# taz.de -- Die Hanfernte steht an: Mein Leben mit Highdrun | |
> Die Kifferzeit unseres Autors ist vorbei. Aber er gärtnert gern und hat | |
> eine Hanfpflanze großgezogen. Die wirft nun mehr Gras ab als erlaubt. | |
Die ganze Bude stinkt nach Weed, und ich gerate in Panik. Mein kleines | |
Gartenexperiment ist mir über den Kopf gewachsen. Im Knast landen werde ich | |
dafür. Zusammen mit all den anderen Leuten, die angefangen haben Cannabis | |
anzubauen und nun auf viel mehr Gras sitzen als die Polizei erlaubt. | |
Es ist die gleiche Panik wie früher. Damals, mit 18, als meine | |
Kifferfreunde und ich von der Polizei gejagt wurden. Als ich nur wählen | |
gegangen bin, [1][damit irgendwann mal irgendwer Gras legalisiert]. Es | |
kommt mir heute albern vor, dass es eine Zeit gab, in der Cannabis | |
wichtiger war als die Dinge, auf die es tatsächlich ankommt. Aber dort, wo | |
ich aufgewachsen bin, da war Grasrauchen so etwas wie das Sinnbild von | |
Freiheitskampf. | |
In einem Dorf in Unterfranken reichte ein Joint, um mit allen dazugehörigen | |
politischen Einstellungen und Idealen aus dem Rahmen zu fallen. Wer Gras | |
rauchte, war Rebell. So wie meine Jungs und ich, eine kleine konspirative | |
Kiffergruppe, die sich lichtscheu hinter Gebüschen und Gebäuden vor dem | |
Auge des Gesetzes versteckte. Nichts hätte unseren inneren Frieden mehr | |
eingeschränkt als die Sorge, wegen eines Joints von den Bullen hopsgenommen | |
zu werden. | |
Damals hätte ich nicht damit gerechnet, dass ich zwanzig Jahre [2][später | |
in einer Menschenmenge vor dem Brandenburger Tor stehe und die | |
Legalisierung bejubele]. Irgendwie war es dem Gesundheitsminister gelungen, | |
auf dem Weg zu einer vernünftigen Drogenpolitik zunächst einmal Cannabis zu | |
legalisieren. In der Nacht auf den 1. April war der Freiheitskampf von | |
damals vorbei – und ich hatte ein Tütchen Grassamen zwischen meinen | |
Fingern. | |
Eine Freundin hatte sie aus den Niederlanden mitgebracht und mir zu | |
Mitternacht feierlich überreicht. Sie erzählte mir, wie gut die Pflanzen | |
aus diesem Samen für den Garten geeignet sind, wie lange sie zum Wachsen | |
brauchen, wie stressresistent das Gras und wie potent die Blüten seien, | |
wonach sie schmecken würden, paradies paradas. Ich habe nicht alles | |
verstanden, so laut war das Gejohle um uns herum, als die Menschenmenge | |
ihre Joints entzündete, um ihre neu gewonnene Freiheit zu feiern. | |
„Ich entledige mich hiermit meines Joints“, ruft einer und legt seine Tüte | |
behutsam auf die Bordsteinkante. Eine andere hebt den Dübel wieder auf. | |
„Oh, ich habe einen Joint gefunden!“, raucht und macht dann irgendetwas | |
zwischen Lachen und Husten. Zugegeben, die Regeln des Cannabisgesetzes | |
(CanG) sind noch etwas merkwürdig: Kiffen ist erlaubt, die Abgabe aber | |
nicht. Nix da mit kreisenden Joints. Außerdem ist es legal, drei | |
Hanfpflanzen zu Hause zu besitzen. Diese dürfen dann 50 Gramm getrocknetes | |
Marihuana abwerfen. Mit exakt der Hälfte der Ernte darf man spazieren | |
gehen, im öffentlichen Raum sind 25 Gramm Besitz erlaubt. | |
Bis vor Kurzem fiel Cannabis noch unter das Betäubungsmittelgesetz. Die | |
Gesetzeslage war von Bundesland zu Bundesland sehr verschieden. In | |
Schleswig-Holstein und Hessen zum Beispiel galten zehn bis zwanzig Gramm | |
Cannabis als Eigenbedarf und straffrei. Bayern hingegen war deutlich | |
strenger, lasen wir in Internetforen, aber nie in offiziellen | |
Gesetzestexten. Schon damals waren ich und meine Kifferfreunde uns nicht | |
