# taz.de -- Komödie am Berliner Ensemble: Theater im Theater | |
> „Der nackte Wahnsinn“ ist seit vierzig Jahren eine beliebte | |
> Boulevardkomödie. Jetzt hat sie Oliver Reese am Berliner Ensemble | |
> inszeniert. | |
Bild: Marc Oliver Schulze, Kathrin Wehlisch und Constanze Becker in „Der nack… | |
Dreimal klopft der Wahnsinn an die Tür. Dreimal müssen sich die | |
Schauspieler:innen durch eine ziemlich schwachsinnige Komödie kämpfen. | |
Durch Generalprobe, Tourneeaufführung und letzte Vorstellung. Zwei Paare, | |
jedes wähnt sich heimlich und allein in einer Villa. | |
Die einen sind Philip und Flavia Brent, die auf der Flucht vor der Steuer | |
eigentlich gar nicht hier sein dürften. Die anderen der Immobilienmakler | |
mit seiner Geliebten, die ausgerechnet beim Finanzamt arbeitet. Und dann | |
ist da noch die von niemanden erwartete Haushälterin Mrs. Clackett, die es | |
sich nur mit einem Teller Sardinen vor dem Fernseher gemütlich machen will. | |
Acht Türen hat das Bühnenbild, reichlich für Tür auf, Tür zu, Frau rein, | |
Frau raus. Huch, wer ist das? | |
Aber in Michael Frayns 1982 geschriebener Komödie „Der nackte Wahnsinn“, | |
die Oliver Reese jetzt [1][am Berliner Ensemble] inszeniert hat, steckt der | |
eigentliche Plot nicht in den ständigen Überraschungen, sondern in einem | |
doppelten Spiel. Theater im Theater. Komik ist schwer und verlangt große | |
Perfektion. | |
Die Schauspieler:innen und ihr Regisseur sind aber alles andere als | |
perfekt im ersten Teil von Frayns Komödie, in dem wir die völlig | |
misslingende Generalprobe erleben. Auftritte verpasst, Schauspieler | |
verschwunden, Text vergessen, Requisiten verwechselt. Und dann die | |
Diskussionen, warum man so einen unlogischen Scheiß spielen soll. | |
Lachen auf Kosten anderer | |
Das ist im Berliner Ensemble mäßig lustig. Die übertrieben scheußlichen | |
80er-Jahre-Klamotten machen es nicht besser. Wenn gute | |
Schauspieler:innen mit exaltierten Bewegungen und overacting den | |
Boulevard markieren, droht das schnell peinlich und etwas überheblich zu | |
werden. Lachen auf Kosten anderer. | |
Aber in den folgenden zwei Akten legt sich diese Sorge. Der zweite Teil | |
spielt hinter den Kulissen, die Tournee läuft schon ein paar Wochen, alle | |
sind müde, Beziehungen haben sich entwickelt und sind zerbrochen, | |
Eifersucht und Eitelkeit erreichen neue Spitzenwerte. | |
Den Komödientext hört man nur gedämpft durch die Türen. Hinter den Kulissen | |
aber toben, fast stumm, vorne läuft ja die Aufführung, hochdramatische | |
Gefühle. Männer prügeln sich, Sekundenkleber kommt zum Einsatz, | |
Verletzungsgefahr droht, Auftritte werden verpasst, Improvisation muss her. | |
Das alles als stummer Slapstick inszeniert ist sehr witzig. | |
Im dritten Teil dann, der letzten Tournee-Vorstellung, läuft alles aus dem | |
Ruder. Die Möbel im Bühnenbild sind schon zerbrochen, Schauspieler fallen | |
nicht nur die Treppe herunter, sondern auch durch die Wand. Der | |
Komödientext verfängt sich in Schlaufen, der letzte Sinn ist perdue. Die | |
Schauspielerin Doris, die die Haushälterin Mrs. Clackett die ganze Zeit mit | |
Angst vor ihren Fehlern gespielt hat, ist endlich befreit von ihrer Angst. | |
Nichts muss mehr funktionieren. Für Kathrin Wehlisch in dieser Rolle der | |
sorgenvollen Doris lohnt sich der Besuch des Theaterabends. | |
Theater zur Schau stellen | |
Je mehr das Theater auf der Bühne als Theater zur Schau gestellt, knarzen, | |
ächzen und aus dem Leim gehen muss, desto perfekter muss der Theaterapparat | |
funktionieren. [2][Der Regisseur Herbert Fritsch] hat aus diesem Paradox | |
ganze Theaterabende gestaltet, die immer auch den Zwang zu funktionieren | |
bloßstellen. Oliver Reeses Inszenierung von „Der nackte Wahnsinn“ bleibt | |
dahinter etwas zurück. | |
Das liegt vielleicht auch daran, dass die Konturen der | |
Tournee-Schauspieler:innen zu blass bleiben, dass man zu wenig ihre Nöte | |
spürt und ihr zwiespältiges Verhältnis zur Kunst. Frayn hat sie doch als | |
Charaktere angelegt, die das Hochdramatische ihrer Kunst gerne auch im | |
eigenen Gefühlshaushalt erspüren wollen und davon notfalls mehr | |
inszenieren, als sie vertragen können. | |
Das Unzulängliche, das sie nicht nur auf der Bühne, sondern vor allem im | |
Leben erfahren, macht die Spur von Tragik aus, die jede gute Komödie | |
braucht. Und die hier etwas unter die Räder gekommen ist. | |
13 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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