Introduction
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# taz.de -- Die Hanfernte steht an: Mein Leben mit Highdrun
> Die Kifferzeit unseres Autors ist vorbei. Aber er gärtnert gern und hat
> eine Hanfpflanze großgezogen. Die wirft nun mehr Gras ab als erlaubt.
Die ganze Bude stinkt nach Weed, und ich gerate in Panik. Mein kleines
Gartenexperiment ist mir über den Kopf gewachsen. Im Knast landen werde ich
dafür. Zusammen mit all den anderen Leuten, die angefangen haben Cannabis
anzubauen und nun auf viel mehr Gras sitzen als die Polizei erlaubt.
Es ist die gleiche Panik wie früher. Damals, mit 18, als meine
Kifferfreunde und ich von der Polizei gejagt wurden. Als ich nur wählen
gegangen bin, [1][damit irgendwann mal irgendwer Gras legalisiert]. Es
kommt mir heute albern vor, dass es eine Zeit gab, in der Cannabis
wichtiger war als die Dinge, auf die es tatsächlich ankommt. Aber dort, wo
ich aufgewachsen bin, da war Grasrauchen so etwas wie das Sinnbild von
Freiheitskampf.
In einem Dorf in Unterfranken reichte ein Joint, um mit allen dazugehörigen
politischen Einstellungen und Idealen aus dem Rahmen zu fallen. Wer Gras
rauchte, war Rebell. So wie meine Jungs und ich, eine kleine konspirative
Kiffergruppe, die sich lichtscheu hinter Gebüschen und Gebäuden vor dem
Auge des Gesetzes versteckte. Nichts hätte unseren inneren Frieden mehr
eingeschränkt als die Sorge, wegen eines Joints von den Bullen hopsgenommen
zu werden.
Damals hätte ich nicht damit gerechnet, dass ich zwanzig Jahre [2][später
in einer Menschenmenge vor dem Brandenburger Tor stehe und die
Legalisierung bejubele]. Irgendwie war es dem Gesundheitsminister gelungen,
auf dem Weg zu einer vernünftigen Drogenpolitik zunächst einmal Cannabis zu
legalisieren. In der Nacht auf den 1. April war der Freiheitskampf von
damals vorbei – und ich hatte ein Tütchen Grassamen zwischen meinen
Fingern.
Eine Freundin hatte sie aus den Niederlanden mitgebracht und mir zu
Mitternacht feierlich überreicht. Sie erzählte mir, wie gut die Pflanzen
aus diesem Samen für den Garten geeignet sind, wie lange sie zum Wachsen
brauchen, wie stressresistent das Gras und wie potent die Blüten seien,
wonach sie schmecken würden, paradies paradas. Ich habe nicht alles
verstanden, so laut war das Gejohle um uns herum, als die Menschenmenge
ihre Joints entzündete, um ihre neu gewonnene Freiheit zu feiern.
„Ich entledige mich hiermit meines Joints“, ruft einer und legt seine Tüte
behutsam auf die Bordsteinkante. Eine andere hebt den Dübel wieder auf.
„Oh, ich habe einen Joint gefunden!“, raucht und macht dann irgendetwas
zwischen Lachen und Husten. Zugegeben, die Regeln des Cannabisgesetzes
(CanG) sind noch etwas merkwürdig: Kiffen ist erlaubt, die Abgabe aber
nicht. Nix da mit kreisenden Joints. Außerdem ist es legal, drei
Hanfpflanzen zu Hause zu besitzen. Diese dürfen dann 50 Gramm getrocknetes
Marihuana abwerfen. Mit exakt der Hälfte der Ernte darf man spazieren
gehen, im öffentlichen Raum sind 25 Gramm Besitz erlaubt.
Bis vor Kurzem fiel Cannabis noch unter das Betäubungsmittelgesetz. Die
Gesetzeslage war von Bundesland zu Bundesland sehr verschieden. In
Schleswig-Holstein und Hessen zum Beispiel galten zehn bis zwanzig Gramm
Cannabis als Eigenbedarf und straffrei. Bayern hingegen war deutlich
strenger, lasen wir in Internetforen, aber nie in offiziellen
Gesetzestexten. Schon damals waren ich und meine Kifferfreunde uns nicht
ganz sicher, was uns schwante, wenn wir mit einem Fitzel Gras oder einem
Krümel Dope in der Hosentasche gefilzt würden. Wir gingen aber davon aus,
dass uns mindestens ein wütender Mob durchs Dorf jagen würde.
