# taz.de -- Berliner Konzert von José James: Neudenken aus dem Geist von HipHop | |
> Im Album „1978“ beschreibt der New Yorker Jazzsänger José James seine | |
> Sicht auf die Siebziger. Am Freitag gastierte er im Berliner Club | |
> „Gretchen“. | |
Bild: José James lässt sich von der Musikgeschichte inspirieren | |
Warum ausgerechnet Jazz? Das musste José James oft hören, als er mit dem | |
Singen begann. Der 1978 als Kind panamaisch-irischer Eltern geborene | |
Musiker wuchs im New Yorker Stadtbezirk Brooklyn mit dem HipHop von A Tribe | |
Called Quest auf, genauso wie mit [1][Grunge von Nirvana]. In den Stücken | |
von Kurt Cobains Band fand er Wut und jede Menge Fragen. Als er schließlich | |
Sängerin Billie Holiday für sich entdeckte, hatte James das Gefühl, | |
Antworten zu bekommen. | |
Diese Anekdote erzählt José James bei seinem Konzert im Berliner Gretchen, | |
wo er im Rahmen seiner Europatournee am Freitagabend gastierte. Im Gepäck | |
hatte James Stücke seines neuen Albums „1978“. | |
Es ist das inzwischen zwölfte Studioalbum des Sängers seit seinem Debüt | |
2008 und behandelt seine Sicht auf das Jahrzehnt, in dem er auf die Welt | |
kam. Für James sind die Siebziger geprägt von Politik und Party, eine | |
Zweiteilung, die auch die Musik widerspiegelt. | |
Entstanden in einem Kompositionsprozess über fünf Jahre erhielt James | |
Unterstützung von niemand Geringerem als dem Sänger Leon Ware, der 1976 | |
Marvin Gayes Meilensteinwerk „I Want You“ produzierte. | |
Begleitet von drei hochkarätigen Musikern | |
Eine Verbeugung vor der Soul-Ikone Gaye ist das Lied „Let’s Get It“, mit | |
dem José James seinen Auftritt beginnt. Begleitet wird er von drei | |
hochkarätigen Musikern: Yves Fernandez am Bass, Mitch Henry an den | |
Keyboards sowie Jharis Yokley hinter dem Schlagzeug, alle ausgewiesene | |
Könner ihres Fachs, die schon mit Solange Knowles, [2][Meshell Ndegeocello] | |
und Lianna La Havas gearbeitet haben. Bekleidet mit breitkrempigem | |
schwarzen Hut, Lederjacke und Sonnenbrille wirkt James zunächst kühl und | |
zurückhaltend, die Musik plätschert gefällig dahin. | |
Doch dann ändert sich die Stimmung im Saal blitzartig. „Planet Nine“ bringt | |
den Funk von Prince aus Minneapolis direkt nach Berlin, „Saturday Night | |
(Need You Know)“ huldigt Disco-Königin Evelyn King. Dass das hier jedoch | |
keine Retro-Veranstaltung wird, dafür sorgt vor allem Jharis Yokley. | |
Geschult an den gebrochenen Beats von [3][HipHop-Produzent J Dilla] | |
verschiebt er die Takte und bringt den Rhythmus ins Stolpern. Er schafft es | |
sogar, über die Harmonien einer Ballade brachial zu solieren, ohne dabei | |
das Stück zu zerschlagen. | |
Überhaupt spielt das Quartett immer wieder mit seinem Material. Am Ende von | |
„Black Orpheus (Don’t Look Back)“ kommt es zum Duett zwischen James und | |
Mitch Henry. Als Klavier und Gesang zu klischeehaft und pathetisch werden, | |
müssen die Musiker herzhaft lachen und brechen jeden Kitsch. Zwischen den | |
Stücken spricht James immer wieder zum Publikum. | |
Ansagen im klassischen Sinne kann man seine Reden allerdings nicht nennen. | |
Es sind vielmehr Improvisationen im Stil von Stand-up-Comedy. Schlagfertig | |
und humorvoll behandelt der charismatische Künstler sein Verhältnis zu den | |
Fans („Manche sagen, sie haben mich schon acht Mal gesehen – so oft habe | |
ich noch nicht mal in meinem Lieblingsrestaurant gegessen.“), zu Interviews | |
(„Gute Frage, kann ich kurz darüber nachdenken und in dreißig Minuten | |
zurückrufen?“) oder erklärt nebenbei die Musikgeschichte. | |
Neue Technologien im Jazz | |
Dabei spricht er auch darüber, wie neue Technologien Jazz-Musiker*innen | |
immer wieder beeinflusst haben, etwa Billie Holiday, deren Stimme erst | |
durch die Verstärkung des Mikrofons ihre spezifische Intimität bekommen | |
hat. | |
Bei James ist es die Auseinandersetzung mit den Manipulationsmöglichkeiten | |
von Samplern, die seine Art zu singen weiterentwickelt hat. Immer wieder | |
zerlegt und verdreht, beschleunigt und verlangsamt er Songtexte, bis sich | |
die Worte in puren Rhythmus auflösen – eine Technik, die James zu | |
beeindruckender Perfektion getrieben hat und die den Scatgesang einer Ella | |
Fitzgerald und die Stimmimitationen eines Al Jarreau aus dem Geist des | |
HipHop heraus neu denken. | |
Höhepunkt des zweistündigen Programms ist der Song „Place of Worship“, bei | |
dem José James an all die Musiker*innen und Schriftsteller*innen | |
von Lena Horne über John Coltrane bis Toni Morrison erinnert, auf deren | |
Werken er aufbaut. Wie eine Welle türmt sich das Stück meterhoch auf, bis | |
die Musiker es plötzlich in sich zusammenfallen lassen. Unterhaltsamer und | |
bewegender kann ein Konzert kaum sein. Zum Trost für alle, die nicht | |
dabeisein konnten: Auf Youtube gibt es einen Mitschnitt des Auftritts von | |
José James und seiner Band im Amsterdamer „Paradiso“. | |
14 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Sven Beckstette | |
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