| # taz.de -- 30 Jahre Kältebus: Fahrt in die Wärme | |
| > Seit 30 Jahren bietet der Kältebus obdachlosen Menschen Schutz vor Kälte. | |
| > Nun bangt das Projekt wegen drohender Kürzungen um seine Zukunft. | |
| Bild: Helden bei der Arbeit: Kältebusfahrer bringen Obdachlose in die Kälte-N… | |
| Berlin taz | Marcel Stärke verdankt dem Kältebus sein Leben – das sagt er | |
| selbst. 15 Jahre lang war Stärke obdachlos, in einer kalten Winternacht | |
| während dieser Zeit geht es ihm besonders schlecht. „Ich hatte an dem Abend | |
| erfahren, dass meine Oma gestorben ist“, erinnert er sich. „Da hatte ich | |
| selbst den Gedanken, mein Leben aufs Spiel zu setzen, und habe mich | |
| volllaufen lassen.“ Als der Kältebus um die Ecke kommt, weiß er: Er muss | |
| mitfahren, sonst wird er die Nacht womöglich nicht überleben. Also steigt | |
| er ein. | |
| Seit 30 Jahren sammeln die Kältebusse der Berliner Stadtmission obdachlose | |
| Menschen ein, die einen warmen Schlafplatz brauchen. Was heute ein fester | |
| Bestandteil der Kältehilfe ist, entstand aus der Eigeninitiative von drei | |
| Sozialarbeiter*innen. Karen Holzinger, Ulrich Neugebauer und Gunnar Fiedler | |
| arbeiteten 1994 in der City-Station der Stadtmission, einem Restaurant mit | |
| Beratungsangeboten für wohnungs- und obdachlose Menschen. „Wir haben uns | |
| gefragt, was ist eigentlich mit den Menschen, die gar nicht zu uns kommen | |
| können, weil sie zum Beispiel krank sind“, erzählt Holzinger bei der | |
| Presseveranstaltung zum Jubiläum am Donnerstag. | |
| Als dann im Winter eine obdachlose Person erfriert, starten sie zu dritt | |
| die ersten Kältebus-Touren mit einem ungenutzten Bus der Stadtmission. Die | |
| Idee hat sich seitdem nicht verändert: Sobald die Temperaturen nachts unter | |
| Minus drei Grad fallen, fährt der Bus an Orte, wo bekanntermaßen Menschen | |
| „Platte machen“, also auf der Straße schlafen. Zudem reagieren die | |
| Fahrer*innen auf Anrufe, die auf möglicherweise gefährdete Personen | |
| aufmerksam machen. Niemand muss einsteigen, wer nicht in einer | |
| Notübernachtung übernachten will, bekommt von den | |
| Sozialarbeiter*innen Tee, Schlafsack und das Angebot, es sich beim | |
| nächsten Mal anders zu überlegen. | |
| Verändert hat sich die Ausstattung: 1996 kann die Stadtmission mithilfe von | |
| Spenden den ersten richtigen Kältebus kaufen. 2014 fahren zwei Kältebusse | |
| durch Berlins Winternächte. 2019 richtet die Stadtmission einen Ambulanzbus | |
| ein, der einmal die Woche medizinische Versorgung zu den Betroffenen | |
| bringt. Ende 2022 kommt der vierte Bus in die Flotte, seitdem machen jede | |
| Nacht mindestens zwei, in besonders kalten Nächten drei Busse die Runde, im | |
| Notfall wird auch der Ambulanzbus zum Kältebus umfunktioniert. Obwohl das | |
| Projekt derart gewachsen ist, finanziert es sich, bis auf eine Förderung | |
| durch den Bezirk Neukölln, weiterhin ausschließlich aus Spenden. | |
| ## Callcenter während der Pandemie gegründet | |
| Während der Pandemie professionalisiert sich das Angebot weiter: 2019 | |
| richtet das Kältebus-Team ein provisorisches Callcenter ein, seit 2021 | |
| gehört es fest zum Kältebus-Angebot. Denn weil die Zahl der Anrufe stieg, | |
| konnten die Busfahrer*innen während des Fahrens nicht immer die | |
| relevanten Fragen stellen, um die Dringlichkeit richtig einzuschätzen. | |
| Dadurch sei es häufig zu Fehlfahrten gekommen. „Jetzt haben wir das | |
| kleinste Callcenter der Welt, es besteht meistens aus einer Person, aber | |
