# taz.de -- Bundesparteitag der Linken: Silberlocken und grüne Jugend | |
> Der Bundesparteitag gelingt ohne große Konflikte, dafür mit hart | |
> erkämpften Kompromissen – etwa zum Nahostkonflikt. | |
Bild: Noch mit Inhalt zu befüllen: Auf dem Parteitag werden Lunchboxen als Wer… | |
Halle (Saale) taz | Die Linke hat wieder eine Sarah. Zumindest auf ihrem | |
Bundesparteitag im sachsen-anhaltischen Halle. Am Sonntagmittag tritt ein | |
Überraschungsgast auf die Bühne. „Mein Name ist Sarah-Lee Heinrich, und ich | |
bin der Meinung: Es ist Zeit für was Neues“, sagt die Ex-Bundessprecherin | |
der [1][Grünen Jugend] (siehe Inland, Seite 6). Gemeinsam mit einer Reihe | |
Gleichgesinnter ist die 23-jährige Studentin vor einem Monat aus den Grünen | |
ausgetreten. Jetzt steht sie also hier, um der schwer kriselnden | |
Linkspartei Mut zu machen. | |
„Gerade heute braucht es mehr denn je eine starke linke Partei“, sagt sie. | |
Die Linkspartei sei das zwar im Moment nicht. „Aber vielleicht könnt ihr ja | |
genau diese Partei werden.“ Sie und die anderen Grüne-Jugend-Abtrünnigen | |
interessiere sehr,„was ihr euch vornehmt und was ihr tun wollt“ – auch we… | |
sie sich selbst jetzt erst mal sortieren wollten: „Seht uns bitte nach: Wir | |
haben gerade eine Beziehung beendet.“ Aber: „Ich glaube, wir werden noch | |
voneinander hören.“ Der Auftritt Sarah-Lee Heinrichs ist ein Coup [2][der | |
neuen Parteivorsitzenden Ines Schwerdtner und van Aken]. „Ich grüße alle | |
von der Grünen Jugend, die die Partei verlassen haben“, sagte Schwerdtner. | |
„Wer an einer starken linken sozialistischen Kraft in diesem Land arbeiten | |
will, die sind herzlich willkommen.“ | |
Doch noch ist es nicht so weit. Vorerst muss die Linkspartei noch mit ihrem | |
bewährten Personal vorliebnehmen. Am Samstag hatte [3][Gregor Gysi] seinen | |
großen Auftritt. Erst kurz zuvor auf dem Parteitag eingetroffen, betrat der | |
in die Jahre gekommene Politpopstar am Nachmittag unter Beifall die Bühne. | |
Und er hatte eine besondere Ankündigung mitgebracht: „Irgendwann nach dem | |
Parteitag“ würden sich „drei ältere Genossen“ zum Essen treffen, teilte… | |
mittlerweile 78-jährige Parteigrande den mehr als 540 Delegierten | |
paternalistisch mit. | |
Zusammen mit Ex-Bundestagsfraktionschef [4][Dietmar Bartsch] und Thüringens | |
Noch-Ministerpräsident Bodo Ramelow werde er dann bei einem Wein „darüber | |
nachdenken, ob es den wirklich notwendigen Aufschwung in unserer Partei | |
gibt“. Falls sie zu einem positiven Ergebnis kämen, dann würde das Trio die | |
„Aktion Silberlocke“ starten. | |
## Ein Kompromiss zu Nahost | |
Das heiße, so gab Gysi bekannt, dass sie für diesen Fall „in vollem Umfang | |
in den Wahlkampf eingreifen“ würden. Jeder von ihnen versuche dann sowohl | |
ein Direktmandat zu erreichen, als auch dabei mitzuhelfen, die | |
Fünfprozenthürde zu überspringen. „Über das Ergebnis unserer Beratungen | |
werde ich euch informieren“, sagte Gysi. „Deutschland braucht eine starke | |
demokratisch-sozialistische Partei“, schloss er seine zehnminütige Rede. | |
Tja, da wird sich die Partei wohl kräftig Mühe geben müssen, um den | |
Ansprüchen der drei Altvorderen zu genügen. Aber immerhin: Zu Beginn am | |
Freitag war es noch nicht einmal sicher, ob nicht schon der Parteitag in | |
einem Scherbenhaufen ende. [5][Nachdem eine Debatte über linken | |
