# taz.de -- Housing First in Hildesheim: Konzept beschlossen, Geld fehlt | |
> Hildesheim hat 2022 ein Housing-First-Konzept für Wohnungslose | |
> beschlossen. Doch das Geld für die Umsetzung müsste vom Land kommen – und | |
> das dauert. | |
Bild: Soll nach den Plänen der Bundesregierung bis 2030 überwunden werden: Ob… | |
Hamburg taz | Eigentlich ist es kein revolutionäres Konzept: Wer keine | |
Wohnung hat, der braucht eine. Unter dem Schlagwort „Housing First“, also | |
„Wohnen zuerst“, soll sich die Lage von obdach- und wohnungslosen Menschen | |
verbessern. Auch der Hildesheimer Stadtrat hat 2022 ein | |
Housing-First-Konzept beschlossen, doch die Umsetzung zieht sich hin. Es | |
hapert an der Finanzierung. Vertreter der Obdachlosen-Selbsthilfe der | |
Stadt fühlen sich nicht gehört. | |
Housing First geht davon aus, dass Wohnen ein Menschenrecht ist. Obdach- | |
und wohnungslose Menschen müssen nicht erst nüchtern, erwerbstätig oder | |
angepasst sein, um eine Wohnung zu bekommen. Stattdessen soll die Wohnung | |
der erste Schritt zu einem stabileren Leben sein. | |
Vorbild für [1][Housing First] ist Finnland. Seit 2008 gilt Wohnen dort als | |
Grundrecht. Seit der Einführung von Housing First hat sich die Zahl der | |
Obdach- und Wohnungslosen dort mehr als halbiert. In Deutschland haben sich | |
[2][Bremen], [3][Berlin] und [4][Hannover] auf die Fahne geschrieben, ein | |
solches Konzept zu verfolgen – unterstützt vom Dachverband Housing First, | |
der in Berlin sitzt. | |
Nun will auch Hildesheim das Konzept ausprobieren. In der | |
Gerade-mal-Großstadt leben 25 Personen im Freien, weitere 250 im | |
Stadtgebiet und Umkreis haben keine eigene Wohnung. Es gibt die üblichen | |
Angebote wie Herbergen, einen Tagestreff, Hotlines, Schlafsackspenden im | |
Winter. | |
Diese Hilfen würden aber bisher fast nur von Männern wahrgenommen, sagt | |
Kathrin Diehe. Sie leitet den Bereich Teilhabe und Prävention der Stadt und | |
sitzt selbst am Telefon der Hotline für wohnungs- und obdachlose Menschen | |
in Hildesheim. Frauen und Mitglieder der LGBTQIA+-Community nutzten die | |
Angebote sehr wenig, sagt sie. Housing First sieht sie als Ansatz, um auch | |
diesen Personen zu helfen. | |
Das soll in Hildesheim dann so aussehen: Erst einmal will die Stadt das | |
Konzept für drei Jahre testen. Wer keinen festen Wohnsitz hat, könnte sich | |
in der Zeit an die Stadt wenden. Mitarbeiter:innen würden gemeinsam | |
mit den Betroffenen eine Wohnung suchen – ganz normal, über die | |
Wohnungsbaugenossenschaften und private Vermieter:innen. Das habe die Stadt | |
schon mit den Firmen abgesprochen. | |
Es ist ein Grundprinzip von Housing First, dass obdachlose und wohnungslose | |
Menschen nicht in eigens dafür bereitgestellten Wohnungen leben sollen. | |
Dadurch soll verhindert werden, dass sie wieder von der Gesellschaft | |
ausgeschlossen werden. „Wir sind sehr stolz auf das Konzept“, sagt Diehe. | |
Und: „Wir stehen in den Startlöchern.“ | |
Aber losgehen kann es nicht. Der Stadtrat hat das Konzept zwar inzwischen | |
ausformuliert, aber das Geld dafür muss vom Land Niedersachsen kommen. Und | |
es ist nicht absehbar, wann und ob der Niedersächsische Landtag beschließt, | |
Housing First im ganzen Land als Strategie einzuführen. | |
Diehe zeigt sich dennoch zuversichtlich: „Ich glaube, es ist sehr | |
wahrscheinlich, dass es bald durchkommt.“ Nach der Testphase will die Stadt | |
auch die Kapazität ausweiten, weil die geplanten 20 Haushalte den Bedarf | |
nicht abdecken. | |
Swen Huchatz von der Obdachlosen-Selbsthilfe in Hildesheim, findet das | |
Konzept nicht ausgereift. Er hat selbst 20 Jahre auf der Straße gelebt, in | |
verschiedenen europäischen Ländern, und hat nun seit 2021 eine eigene | |
Wohnung in Hildesheim. Huchatz kritisiert, dass das Konzept der Stadt nicht | |
so inklusiv sei, wie behauptet werde. So müssten interessierte Personen | |
Miete und Kaution selbst aufbringen. Vor allem kritisiert Huchatz aber, | |
dass der Kontakt zur Stadt schwierig sei. | |
## Partizipation als Grundpfeiler | |
Am Anfang habe er sich bei der Entwicklung des Konzepts einbringen können, | |
nun sei der Kontakt unmöglich. Stattdessen greife die Stadt auf die Träger | |
der Obdachlosenhilfe in der Stadt und den Bundesverband Housing First | |
zurück, obwohl der Stadtrat 2022 beschlossen habe, dass die Meinung der | |
obdachlosen Menschen in Hildesheim einbezogen werden solle. | |
Statt sich an die obdach- und wohnungslosen Menschen der Stadt zu wenden, | |
werde – mal wieder – über deren Köpfe hinweg entschieden, sagt Huchatz. | |
Auch das widerspreche dem Konzept „Housing First“. Denn Partizipation und | |
Selbstbestimmung gehören zu dessen Grundpfeilern. | |
Kathrin Diehe wehrt sich gegen die Vorwürfe. Eine offizielle | |
Obdachlosen-Selbstorganisation gebe es in Hildesheim nicht. Swen Huchatz | |
sei in der Vergangenheit gehört worden, er könne weiterhin einfach anrufen, | |
eine Mail schreiben, zu den Sitzungen erscheinen. „Das ist ein | |
demokratischer Prozess, an dem sich gerne alle beteiligen können, die das | |
möchten“, sagt sie. | |
18 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Lisa Bullerdiek | |
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