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# taz.de -- Bebaute Friedhöfe: Vorbei die ewige Ruh’
> Berlins Friedhöfe werden immer leerer, manche werden schon bebaut, andere
> zu Parks: Bald auch der Friedhof von Ulrike Meinhof und Cemal Kemal
> Altun.
Bild: Urnenbeerdigung in einem Friedwald
Wohnungen sind in Berlin in ehemalige Fabrikgebäude gezogen, Gewerbe in
einen ehemaligen Schlachthof. In den nächsten Jahren wird die Frage immer
öfter gestellt werden: Welche Nutzung gibt es für stillgelegte Friedhöfe?
Der Bedarf an Grabflächen ist stark rückläufig, seit 1980 beträgt er gut 50
Prozent. Hat in früheren Jahrhunderten das Bevölkerungswachstum in Berlin
auch zu einer größeren Nachfrage nach Grabstätten geführt, ist heute das
Gegenteil der Fall. Dies liegt zum einen am Anstieg der Lebenserwartung und
der gesunkenen Kindersterblichkeit.
Aber auch die Bestattungskultur hat sich gewandelt: Die künstlerisch
wertvolle Familiengruft hat ausgedient. Auch werden immer weniger Menschen
in Särgen bestattet. Der Trend geht zu gärtnerisch gestalteten
Gruppengräbern mit Urnen, aber auch zu Seebestattungen und Begräbnissen im
Ausland. Für die Friedhofsbetreiber entstehen damit klare wirtschaftliche
Zwänge, Flächen zu verkaufen. Denn die Einnahmen der Friedhöfe sinken,
während nicht als Gräber genutzte Flächen weiter gepflegt werden müssen.
Auf der anderen Seite ist die Nachfrage an Bauland in Berlin riesig.
Am stärksten betroffen ist die evangelische Kirche. Von den 220 Friedhöfen
in Berlin sind 117 im Eigentum evangelischer Gemeinden. Jürgen Quandt
leitet den Evangelischen Eriedhofsverband Berlin-Stadtmitte und steht vor
einem Dilemma: „Als Christ möchte ich keine Friedhöfe schließen. Aber
Friedhöfe werden schon lange nicht mehr kostendeckend bewirtschaftet.
Dieser Realität müssen wir uns stellen. Mit der Kritik aus der Bevölkerung,
wenn ein Friedhof geschlossen wird, müssen wir auch umgehen.“
## 30 Jahre Planungsvorlauf
Die Weichen, Friedhofsflächen umzuwidmen, hat das Land Berlin bereits 2006
mit dem Friedhofsentwicklungsplan gestellt. Der sieht vor, von den einst
1.037 Hektar Friedhofsflächen nur noch 747 Hektar zu erhalten. Der Plan war
aus heutiger Sicht allerdings nicht ehrgeizig genug. Denn der Bedarf an
Grabflächen ist seither noch stärker gesunken.
Bisher sind von den 290 Hektar, die umgewidmet werden sollen, tatsächlich
erst 39 Hektar in anderer Nutzung. Der Grund: Gesetzlich ist es erst nach
dem Ablauf der 20-jährigen Ruhezeit plus einer mindestens 10-jährigen
Pietätsfrist möglich, Grabflächen umzuwidmen. Eine Umwidmung von Gräbern
braucht also mindestens 30 Jahre Planungsvorlauf, während der alte Gräber
erhalten bleiben, aber keine neuen geschaffen werden.
Der Evangelische Friedhofsverband macht aus dem Luisenstädtischen Friedhof
an der Bergmannstraße in Kreuzberg gerade einen Park. Auf dem ehemaligen
Neuen St.-Jacobi-Friedhof an der Hermannstraße in Neukölln entstand ein
Gartenprojekt für Geflüchtete und Einheimische, mit Schulgärten und
Bienenvölkern. Ein Park entstand auch an der Heinrich-Roller-Straße am
Prenzlauer Berg auf einem ehemaligen Friedhof. Allerdings erst, nachdem
Anwohner 2007 heftig gegen die ursprünglichen Pläne für eine Wohnbebauung
protestiert und das Land Berlin der Kirche die Fläche schließlich abgekauft
hatte.