Heute ist mir die Sache nicht mehr so wichtig, um überhaupt irgendeine eine
Strafe dafür zu riskieren. Meine Kifferzeit ist seit der Uni vorbei. Aber
ich gärtnere gerne. Ich mag es, dem Grün beim Wachsen zuzusehen. Es
fasziniert mich, wie sich das Leben entscheidet, mal Blatt, mal Blüte, mal
Frucht zu werden. Ich experimentiere gern mit Setzlingen von Kräutern und
Gemüsesorten, tausche Ableger von Zierpflanzen mit Freunden. Ich rette
Pflanzen, die bei Menschen ohne grünen Daumen zum Tode verurteilt wären,
aus ihren Blumentöpfen. Und darum dachte ich mir: Wenn’s schon legal ist,
warum nicht mal Gras anbauen?
## Phase 1: Wir wollen Weibchen
Mit der Sprühflasche feuchte ich das doppelte Küchenpapier nach, zwischen
das ich die zehn niederländischen Samen gesandwicht habe. Noch traue ich
mich nicht nachzusehen. Wie viele von ihnen werden tatsächlich keimen? Wie
viele braucht man überhaupt, um am Ende bei den drei erlaubten erwachsenen
Pflanzen zu landen? Von meinen Tomaten, Kürbissen und Chilis weiß ich ja:
Sämlinge sterben, Keimlinge sterben, Jungpflanzen knicken um oder wollen
nicht wurzeln, erwachsene Pflanzen fangen nicht an zu blühen, natürliche
Selektion, ein bisschen Schwund ist immer.
Doch die Fragen stellen sich gar nicht, denn meine Quote ist mies. Obwohl
ich die Samen sogar nur mit der Pinzette angefasst habe, um sie vor
eventuellen Giften an meinen Fingerkuppen zu verschonen, keimt nach einer
Woche nur die Hälfte der Samen. Die kommen zur Anzucht in Quelltöpfe aus
Kokossubstrat. Ich stecke eine Bleistiftspitze in die Erde und lasse die
Sämlinge mit der weißgelben Wurzel voran in die Löcher fallen. Ein paar
Tage vergehen, bis sich drei Keime an die Oberfläche drücken und ihre
Samenschalen von ihren runden Keimblättern abschütteln. Willkommen auf der
Welt.
Um die drei Kleinen muss ich mich nun besonders kümmern. Denn es heißt, je
besser es ihnen in ihrer vegetativen Phase geht, also je besser sie mit
Licht, Nährstoffen und Wasser versorgt und je weniger Stress sie ausgesetzt
sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Pflanzen sich entscheiden,
Weibchen zu werden. Und wir wollen Weibchen. Nur die Weibchen kann man
rauchen, also deren Blüten. Sie produzieren das klebrige Harz, auf das es
die Menschheit schon in der frühen Jungsteinzeit abgesehen hat.
## Phase 2: Es werde LED-Licht
Damals entschied noch Mutter Natur, wann die Pflanzen zu blühen begannen,
und zwar, wenn die Tage kürzer werden. Heute sage ich, wann die Sonne
scheint. Ich habe mir ein paar LED-Panels mit blauen und roten Leuchten
angeschafft, zusammen mit einem Mini-Treibhaus, das ich unter meinen
Schreibtisch gestellt habe. Dort bekommen meine Babys jetzt 18 Stunden
Volldröhnung Licht am Tag. Das schickt sie auf den Weg zu einem hoffentlich
robustem Wachstum.
Das gleißende Rosa der LEDs lässt mich schwer einschlafen. [3][Viele
Hobbygärtner:innen] tun es mir offenbar gleich: Bei meinen abendlichen
Spaziergängen durch den Kiez fallen mir immer mehr rosa leuchtende Fenster
auf. Ist ja auch praktisch, die LEDs kosten nicht mehr viel und fressen
deutlich weniger Strom im Vergleich zu den Natriumdampflampen, wegen derer
die Polizei damals schon am Stromzähler ablesen konnte, ob jemand Gras
anbaut.