| die kann sich dann auf den Anruf konzentrieren und zum Beispiel die | |
| Anrufenden motivieren, noch einmal bei der obdachlosen Person | |
| nachzufragen.“ | |
| Mit dem Kältebus-Angebot wandelt sich auch das Übernachtungsangebot. Als | |
| die Sozialarbeiter*innen in den 90er Jahren obdachlose Menschen eine | |
| Fahrt anboten, stellte sich die nächste Frage: Wohin? Die Unterkünfte | |
| wurden damals hauptsächlich von Kirchengemeinden ehrenamtlich auf die Beine | |
| gestellt, sogenannte Nachtcafés, erzählt Ulrich Neugebauer. „Wenn Leute | |
| sehr betrunken oder auf Drogen waren hieß es dann: Bei aller Liebe, wir | |
| können diese Leute nicht aufnehmen.“ Erst mit der Zeit entstehen | |
| professionell geführte und größere Einrichtungen – die Kältehilfe. 2024 | |
| [1][bietet die Stadtmission im Rahmen der Kältehilfe insgesamt 250 | |
| Schlafplätze an], in ganz Berlin gibt es 1025 Plätze. | |
| Das reicht weiterhin nicht aus. Matthias Förster fährt seit 2011 den | |
| Kältebus und erzählt von dem Gefühl, wenn er herumtelefoniert und von jeder | |
| Notübernachtung nur eine Absage kommt. „Wir versuchen, jedem gerecht zu | |
| werden, aber [2][wenn es keinen Platz gibt, dann müssen wir Menschen in | |
| Schlafsäcke wickeln und hoffen, dass wir sie morgens wiedersehen]. Das ist | |
| echt bitter.“ | |
| ## Wachsender Bedarf nach barrierefreien Räumen | |
| Besonders schlecht sieht die Versorgung mobilitätseingeschränkter Menschen | |
| ohne feste Bleibe aus. Die Kältebusse sind zwar barrierefrei, die | |
| Unterkünfte hingegen selten. Auf der Übersicht der Kältehilfe für die | |
| diesjährige Saison sind nur zwei der 27 Unterkünfte als „barrierearm“ | |
| markiert. Neugebauer sagt, dass es für Rollstuhlfahrer*innen | |
| eigentlich überhaupt keine Optionen gäbe: „Es reicht ja nicht, dass alles | |
| ebenerdig ist, wenn es keine entsprechenden Toiletten und Duschen gibt.“ | |
| Währenddessen wächst der Bedarf nach barrierefreien Räumen und | |
| niedrigschwelliger Versorgung außerhalb des Regelsystems. Zum einen | |
| berichten die Sozialarbeiter*innen von immer mehr obdachlosen | |
| Menschen mit großen gesundheitlichen Problemen oder Behinderungen – denn | |
| wer in den 90er Jahren noch relativ schnell eine Wohnung fand, bleibt | |
| mittlerweile unter Umständen jahrelang ohne festes Zuhause und wird | |
| zwangsläufig krank. Zum anderen wachse der Anteil derjenigen ohne Anspruch | |
| auf Sozialleistungen, etwa Nicht-Deutsche ohne Zugang zum Sozialsystem. | |
| „Das Kältehilfesystem läuft unterhalb des Regelsystems, aber für die | |
| anderen Einrichtungen stellt sich immer die Frage: [3][Wer refinanziert | |
| das?]“, erklärt Neugebauer. | |
| Es hakt, wie immer, am Geld. Nicht nur, dass das bestehende Angebot nicht | |
| ausreicht, die Stadtmission fürchtet Kürzungen. Neugebauer erinnert an die | |
| Sparvorgabe des Berliner Senats. „Wir warten, wie das Kaninchen auf die | |
| Schlage, auf den Tag, wenn verkündet wird, um wie viel Prozent der | |
| Sozialetat sparen muss.“ Wenn die Gelder auf das Niveau von 2023 oder sogar | |
| darunter fielen, dann müsste die Stadtmission womöglich die eigentlich | |
| öffentlich finanzierten Stellen selbst bezahlen. „Und dann wissen wir | |
| nicht, wie wir uns noch die spendenbasierten Projekte leisten sollen.“ | |
| Spendenbasierte Projekte wie den Kältebus. | |
| 31 Oct 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nora Noll | |
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