Offensichtlich ist eine Nutzung durch Grün- und Erholungsflächen auf
ehemaligen Friedhöfen eher akzeptiert als eine Wohnbebauung, die Berlin
aber auf der anderen Seite dringend braucht. Am Rande des Volksparks
Friedrichshain entstehen derzeit allerdings Wohnhäuser auf einer ehemaligen
Friedhofsfläche.
## Anlass für das Kirchenasyl
Eine heftige Debatte entbrennt gerade um die beabsichtigte Umwidmung des
Dreifaltigkeitsfriedhofes Nr. 3 in Mariendorf. „Wir haben begonnen, nicht
als Friedhof genutzte Flächen als Bauland zu entwickeln“, sagt Jürgen
Quandt vom Evangelischen Friedhofsverband. „Die waren früher Schutthaufen,
Wirtschaftsgebäude oder Grünflächen und machen etwa drei Viertel der
Friedhofsfläche aus. Die Grundstücke sind verkauft worden an eine
gemeinnützige Stiftung für ein Ausbildungsprojekt für behinderte und nicht
behinderte Jugendliche.“
Derzeit laufen die Verfahren für die Änderung des Flächennutzungsplanes und
des Bebauungsplanes, was Katrin Dietl, Sprecherin von Bausenatorin Katrin
Lompscher, der taz bestätigt. In der frühzeitigen Bürgerbeteiligung gab es
ihr zufolge wesentliche Einwände.
Jürgen Quandt bestätigt, dass langfristig der gesamte Friedhof geschlossen
werden soll. „Das steht so im Friedhofsentwicklungsplan des Landes Berlin.
Wir brauchen den Friedhof nicht mehr.“ Seit 2013 finden dort keine
Erdbestattungen mehr statt, sodass eine Bebauung der Flächen, auf denen
heute noch Gräber sind, gesetzlich ab 2043 möglich wäre.
Der Grund der Kontroverse: Auf dem Friedhof liegen mit Ulrike Meinhof und
Cemal Kemal Altun zwei Prominente begraben, deren Gräber mit der
Friedhofsschließung verschwinden würden. Der 74-jährige Quandt lehnt sich
zurück. „Was mit diesen Gräbern passiert, entscheide nicht mehr ich. Das
müssen andere Generationen entscheiden. Niemand weiß, wie künftige
Generationen über Ulrike Meinhof urteilen werden.“
Die Journalistin gehörte zur ersten Generation der RAF, sie wurde 1972
verhaftet und 1976 erhängt in ihrer Zelle der Justizvollzugsanstalt
Stuttgart-Stammheim aufgefunden. Mehrere deutsche Gemeinden weigerten sich
damals, Meinhofs Grab zu beherbergen, so landete es auf dem
Dreifaltigkeitsfriedhof.
Mit Altun verbindet Quandt eine persönliche Geschichte. Als Pfarrer der
Heiligkreuzkirche hatte er sich vor 35 Jahren für den Asylbewerber
eingesetzt, der sich aus Angst vor Abschiebung aus dem Fenster des Berliner
Verwaltungsgerichtes gestürzt hatte. Quandt hatte auch seine Beisetzung
organisiert, zu der 6.000 Menschen kamen, und war ein wesentlicher
Protagonist der Kirchenasylbewegung, die sich nach Altuns Tod gründete.
„Ich würde mich freuen, wenn sich bis zur Friedhofsschließung jemand finden
würde, der das Grab pflegt“, sagt Quandt. „Das tut bisher nur der
Friedhofsträger.“
22 Oct 2018
## AUTOREN
Marina Mai
## TAGS
Beerdigung
Friedhof
Wohnungsnot
Evangelische Kirche
Friedhöfe
Istanbul
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