# taz.de -- Mordprozess in Berlin: Ex-Stasi-Mann soll 12 Jahre in Haft | |
> Ein Ex-Stasi-Mitarbeiter soll vor 50 Jahren an einem DDR-Grenzübergang in | |
> Berlin einen Mann erschossen haben. Die Anklage fordert nun lange Haft. | |
Bild: Der heute 80-Jährige aus Leipzig (vorne links) und der Vorsitzende Richt… | |
Berlin dpa | Aus Sicht der Staatsanwaltschaft haben sich die Vorwürfe | |
bestätigt: [1][Rund 50 Jahre nach einem tödlichen Schuss am früheren | |
DDR-Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße] fordert die Anklage zwölf Jahre | |
Haft für einen Ex-Stasi-Mitarbeiter. Der 80-Jährige aus Leipzig habe sich | |
des heimtückischen Mordes schuldig gemacht, sagte Staatsanwältin Henrike | |
Hillmann. Die Verteidigerin des deutschen Angeklagten forderte einen | |
Freispruch. Es sei nicht erwiesen, dass ihr Mandant der Schütze gewesen | |
sei. | |
Seit mehr als sechs Monaten läuft der [2][Prozess vor dem Landgericht], er | |
wird wegen seiner historischen Bedeutung aufgezeichnet. Der Vorsitzende | |
Richter Bernd Miczajka hatte bereits zu Beginn deutlich gemacht, wo die | |
Schwierigkeit liegt: „Vieles wird auf der Bewertung von Urkunden beruhen.“ | |
Das Gericht müsse sich ein Bild davon machen, wie verlässlich diese seien. | |
Am 14. Oktober soll das Urteil gesprochen werden. | |
Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft erschoss der Angeklagte, damals | |
Oberleutnant in einer Operativgruppe des [3][DDR-Ministeriums für | |
Staatssicherheit], am 29. März 1974 einen 38 Jahre alten Mann hinterrücks | |
an dem belebtesten Grenzübergang zwischen Ost und West. Der Angeklagte sei | |
mit der „Unschädlichmachung“ des Polen beauftragt worden, nachdem dieser | |
mit einer Bombendrohung seine Ausreise habe erzwingen wollen, so die | |
Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft. | |
## Auszeichnung nach tödlichen Schüssen | |
Den Auftrag habe er aufgrund seiner „Fähigkeiten und Regimetreue“ erhalten, | |
erklärte Hillmann. Später sei er dafür von der Stasi mit dem „Kampforden in | |
Bronze“ ausgezeichnet worden. Beleg dafür ist aus Sicht der Staatsanwältin | |
ein vom damaligen Staatssicherheits-Minister Erich Mielke unterzeichneter | |
Befehl. In diesem wurden insgesamt zwölf MfS-Mitarbeiter genannt, die im | |
Kontext mit der Tötung ausgezeichnet werden sollten. | |
Das Schriftstück aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv hat eine zentrale | |
Bedeutung in dem Verfahren. Erst im Jahr 2016 lieferte es einen | |
entscheidenden Hinweis zur Identität des Schützen in dem Fall, in dem die | |
Ermittlungen über viele Jahre nicht vorankamen. Die Staatsanwaltschaft ging | |
zunächst jedoch von einem Totschlag und nicht von Mord aus und stellte das | |
Verfahren 2017 ein, weil die Tat in diesem Fall verjährt gewesen wäre. | |
Inzwischen sieht die Staatsanwaltschaft jedoch das Mordmerkmal der | |
Heimtücke erfüllt. Hintergrund für die neue Bewertung war ein europäischer | |
Haftbefehl gegen den Angeklagten nach beharrlichen Nachforschungen auf | |
polnischer Seite. | |
## Verteidigung: Nicht klar, dass Angeklagter der Schütze war | |
Die Verteidigerin des Ex-Stasi-Mitarbeiters mahnte, Recherchen von | |
Historikern reichten nicht aus für eine rechtliche Bewertung. „Historiker | |
sprechen nicht Recht im Namen des Volkes“, betonte Andrea Liebscher. Das | |
Gericht habe sich nach Kräften bemüht, mit den zur Verfügung stehenden | |
Mitteln den Fall aufzuklären. „Ich denke, dass man alles, was nach 50 | |
Jahren noch herauszufinden war, auch herausgefunden hat.“ Danach sei nicht | |
ausreichend sichergestellt, dass ihr Mandant der Schütze gewesen sei. Zudem | |
sei sie überzeugt, dass es sich um Totschlag und nicht Mord handele. Der | |
getötete Pole habe angesichts der von ihm zuvor inszenierten Bombendrohung | |
nicht arglos sein können. | |
„Ich möchte dazu keine weiteren Angaben machen“, sagte der Angeklagte | |
selbst zum Ende des Prozesses. Er hatte sich auch im Verfahren nicht | |
geäußert. Seine Verteidigerin hatte zu Beginn erklärt, ihr Mandant | |
bestreite die Vorwürfe. | |
Die Anwälte der Nebenkläger – eine Tochter und zwei Söhne sowie eine | |
Schwester des getöteten Polen – sind von der Schuld des Angeklagten | |
überzeugt. Czeslaw Kukuczaka sei zum Tatzeitpunkt arglos gewesen im Sinne | |
des Rechts. „Seine Liquidierung war Mord, nicht Totschlag“, betonte Anwalt | |
Hans-Jürgen Förster. Er beantragte kein konkretes Strafmaß im Namen seiner | |
Mandantin. Die Tochter, die zur Zeit der Ermordung ihres Vaters gerade 18 | |
Jahre gewesen sei, sei heute „allein an der Schuldfeststellung durch ein | |
demokratisch legitimiertes staatliches Gericht interessiert, nicht an | |
Strafausspruch oder gar -vollstreckung“, betonte Förster. | |
Sein polnischer Kollege Rajmund Niwinski empfand den Strafantrag der | |
Staatsanwaltschaft sogar als zu hoch. „Er hat letztlich einen Befehl | |
ausgeübt.“ Man müsse auch das Lebensalter des Angeklagten beachten. Seinen | |
Mandanten sei es nie um ein bestimmtes Strafmaß oder Rache gegangen. „Man | |
wollte einfach nur ein Urteil“, so Niwinski. „Die Nebenkläger sind dem | |
Gericht, dem deutschen Staat dankbar, dass es dieses Verfahren gab.“ | |
7 Oct 2024 | |
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