwendigkeit für Debatte | |
| Aus der Studie ließen sich Handlungsempfehlungen ableiten. „Es gibt | |
| verschiedene Möglichkeiten, wie man das Problem angehen könnte“, sagt | |
| Kolbrink. Andernorts gebe es Vorgehensweisen, die das Problem besser | |
| lösten. In den USA oder Großbritannien würden Organe und | |
| Empfänger*innen zum Teil nach Lebenserwartung zusammengebracht, damit | |
| junge Organe mit hoher Lebensdauer an junge Empfänger*innen gingen. „In | |
| unserem Verteilungssystem gibt es so einen Mechanismus nicht, der das | |
| sicherstellt. Aus medizinischer und volkswirtschaftlicher Sicht ist das | |
| nicht sinnvoll“, sagt Kolbrink. | |
| „Jetzt ist es an der Politik und der Bundesärztekammer, das zu überdenken | |
| und nach ethischen Maßstäben abzuwägen“, erklärt Kolbrink. Es müsse | |
| berechnet werden, welche Änderung des Verteilungssystems welche Änderungen | |
| der Verteilung hervorrufe. Dann müsse man sich auf ein System verständigen, | |
| das die Probleme des heutigen minimiere. „Man kann Organe nicht perfekt | |
| verteilen, weil sie ein knappes Gut sind. Man kann aber versuchen, den | |
| bestmöglichen Kompromiss zu finden“, sagt Kolbrink. | |
| Die Bundesärztekammer erklärt auf Nachfrage, dass die zuständige | |
| Arbeitsgruppe mit diesen Fragen befasst sei. Die bestehenden Richtlinien | |
| verstießen rechtlich nicht gegen die Gleichbehandlungs- oder | |
| Verhältnismäßigkeitsgrundsätze. Die Notwendigkeit für eine | |
| [3][Grundsatzdebatte] sehe man nicht. | |
| 4 Nov 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Emmy Thume | |
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