Zwischen der vierten und sechsten Woche nach ihrer Keimung sehen die
Pflanzen auch tatsächlich nach Gras aus. Nach den noch unspezifischen
Keimblättern sind erste Blätter mit ihren charakteristischen Zacken
gewachsen. Erst war ein geriffelter Finger pro Blatt zu sehen, leuchtend
grün. Danach wuchsen Blätter mit drei Fingern. Bald werden es fünf sein,
bald sieben.
Aus zwei Quelltöpfen wachsen unten Wurzeln durch. Im dritten passiert
nichts, eine weitere Jungpflanze ist verkümmert. Die anderen beiden topfe
ich nun rasch um. Sie bekommen viel Platz in einem Mix aus Pflanzengranulat
und torffreier Blumenerde, damit sie es schön luftig haben. Doch die eine
der beiden verbliebenen Pflanzen will nicht so recht weiterwachsen. Ich
setze sie zwischen das Basilikum und die Petersilie auf dem Balkon aus. Von
nun an gilt mein ganzes Vertrauen der einen kleinen Pflanze, die sich unter
dem Kunstlicht in ihrem neuen Topf ganz prächtig macht. Ich nenne sie
Highdrun, etwas voreilig, in der Hoffnung, dass es auch eine weibliche
Pflanze wird. Ein Highno wäre mir nicht so recht.
Highdrun bekommt ein eigenes Zimmer. Ich räume die Besenkammer frei, klebe
die Wände mit silbrig reflektierenden Rettungsdecken ab und hänge die
Pflanzenlichter an die Decke. Ich habe eine Zeitschaltuhr besorgt, damit
das Licht auch ohne mich an und aus geht, und gieße kräftig, damit der
Wurzelballen Wasser und Nährstoffe tanken kann. Nun darf sich Highdrun in
ihren eigenen vier Wänden ausbreiten.
Ich streichle ihr über den Kopf. Streicheln ist wichtig, vor allem bei
Indoor-Pflanzen. Die sind schließlich nie Wind ausgesetzt und kommen
deshalb nicht von selbst auf die Idee, einen kräftigen Stamm auszubilden.
Aber den wird Highdrun brauchen, wenn sie einmal schwere, harzige Blüten
tragen soll. Durch das Streicheln werden die Zweige bewegt und gebogen und
das Wachstum angeregt.
Was ich dann beobachte, gefällt mir gar nicht. Durch die Bewegung der
Pflanze werden drei, vier, fünf kleine Insekten im Erdreich aufgeschreckt:
Trauermücken! Die haben mir gerade noch gefehlt. Ihre Larven fressen meiner
Pflanze die Wurzeln ab, und das hat bei Jungpflanzen verheerende Folgen. Es
ist Sonntagabend, das Gartencenter hilft mir diesmal nicht. Also klingele
ich meine Nachbarin raus, deren Wohnung ebenfalls rosa leuchtet. Sie
schenkt mir ein paar Gelbfallen: kleine gelbe Tafeln, die mit Leim
beschichtet sind. Die werden den miesen Mücken den Garaus machen.
Die Nachbarin fragt, [4][welchen Dünger] ich denn nehme. Auch noch Dünger?
Ja, ich müsse jetzt unbedingt düngen, die Pflanze brauche mehr Nährstoffe!
Am nächsten Morgen stehe ich im Gartencenter vor den Regalen. Die eine
Million Düngemittel unterscheiden sich in ihrer NPK-Zusammensetzung. N für
Stickstoff. Das braucht eine Pflanze, um Zellmaterial und Chlorophyll
aufzubauen. P für Phosphor. Das treibt später die Blüte voran. K für
Kalium. Das hilft der Pflanze Wasser zu binden. In der vegetativen Phase
braucht Cannabis einen NPK-Dünger im Verhältnis 3:1:1, sagt die Nachbarin.
Später, in der Blütephase, muss dann ein Verhältnis von 1:3:2 her, weil
mehr Phosphor gefragt ist. Und ganz zum Schluss vielleicht noch einmal
0:3:3 kurz vor der Ernte.
Ach, und ob ich denn auch in ein anständiges Belüftungssystem investiert
hätte? Und wie ich es eigentlich mit der Bewässerung halte? Mein kleines
Gartenprojekt wird wohl doch etwas komplizierter.
## Phase 3: Highdrun wird geköpft
Der berauschende Wirkstoff Tetra-Hydro-Cannabinol, also THC, der in den
Blüten steckt, hat mir in der jüngeren Vergangenheit zu heftig gescheppert.