Antisemitismus auf dem Berliner Landesparteitag eine Woche zuvor zum Eklat | |
geführt hatte], war die Angst groß, dass der Streit um den richtigen Umgang | |
mit dem Nahostkonflikt auch den Bundesparteitag sprengen könnte. Auf den | |
Fluren und in Hinterzimmern wurde fieberhaft um eine Lösung gerungen, mit | |
der so viele wie möglich in der Partei leben können. | |
Tatsächlich gelang am späten Freitagabend das Wunder. Jan van Aken | |
präsentierte einen Kompromissantrag, in dem der „menschenverachtende Terror | |
der Hamas“ ebenso angeprangert wird wie „Völkerrechtsverbrechen“ der | |
israelischen Armee. Israel und Palästina hätten „ein Recht auf | |
Selbstbestimmung und auf Selbstverteidigung“. Das rechtfertige aber niemals | |
Terror und Kriegsverbrechen. Die Kernbotschaft: „Unser Mitgefühl und unsere | |
Solidarität gelten den israelischen, palästinensischen und libanesischen | |
Opfern.“ Eine weitere Kernbotschaft: „Als Linke stehen wir gemeinsam und | |
entschieden gegen jede Form des Antisemitismus und Rassismus – unabhängig | |
davon, von welcher politischen und weltanschaulichen Richtung er ausgeht.“ | |
## Vorstandswahlen sorgen für keine Kontroversen | |
„Wir haben damit den Nahostkonflikt nicht gelöst“, räumte van Aken ein. | |
Aber zumindest konnte eine gefährliche Bombe für den Parteitag entschärft | |
werden. „Wir sind als Partei wirklich einen großen Schritt weitergekommen“, | |
zeigte er sich zufrieden. Der Antrag wurde mit nur wenigen Gegenstimmen und | |
Enthaltungen beschlossen. Erleichterung war in vielen Gesichtern zu sehen, | |
als um 22.36 Uhr der Themenkomplex ohne Knall abgeschlossen war. | |
Auch ein anderer Konflikt konnte zwar nicht gelöst, aber immerhin vertagt | |
werden: Beim Dauerstreitthema bedingungsloses Grundeinkommen entschieden | |
sich die Delegierten, weiterhin nichts zu entscheiden, also sich weder | |
dafür noch dagegen auszusprechen. Damit gilt weiter das Erfurter Programm | |
von 2011: „Diese Diskussion wollen wir weiterführen.“ | |
Für keine Kontroversen sorgen die Vorstandswahlen am Samstag. Mit guten | |
Ergebnissen wählten sie den 63-jährigen Hamburger Biologen van Aken und die | |
35-jährige Berliner Publizistin Schwerdtner zur neuen Doppelspitze. Zu | |
ihren vier Stellvertreter:innen wurden die Hamburger Landesvorsitzende | |
Sabine Ritter, die sächsische Landtagsabgeordnete Luise Neuhaus-Wartenberg, | |
der Bundestagsabgeordnete Ateș Gürpinar und der Berliner Landeschef | |
Maximilian Schirmer gewählt. Neuer Schatzmeister wurde Sebastian Koch, | |
neuer Bundesgeschäftsführer Janis Ehling, beide ebenfalls aus Berlin. | |
Sie habe in den letzten Wochen und Monaten „festgestellt, wie unglaublich | |
lebendig diese Partei ist“, hatte Schwerdtner zuvor in ihrer | |
Bewerbungsrede geschwärmt. „Egal, was alle anderen sagen, lasst euch nichts | |
einreden.“ Sie sei „als Sozialistin in eine sozialistische Partei gekommen, | |
aus tiefer Überzeugung und mit dem Wissen, dass es sie braucht“, sagte die | |
Mutter eines Sohnes, die erst seit August vergangenen Jahres Mitglied ist. | |
„Wir verschwinden doch nicht, weil die Umstände schwieriger werden, wir | |
richten uns auf“, gab sich Schwerdtner, die auch in Berlin-Lichtenberg die | |
langjährige Linken-Abgeordnete Gesine Lötzsch als Direktkandidatin beerben | |
will, kämpferisch. | |
