| # taz.de -- Berliner Diskriminierungsfall: Gewobag muss Entschädigung zahlen | |
| > Ein Mieter im Rollstuhl wurde vom landeseigenen Wohnungsunternehmen | |
| > diskriminiert. Das Landgericht hat ein womöglich wegweisendes Urteil | |
| > gesprochen. | |
| Bild: Nicola Arsic konnte im Rollstuhl nur mit Hilfe, etwa von seinem Mann Denn… | |
| Berlin taz | Es gibt viele Ecken in Berlin, die für Menschen mit | |
| eingeschränkter Mobilität nur schwer oder gar nicht zugänglich sind. | |
| Bahnhöfe haben unnötige Treppen, Bordsteinkanten keine Absenkung, hier | |
| fehlen Aufzüge, dort sind sie kaputt. Bei Wohnungen ist fehlende | |
| Barrierefreiheit besonders ärgerlich, schließlich müssen auch Gehbehinderte | |
| irgendwo wohnen. Doch der barrierefreie Umbau einer Stadt ist teuer, | |
| Hausbesitzer scheuen ihn wie Vampire das Licht. | |
| Das Landgericht hat nun zu diesem Thema ein womöglich wegweisendes Urteil | |
| gesprochen. Ein großer Vermieter muss einem seiner Mieter 11.000 Euro | |
| Entschädigung zahlen, weil er ihn über mehr als zwei Jahre diskriminiert | |
| hat. Der Mieter, Nicola Arsic, sitzt im Rollstuhl. 2020 war er in die | |
| Wohnung seines Ehepartners im 10. Stock eines Kreuzberger 70er-Jahre-Baus | |
| gezogen. Das Haus hat einen Aufzug, doch den Eingang mit sechs | |
| Treppenstufen konnte Arsic nur mit fremder Hilfe bewältigen. | |
| Laut Bürgerlichem Gesetzbuch sieht die Sache so aus: Vermieter müssen den | |
| barrierefreien Umbau von Wohnungen erlauben (Paragraf 554). Das heißt: | |
| Bezahlen müssen solche Umbauten die Mieter. Arsic und sein Mann Dennis | |
| Kuhlow schlugen der Gewobag vor, eine Rampe zu bauen, und besorgten das | |
| Geld. Der Bezirk stimmte zu, den Löwenanteil der Kosten von rund 30.000 | |
| Euro zu übernehmen. | |
| Doch der Vermieter – übrigens kein privater Halsabschneider, sondern die | |
| landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gewobag – wollte nicht. Mit teils | |
| absurden Argumenten wehrte sich das Unternehmen, das in Berlin 74.000 | |
| Wohnungen besitzt und damit wirbt, die „ganze Vielfalt Berlins“ zu | |
| repräsentieren, gegen den Bau der Rampe. [1][Am Ende verlor die Gewobag in | |
| zwei Instanzen, das Landgericht ordnete Ende 2022 an, die Genehmigung sei | |
| zu erteilen.] Seit gut einem Jahr ist die Rampe fertig. Und wird laut | |
| Kuhlow auch von anderen Bewohnern des Hauses gerne benutzt. Vor allem eine | |
| gebrechliche ältere Dame aus dem 6. Stock „kann jetzt auch endlich wieder | |
| aus dem Haus“. | |
| ## „Unmittelbare Benachteiligung“ | |
| Der ganze Prozess sei allerdings so unangenehm gewesen und die Gegenseite | |
| so uneinsichtig, „dass wir klarstellen wollten, dass man so nicht mit einem | |
| berechtigten Anliegen umgehen kann“, sagt Kuhlow. Sein Mann klagte also auf | |
| Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz – und bekam | |
| Ende September in zweiter Instanz recht, wie erst jetzt bekannt wurde. | |
| Die Beklagte habe durch Unterlassung, also Nicht-Genehmigung der Rampe, | |
| eine „unmittelbare Benachteiligung“ des Klägers verursacht, heißt es im | |
| schriftlichen Urteil, das der taz vorliegt. Der Kläger habe einen | |
| „gesetzlichen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis zur baulichen | |
| Veränderung der Mietsache“ – dem habe sich die Beklagte über zwei Jahre | |
| verweigert, und dies „ohne jede substantiierte Darlegung“, so das Gericht. | |
| Die laut Urteil „hartnäckige Verweigerungshaltung“ hat auch die recht hohe | |
| Entschädigungssumme von 11.000 Euro begründet, die Kläger selbst hatten | |
| 5.000 Euro gefordert. Die Folgen der Diskriminierung seien zudem für den | |
| Kläger „gravierend“ gewesen, so die Richter. Weil er allein sein Haus weder | |
| betreten noch verlassen konnte, war er über einen längeren Zeitraum „in | |
| seiner Bewegungs- und Handlungsfreiheit stark eingeschränkt“. Schließlich | |
| berücksichtigte das Gericht bei der Entscheidung über die Höhe der | |
| Entschädigung auch die Tatsache, dass die Gewobag ihrem Mieter „ersichtlich | |
| keinerlei Form der Wiedergutmachung – und sei es auch nur in Form eines | |
| Ausdrucks des Bedauerns – geleistet hat“. | |
| Daran hat sich bis dato nichts geändert. Das Geld hätten sie zwar bekommen, | |
| so Kuhlow, doch ansonsten herrsche Funkstille. „Eine Entschuldigung der | |
| Hausverwaltung wäre eigentlich überfällig“, findet er. | |
| 23 Oct 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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