Das Zeug, das ich zuletzt in Joints gekrümelt habe, war so hoch potent, an
die zwanzig Prozent THC sollen darin gewesen sein. Dreimal so viel wie
früher. Auch aus diesem Grund bin ich kein so großer Fan von Weed mehr. Ich
erinnere mich an gesellige Abende in kleinen Runden, an denen ich nach ein
paar Zügen kreidebleich wurde und kaum mehr an den Gesprächen teilnehmen
konnte, wie peinlich. Am Morgen danach wachte ich noch total verklatscht
auf. Dieses Stonergefühl, wake and bake, es lässt sich nicht mehr mit
meinem Alltag vereinbaren. Keinen Schimmer, wie potent die Blüten von
Highdrun wirklich sein würden. Aber es wird sich schon jemand finden, der
mir mein Gras wegrauchen will.
Immer häufiger unterhalte ich mich mit Nachbarn und Freund:innen über
mein Hobby. Die neue Gärtnerei scheint so ziemlich jeder charmant zu
finden, egal, was sie oder er vom Kiffen hält. Ich höre die Geschichte
eines älteren Ehepaars, das die Pflanzen ihrer Kinder im Garten aufgenommen
hat. Die Kinder besuchten die Eltern jetzt wieder öfter. Im Freundeskreis
werden Pflanzen vermittelt, weil jemand beim Züchten zu viel Glück hatte.
So wie damals im Dorf, wenn wieder ein Wurf Katzenwelpen oder Kaninchen
verteilt werden musste. Eine Nachbarin fragt, ob sie ihre Pflanzen auf den
Balkon des Nachbarn stellen darf, da scheine länger die Sonne als bei ihr.
Meine Pflanze gedeiht prächtig. Zehn Zentimeter, zwanzig Zentimeter, ich
schaue ihr beim Wachsen zu. Und ich werde ehrgeizig. Highdrun soll nicht
einfach wachsen, wie die Natur es gebietet. Ich will das Maximum aus ihr
rausholen. Also greife ich in die natürliche vegetative Phase ein.
Es gibt eine Handvoll Methoden, Wachstum und Blüte zu beeinflussen. Sie
heißen Low Stress, Supercropping, Scrogging oder Fimming. Besonders oft
angewandt wird aber das Topping. Dazu muss ich Highdrun etwas Leid zufügen:
Ab dem fünften Sprossknoten, also dort, wo weitere Blattspuren abzweigen,
säble ich meiner Pflanze den Kopf ab. Das wirkt zunächst sowohl gemein als
auch kontraproduktiv, ausgerechnet der Kopf, wo bald die dickste Blüte
prangen könnte?
Ja, das Topping bringt mehr Blüten. Denn nun wird sich die Pflanzenspitze
verzweigen. Anstelle einer großen Blüte wachsen zwei Zweige, die neue
Blütenspitzen ausbilden können. Zwei Sprossknoten später toppe ich Highdrun
erneut, um noch einmal die Spitzen zu verdoppeln. Von da an hat meine
Pflanze vier Köpfe, die dicke Blüten ansetzen können.
## Phase 4: Es ist ein Mädchen
Manche Pflanzen blühen schon nach sechs Wochen. Ich habe es nicht eilig.
Highdrun auch nicht. Ist halt ein Spätzünder. Oder hoffentlich eine
Spätzünderin! Als Herrscher über Tag und Nacht gebe ich ihr trotzdem einen
kleinen Denkanstoß und stelle die Zeitschaltuhr auf einen
Hell-Dunkel-Rhythmus von zwölf zu zwölf Stunden statt der ursprünglichen 18
Stunden um. In der Besenkammer wird es Herbst. Damit leite ich die
Blütephase ein.
Ich fahre in den Urlaub, jemand muss sich um Highdrun kümmern. Der größte
Stoner im Freundeskreis übernimmt den Dienst gern. Er erhofft sich einen
Bonus bei der Ernte. Die müsste ich dann irgendwo draußen hinterlegen, im
Biomüll oder so. Weil: Die Abgabe, wenn auch als Geschenk, ist bislang ja
noch nicht erlaubt.
