# taz.de -- Raum für Bestattungen: Friedhofsunruhe in Berlin | |
> Lange sah es so aus, als könne die Stadt auf viele Bestattungsflächen | |
> verzichten. Doch es wird wieder mehr gestorben und der Platz könnte knapp | |
> werden. | |
Bild: Platz gibt es, aber wie lange noch? Alter St.-Matthäus-Kirchhof in Schö… | |
Berlin taz | Gestorben wird immer, lautet eine alte Binse, die die | |
Zukunftssicherheit des Bestattungswesens belegen soll. Aber was passiert, | |
wenn einer Großstadt der Raum ausgeht, auf dem ihre Toten beerdigt werden | |
können? Eine solche Knappheit droht aus Sicht der Linken-Abgeordneten | |
Katalin Gennburg: Sie kritisiert die fortschreitende Umwandlung bestehender | |
Friedhofsflächen – insbesondere in Bauland. Wenn der Senat nicht umsteuere | |
und ausreichend Flächen vorgehalten würden, träte laut Gennburg irgendwann | |
ein Zustand ein, der die Alltagsweisheit zu widerlegen scheint: „Im | |
schlimmsten Fall kann nicht mal mehr gestorben werden.“ | |
[1][In einer parlamentarischen Anfrage an den Senat] wollte die Politikerin | |
wissen, wie viele Menschen in Berlin in den vergangenen Jahren gestorben | |
sind, wie viele auf welche Art in der Stadt bestattet wurden und wie sich | |
im selben Zeitraum die Gesamtfläche der Friedhöfe entwickelt hat. | |
Überraschend ist dabei schon die folgende Erkenntnis: Nahmen die | |
Sterbezahlen in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich ab und | |
erreichten ein Minimum in den Nullerjahren, wachsen sie seitdem wieder, | |
zuletzt sogar deutlich. Im Jahr 2007 registrierten die Behörden 30.980 | |
Todesfälle in Berlin, 2015 waren es 34.278 und 2022 sogar 39.572. | |
Für das Jahr 2023 gibt die von der zuständigen Senatsumweltverwaltung | |
gelieferte Tabelle bislang die Zahl von 37.588 Todesfällen an, weist aber | |
darauf hin, dass die Statistik noch nicht vollständig ist. | |
Erklärungsansätze für die ansteigende Kurve liefert die Behörde auch gleich | |
mit: So sei einerseits die EinwohnerInnenzahl durch Zuzug deutlich | |
gestiegen und werde weiterhin steigen. Auf der anderen Seite habe sich die | |
Bevölkerungsstruktur der Stadt verändert: Es gebe aktuell wieder viele | |
hochaltrige Menshen, sodass auch die Sterbefallzahlen wieder zunehmen. | |
Allerdings, so Staatssekretärin Britta Behrendt, präge das heutige | |
Bestattungsverhalten die immer häufigere „Wahl von Grabstätten mit wenig | |
Platzbedarf oder außerhalb Berlins und kürzere Nutzungszeiten“. | |
Urne statt Sarg, der Friedwald im Umland statt des Kirchhofs im Kiez also. | |
Die Senatsverwaltung kommt daher zu dem Schluss, dass sich das Mehr an | |
Toten „nicht wesentlich auf den Friedhofsflächenbedarf auswirken“ werde. | |
Ein politisch fast schon notwendiger Schluss, denn die Antwort auf | |
Gennburgs Anfrage zeigt gleichzeitig den Verlust an Friedhofsflächen seit | |
der Aufstellung des Berliner Friedhofsentwicklungsplans (FEP) im Jahr 2006 | |
auf: Sie sind von 1.174 Hektar im Jahr 2006 auf 1.094 Hektar im Jahr 2023 | |
geschrumpft. | |
## 30 Jahre Warten | |
[2][Der FEP sollte mehrere Probleme auf einmal lösen:] Einerseits wurden | |
bei den Trägern der Friedhöfe, also den Kirchen oder den Bezirken, durch | |
den sinkenden Bedarf an Bestattungsfläche die Einnahmen knapp. Andererseits | |
sollten mehr öffentliche Grünflächen entstehen – und Flächen für | |
