| # taz.de -- Geburtenrate in Griechenland: Demografie-Schock in Athen | |
| > Noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen kamen weniger Kinder in | |
| > Griechenland zur Welt. Eine Kehrtwende ist nicht in Sicht. Das hat gute | |
| > Gründe. | |
| Bild: Ein seltener Anblick: Frau mit Kinderwagen in Athen | |
| Athen taz | Der Wunsch nach Kindern ist wohl nirgendwo in Europa so | |
| ausgeprägt wie im wertkonservativen Griechenland. Dennoch: Die Zahl der | |
| Geburten ist im Gesamtjahr 2023 auf einen historischen Tiefstand gesunken. | |
| Wie das griechische Statistikamt (Elstat) nun offiziell bekanntgab, | |
| erblickten im Gesamtjahr 2023 lediglich 71.455 Babys das Licht der Welt – | |
| ein Rückgang um 6,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dies ist zugleich die | |
| niedrigste Anzahl von Geburten seit Beginn der betreffenden | |
| Elstat-Aufzeichnungen im Jahr 1932. Damals, vor nunmehr 92 Jahren, wurden | |
| 185.523 Geburten gezählt. | |
| [1][Die Anzahl der Sterbefälle im Gesamtjahr 2023] belief sich auf 128.101 | |
| und lag damit um 56.646 höher als diejenige der Geburten. Somit wurden 2023 | |
| im zehn Millionen Einwohner zählenden Land fast doppelt so viele | |
| Sterbefälle wie Geburten registriert. Zum Vergleich: Den höchsten | |
| Geburtenüberschuss verzeichnete Griechenland im Jahr 1960. Den 60.563 | |
| Sterbefällen standen 157.239 Geburten gegenüber. Das waren noch fast | |
| 100.000 Geburten mehr als Sterbefälle. | |
| Das ist lange vorbei. Den letzten Geburtenüberschuss verzeichnete Hellas | |
| ausgerechnet im Jahr 2010, in ebenjenem Jahr, in dem Griechenland faktisch | |
| bankrott ging. Was folgte, war ein rigoroser Sparkurs in Athen – und | |
| anschließend Jahr für Jahr ein Sterbeüberschuss. | |
| ## Auch erneutes Wirtschaftswachstum ändert nichts | |
| Daran hat auch der Umstand nichts geändert, dass das [2][einstige | |
| EU-Sorgenkind wieder auf den Wachstumspfad] zurückgekehrt ist. Offenbar | |
| kommt beim Gros der Griech:innen davon nicht viel an. Seit 2021 liegt der | |
| hiesige Sterbeüberschuss bei jährlich rund 60.000 Personen. | |
| „Das Geburtendefizit in Griechenland wird sich die nächsten Jahre | |
| fortsetzen“, sagt auf Anfrage der taz der Demografie-Experte Pavlos Baltas | |
| vom Nationalen Zentrum für Sozialforschung (EKKE) in Athen. Baltas legt den | |
| Finger in die Wunde: „Dazu hat die Massenauswanderung von etwa 600.000 | |
| meist junger Griechen in den Krisenjahren der Zehnerjahre beigetragen. | |
| Diese Griechen kriegen Kinder in Berlin, Brüssel, München und anderswo – | |
| jedenfalls nicht in Griechenland.“ | |
| Denjenigen jungen Griech:innen, die in ihrer Heimat bleiben und Kinder | |
| haben wollen, fehlt hingegen oftmals das Geld. Kein Wunder: In Griechenland | |
| herrscht – politisch gewollt – eine Trickle-down-Ökonomie („trickle down… | |
| auf Deutsch: „nach unten rieseln“). Sie fußt auf der Überzeugung, wonach | |
| der Wohlstand der Reichsten einer Gesellschaft nach und nach durch Konsum | |
| und Investitionen in die unteren Schichten der Gesellschaft durchrieseln | |
| und so zu Wirtschaftswachstum führe, von dem letztlich alle profitieren. | |
| Maggie Thatcher lässt grüßen. | |
| ## Negative Sparquote in Griechenland | |
| Ein glühender Anhänger dieser Trickle-down-Ökonomie ist [3][der griechische | |
| Premier Kyriakos Mitsotakis]. Mit seiner konservativen Nea Dimokratia (ND) | |
| regiert er seit Juli 2019 allein in Athen. Zwar wächst die Wirtschaft | |
| maßgeblich dank üppiger EU-Gelder wieder, aber auf niedrigem Niveau. | |
| Überdies profitieren nur wenige Griech:innen von dem jüngsten Aufschwung: | |
| Mit fast 10 Prozent bleibt die Arbeitslosigkeit weiter hoch. Ferner haben | |
| die Griech:innen wegen ihrer niedrigen Löhne und Gehälter mittlerweile | |
| die zweitniedrigste Kaufkraft pro Einwohner in der ganzen EU. | |
| Obendrein ist die Sparquote der hellenischen Privathaushalte negativ – das | |
| findet man sonst nirgendwo in der EU. Im ersten Quartal 2024 lag die | |
| Sparquote bei –5,63 Prozent, im Schnitt der EU-27 lag sie hingegen bei | |
| +14,42 Prozent. Die Griech:innen müssen vom Ersparten zehren, falls | |
| vorhanden. Ob für die Geburt oder das Großziehen eines Kindes: Die Ausgaben | |
| dafür sind zu Füßen der Akropolis zugleich sehr hoch. Vielen Griech:innen | |
| bleibt keine andere Wahl: „Kinder? Nein, danke!“ | |
| Die Folgen sind fatal: In allen 13 griechischen Regionen übertraf die | |
| Anzahl der Sterbefälle im Jahr 2023 jene der Geburten. In Attika, also im | |
| Großraum Athen mit rund vier Millionen Einwohnern, kamen ferner im | |
| Gesamtjahr 2023 bloß 26.375 Kinder zur Welt. Ihnen standen 43.079 | |
| Sterbefälle gegenüber. Auch in der griechischen Hauptstadt wurde somit ein | |
| Sterbeüberschuss verzeichnet. Die Regierung Mitsotakis will dagegen | |
| vorgehen. Kritiker monieren mit Blick auf die geplanten Maßnahmen: „Zu | |
| wenig, zu spät.“ | |
| 4 Oct 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ferry Batzoglou | |
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