## Die Delegierten hörten’s gerne | |
Für ihn seien „Hoffnung und Zuversicht“ ganz zentral, sagte van Aken. Er | |
bewerbe sich um den Vorsitz, „weil ich möchte, dass die Mehrheit in diesem | |
Land wieder eine Stimme bekommt“, sagte van Aken in seiner Bewerbungsrede. | |
Er wolle eine „klassenkämpferische Linke“, die unbequem ist, sich mit den | |
„unanständig Reichen“ anlegt und „die Rechte der sozial Benachteiligten | |
beinhart und stur verteidigt“, so der Vater von drei Kindern. Zudem müsse | |
die Linke eine Partei des Friedens, der Menschenrechte und der Demokratie | |
sein. Dazu gehöre auch die entschlossene Verteidigung des Rechts auf | |
Differenz: „Woher wir kommen, wen wir lieben, was wir essen, wie wir reden, | |
ist völlig egal“, so van Aken. | |
Die Delegierten hörten’s gerne: Schwerdtner bekam 79,6 Prozent der Stimmen, | |
van Aken sogar 88 Prozent van Aken. Die beiden treten die Nachfolge von | |
Janine Wissler und Martin Schirdewan an, die auf eine erneute Kandidatur | |
verzichtet hatten und am Samstagvormittag mit Tracy Chapmans „Talkin’ ’bo… | |
a Revolution“ sowie großem Applaus verabschiedet wurden. Seinen | |
Nachfolger:innen wünsche er „Kraft und Glück“, sagte Schirdewan in | |
seiner Abschiedsrede. „Das heißt aber auch: Schluss mit der destruktiven | |
Machtpolitik in unseren eigenen Reihen“, forderte er. Und Schirdewan warnte | |
vor einer Beschwörung vermeintlich guter alter Zeiten: „Eine Flucht in die | |
Orthodoxie oder als BSW- light-Kopie wären das Ende.“ Selbstkritisch merkte | |
er zur Abspaltung Sahra Wagenknechts und ihres Anhangs an: „Diese Trennung | |
hätte früher kommen müssen.“ | |
Auch Wissler, die am Freitag auftrat, konstatierte: „Es musste diese | |
Trennung geben.“ Denn eine linke Partei dürfe „sich niemals einem rechten | |
Zeitgeist anpassen und nach unten treten – auch wenn der Gegenwind noch so | |
stark ist“. Zum Abschied wurde sie auch persönlich: Ihr sei zwar bewusst | |
gewesen, dass der Wechsel 2021 von Hessen nach Berlin „hart werden würde, | |
aber dass ich die Partei während einer Pandemie und durch eine Abspaltung | |
führen musste, damit hatte ich dann doch nicht gerechnet“. Insbesondere die | |
permanenten öffentlichen Angriffe aus den eigenen Reihen hätten sie | |
geschmerzt. „Wenn wir ein Ort sein wollen, an dem sich Menschen aufgehoben | |
fühlen, wo Solidarität mit Leben gefüllt wird, müssen wir anders, müssen | |
wir sorgsamer miteinander umgehen“, schrieb Wissler ihrer Partei ins | |
Stammbuch. | |
Nach ihr sprach am Freitagnachmittag Bodo Ramelow, der erste, einzige und | |
demnächst ehemalige linke Ministerpräsident. Er war direkt von einer | |
Bundesratssitzung aus Berlin angereist. „Ich wünsche uns die notwendige | |
Kraft, uns neu zu sortieren“, sagte Thüringens Noch-Regierungschef in | |
seiner 18-minütigen Rede. Es gehe ihm „auf die Ketten, wie wir uns mit uns | |
selber beschäftigen“. Er habe auch „keine Lust mehr, für jeden Depp, der | |
auf X unterwegs ist, den Kopf hinzuhalten“. Da müssten klare Grenzen | |
gezogen werden, forderte Ramelow. Trotzdem sei er „froh, ein Linker zu | |
sein“, und „stolz darauf, mit erhobenem Haupt in dieser Partei zu sein“. | |
Von der „Aktion Silberlocke“ verriet er da noch nichts. | |
20 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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