Zurück zu Hause erwarten mich zwei Überraschungen. Die schwächelnde
Graspflanze, die ich damals auf dem Balkon ausgesetzt habe, hat überlebt,
und macht gar keinen üblen Eindruck. Ich grabe sie aus, stecke sie in einen
Topf und will sie mit in die Besenkammer stellen. Aber wohin? Denn als ich
die Tür öffne, kommt mir ein einziger Wald entgegen! Highdrun ist quasi
explodiert. Die obersten Blätter haften schon am LED-Panel und bleichen
aus. Ich verflechte die vier Spitzen miteinander, biege sie vorsichtig
hinunter und schräge den Blumenkübel an, damit das ganze Grünzeug wieder
etwas mehr Platz hat unter der Kunstsonne.
Ein Freund kommt vorbei, er besucht die Hanfmesse in Berlin, zum
Netzwerken, zum Schlauermachen. Könnte ja sein, dass sich das Growhobby
bald profitabel professionalisieren lässt. Auf meiner Couch zeigt er ein
paar Fotos von zu Hause. Seine Outdoor-Pflanze im Garten sieht aus, als
würde sie das Hausdach überragen. Das werden ein bisschen mehr als 50
Gramm, sagt er trocken, und fügt hinzu: Dein Wald in der Besenkammer
übrigens auch. Ach du Scheiße. Was mache ich denn mit Highdrun, wenn sie
nicht mehr erlaubt ist?
Wer nicht selber anbaut, kann seit dem 1. Juli sein Gras über
nicht-gewerbliche Vereine beziehen. Aber die müssen sich bis dato erst
einmal durch einen Haufen Papierkram kämpfen, bevor sie einen Haufen Weed
anbauen können. Nicht gewerblich – verpasste Chance. Meine Meinung. Warum
nicht einfach Gras im Laden kaufen? Der Staat könnte eine irrwitzige Steuer
auf Cannabisprodukte erheben und damit Milliarden in den Haushalt spülen.
Schließlich sind die Leute doch längst Grammpreise von zehn Euro und mehr
gewohnt – und das für Teile einer Pflanze, die wächst wie Unkraut.
Die Regierung ist jedoch erst in der Vorbereitungsphase. Zunächst soll eine
zweite Stufe des Gesetzes folgen, bei der der kommerzielle Verkauf in
Apotheken oder lizenzierten Geschäften in Modellregionen erprobt werden
soll – doch dieses Vorhaben liegt seit eineinhalb Jahren auf Eis. Aus der
Koalition [5][wurden zuletzt Stimmen laut], die besagten, der Verkauf in
Apotheken und Geschäften werde nie kommen – zu uneinig seien sich die
beteiligten Ressorts, zu denen neben dem Gesundheitsministerium auch das
Landwirtschafts-, Justiz- und Verkehrsministeriums gehören.
Tagelang passiert nix. Ich entlaube die gelben und hängenden Fächerblätter,
um mehr Energie in die Spitzen zu schicken. Und dann blüht es doch. Endlich
treiben aus einigen oberen Blattachsen hellgrüne Kelche, aus denen weiße
Härchen sprießen. Blütenstempel. Es ist ein Mädchen!
Auch die Ausgesetzte zeigt sich in neuem Gewand. Hellgrüne Knötchen wachsen
aus den Achsen der Triebe, wie kleine, runde, übereinander gestapelte
Trauben. Oh nein, Pollensäcke! Die Pflanze hat sich auf dem Balkon im
Dauerregen und der nächtlichen Kälte des Junis zum Mannsein entschieden.
Bevor der Kerl Blödsinn anstellt und anfängt, die kostbaren Blüten von
Highdrun zu bestäuben, bringe ich ihn um die Ecke.
Bei Highdrun beginnen indes die Trichome zu tropfen. Das sind die kleinen
Harztropfen, in denen der Großteil der Cannabinoide und Terpene steckt. Es
verkleistert die Zuckerblätter, das feine Blattwerk, das zwischen den
Knospen wächst. Dann verschmilzt eine obere Blüte mit einer unteren,
schließt größere Blätter mit ein, die vom Harz umhüllt und zu Knollen
geformt werden. Noch sind die Tropfen durchsichtig. Später werden sie
milchig weiß, bernsteinfarben, je nachdem, wie weit der Stoff im Harz
ausreift.
## Phase 5: Die Angst gärtnert mit
Leichtes Unbehagen bemächtigt sich meiner. Highdrun säuft wie ein Loch und
will immer weiter wachsen. Sie blüht und wächst, und kein Ende ist in
Sicht. Denn Highdrun ist eine Sativa, und diese Grassorte braucht doppelt
so lange wie Indica, dafür aber mit atemberaubenden Resultaten. Das könnte
noch zehn Wochen so weitergehen.