Bauprojekte. Dabei hat die Entwidmung eines Friedhofs einen relativ langen | |
Vorlauf: Erst 20 Jahre nach der letzten Bestattung kann er geschlossen und | |
beispielsweise als Park genutzt werden, gebaut werden darf sogar erst nach | |
30 Jahren. | |
Allzu viele Neubauprojekte anstelle ehemaliger Gräber sind darum bislang | |
noch nicht zustande gekommen, die prominenteste und umstrittenste aktuelle | |
Planung bezieht sich auf den ehemaligen Emmausfriedhof in Neukölln, den | |
heutigen „Emmauswald“. Dagegen wurden schon mehrere Dutzend | |
Friedhofs-Teilflächen in der ganzen Stadt zu Grünanlagen umgewandelt. In | |
einigen Fällen dienen Flächen heute auch als Schulhoferweiterung, | |
Gemeinschaftsgarten oder Gastronomiestandort. | |
Zwar geht die Senatsverwaltung weiterhin davon aus, dass langfristig 800 | |
Hektar Friedhof für Berlin ausreichen. Katalin Gennburg weist aber darauf | |
hin, dass die Zahl der Erdbestattungen mit ihrem höheren Platzbedarf gar | |
nicht so stark gesunken ist, wie anzunehmen wäre. Das liegt insbesondere an | |
der Zunahme von Bestattungen nach dem islamischen Ritus, der Verbrennung | |
und Urnenbestattung ausschließt. Immer mehr Menschen mit | |
Migrationsgeschichte entscheiden sich mittlerweile, die letzte Ruhe in | |
Berlin zu finden, was die Bilanz zunehmend ausgleicht: So ist die Zahl | |
aller Erdbestattungen von 6.735 im Jahr 2006 nur auf 6.040 im Jahr 2022 | |
zurückgegangen. | |
## Grüne Flächen schützen | |
Gennburg kritisiert, dass der Stadtentwicklungsplan Wohnen 2040 mehr als 20 | |
Hektar Friedhofsfläche für Bauprojekte vorsieht. Die Stadt müsse aber schon | |
im Sinne der Klimaresilienz grüne und freie Flächen gegen | |
Verwertungsinteressen schützen. Gebe es bürgerschaftliches Engagement gegen | |
den Neubau, wie im Fall des Emmauswalds, werde dieses „unter Verweis auf | |
bürgerliche Gesetze und Bebauungsrechte weggewischt“. „Die Friedhofsfrage | |
wird drängender, aber an der Friedhofspolitik hat sich nichts geändert“, | |
kritisiert die Linken-Abgeordnete den Status quo. | |
Tatsächlich wurde der FEP bis heute nicht aktualisiert, es gab auch | |
lediglich einen einzigen Umsetzungsbericht im Jahr 2014. Immerhin: Die | |
Senatsumweltverwaltung teilt auf Anfrage der taz mit, eine Überarbeitung | |
des FEP sei bereits in Planung. Dabei würden dann auch neue Anforderungen | |
berücksichtigt, die „mit einer multikulturellen Gesellschaft als auch der | |
notwendigen Anpassung an den Klimawandel“ zusammenhingen. | |
16 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-20… | |
[2] /Vom-Sterben-der-Friedhoefe/!224986/ | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
## TAGS | |
Friedhöfe | |
Ute Bonde | |
Bestattung | |
Sterben | |
Beerdigung | |
Friedhöfe | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Tod von Familienangehörigen: Sterben in Bürokratistan | |
Auch nach dem Tod lauert die deutsche Bürokratiehölle, die kaum Zeit zum | |
Trauern lässt. Warum das Thema endlich von links besetzt werden sollte. | |
Bebaute Friedhöfe: Vorbei die ewige Ruh’ | |
Berlins Friedhöfe werden immer leerer, manche werden schon bebaut, andere | |
zu Parks: Bald auch der Friedhof von Ulrike Meinhof und Cemal Kemal Altun. | |
Islamische Friedhöfe in Berlin: „Die ewige Ruhe gibt es hier nicht“ | |
Immer mehr Muslime lassen sich in Berlin beerdigen. Der Platz auf den | |
Friedhöfen wird deswegen knapp, klagen Vertreter von Ditib. |