Mehr und mehr Blüten treiben aus, mehr Zuckerblätter verkleben zu dicken
Knollen, auch Buds genannt. Immer mehr Blüten verwachsen miteinander. Auf
diese Konglomerate wird es bei der Ernte ankommen. Das Zeug wird am
Wohnzimmertisch gezupft und gemörsert, um es in Tüten zu wickeln oder in
Pfeifen zu rauchen, mit Tabak oder pur.
Die weißen Blütenstempel verfärben sich von gelb zu rotbraun und
verschrumpeln allmählich. Je länger die Buds reifen, desto mehr schwellen
die Kelche mit ihren Trichomen an und quetschen Unmengen an Harz aus sich
heraus. Highdrun streckt sich weiter ins Licht, doch unter dem Gewicht der
harzigen Buds biegen sich die Stiele bedrohlich. Ich knote sie mit Schnüren
an der Wand fest und schaffe somit noch ein kleines bisschen Platz unter
der Besenkammerdecke.
Die ganze Bude ist in Weedgeruch gehüllt. Und wir sprechen hier von einer
einzigen Pflanze aus einem harmlosen kleinen Gartenexperiment. Was zur
Hölle hat sich die Regierung denn da gedacht mit ihren 50 straffreien
Gramm? Meinen die, ich kann Highdrun einfach befehlen aufzuhören?
Cannabis ist eine Jahrespflanze. Man erntet meist jährlich, und zwar einen
Jahresertrag. Dieser wird bei drei weiblichen Pflanzen die 50 Gramm
getrocknetes Weed übersteigen, wenn man sich nicht zu doof anstellt.
## Phase 6: Erntezeit mit Gummihandschuhen
Was machen denn nun die Leute, die überall ihr Gras ernten und von dem
Ertrag erschrocken sind? Schmeißen die alles Übergepäck auf den Müll? Die
Leute werden vermutlich heimlich ihre Sorten tauschen oder verschenken,
weil sie zu viel geerntet haben. Das gute Zeug muss ja weg, meins auch.
Reflexartig mische ich ein neues Düngerkonzentrat an und befülle die
Tröpfchenanlage.
Alle, die jetzt ernten wollen, stehen vor ähnlichen Herausforderungen:
Zunächst können sie ihren Cannabispflanzen noch einige Tage einen
lichtundurchlässigen Sack überstülpen und sie Stress aussetzen, damit sie
ihre letzte Energie in die Blüten pressen. Dann müssen sie das Grün mit der
Trimmschere zerstückeln, eine klebrige Heidenarbeit! Gummihandschuhe sind
nützlich, das Harz bekommt man kaum wieder von den Fingern. Aber was wird
aus Highdrun? Wann soll ich ernten? Soll ich überhaupt?
Würde ich, dann wüsste ich erst einmal gar nicht, wo ich in meiner Wohnung
überall Wäscheleinen anbringen sollte, um die stinkenden Äste mit ihren
Buds kopfüber aufzuhängen und aushärten zu lassen. Es würde locker zwei
Wochen dauern, bis die kleinen Zweige so vertrocknet sind, dass sie unter
einem leisen Knacken brechen. Danach müsste ich noch die Blütenknollen von
den größeren Stielen und Blättern befreien, in Schraubgläser füllen und
dunkel lagern. Ich müsste sie immer wieder schütteln und lüften, damit die
restliche Feuchtigkeit aus dem Grün entweicht und keinen Schimmel ansetzt.
So würde sich in den Gläsern allmählich der überschüssige Zucker und das
Chlorophyll abbauen, damit das Gras beim Rauchen weniger kratzt.
Irgendwann würde ich dann auf einem Riesenberg Weed sitzen, bestimmt viel
mehr als die in Deutschland erlaubten 50 Gramm. Ohne mich! Ich will nicht
ins Gefängnis! Mir persönlich ist das Zeug doch eigentlich gar nicht so
wichtig. Ich gärtnere doch einfach nur gern.
Philipp Brandstädter, 40, arbeitet als freier Journalist in Berlin. Er
findet, ein paar Milliarden mehr im Haushalt dank einer Grassteuer könnte
der Staat schon noch gebrauchen.
13 Oct 2024
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