ganz sicher, was uns schwante, wenn wir mit einem Fitzel Gras oder einem | |
Krümel Dope in der Hosentasche gefilzt würden. Wir gingen aber davon aus, | |
dass uns mindestens ein wütender Mob durchs Dorf jagen würde. | |
Heute ist mir die Sache nicht mehr so wichtig, um überhaupt irgendeine eine | |
Strafe dafür zu riskieren. Meine Kifferzeit ist seit der Uni vorbei. Aber | |
ich gärtnere gerne. Ich mag es, dem Grün beim Wachsen zuzusehen. Es | |
fasziniert mich, wie sich das Leben entscheidet, mal Blatt, mal Blüte, mal | |
Frucht zu werden. Ich experimentiere gern mit Setzlingen von Kräutern und | |
Gemüsesorten, tausche Ableger von Zierpflanzen mit Freunden. Ich rette | |
Pflanzen, die bei Menschen ohne grünen Daumen zum Tode verurteilt wären, | |
aus ihren Blumentöpfen. Und darum dachte ich mir: Wenn’s schon legal ist, | |
warum nicht mal Gras anbauen? | |
## Phase 1: Wir wollen Weibchen | |
Mit der Sprühflasche feuchte ich das doppelte Küchenpapier nach, zwischen | |
das ich die zehn niederländischen Samen gesandwicht habe. Noch traue ich | |
mich nicht nachzusehen. Wie viele von ihnen werden tatsächlich keimen? Wie | |
viele braucht man überhaupt, um am Ende bei den drei erlaubten erwachsenen | |
Pflanzen zu landen? Von meinen Tomaten, Kürbissen und Chilis weiß ich ja: | |
Sämlinge sterben, Keimlinge sterben, Jungpflanzen knicken um oder wollen | |
nicht wurzeln, erwachsene Pflanzen fangen nicht an zu blühen, natürliche | |
Selektion, ein bisschen Schwund ist immer. | |
Doch die Fragen stellen sich gar nicht, denn meine Quote ist mies. Obwohl | |
ich die Samen sogar nur mit der Pinzette angefasst habe, um sie vor | |
eventuellen Giften an meinen Fingerkuppen zu verschonen, keimt nach einer | |
Woche nur die Hälfte der Samen. Die kommen zur Anzucht in Quelltöpfe aus | |
Kokossubstrat. Ich stecke eine Bleistiftspitze in die Erde und lasse die | |
Sämlinge mit der weißgelben Wurzel voran in die Löcher fallen. Ein paar | |
Tage vergehen, bis sich drei Keime an die Oberfläche drücken und ihre | |
Samenschalen von ihren runden Keimblättern abschütteln. Willkommen auf der | |
Welt. | |
Um die drei Kleinen muss ich mich nun besonders kümmern. Denn es heißt, je | |
besser es ihnen in ihrer vegetativen Phase geht, also je besser sie mit | |
Licht, Nährstoffen und Wasser versorgt und je weniger Stress sie ausgesetzt | |
sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Pflanzen sich entscheiden, | |
Weibchen zu werden. Und wir wollen Weibchen. Nur die Weibchen kann man | |
rauchen, also deren Blüten. Sie produzieren das klebrige Harz, auf das es | |
die Menschheit schon in der frühen Jungsteinzeit abgesehen hat. | |
## Phase 2: Es werde LED-Licht | |
Damals entschied noch Mutter Natur, wann die Pflanzen zu blühen begannen, | |
und zwar, wenn die Tage kürzer werden. Heute sage ich, wann die Sonne | |
scheint. Ich habe mir ein paar LED-Panels mit blauen und roten Leuchten | |
angeschafft, zusammen mit einem Mini-Treibhaus, das ich unter meinen | |
Schreibtisch gestellt habe. Dort bekommen meine Babys jetzt 18 Stunden | |
Volldröhnung Licht am Tag. Das schickt sie auf den Weg zu einem hoffentlich | |
robustem Wachstum. | |
Das gleißende Rosa der LEDs lässt mich schwer einschlafen. [3][Viele | |
Hobbygärtner:innen] tun es mir offenbar gleich: Bei meinen abendlichen | |
Spaziergängen durch den Kiez fallen mir immer mehr rosa leuchtende Fenster | |
auf. Ist ja auch praktisch, die LEDs kosten nicht mehr viel und fressen | |
deutlich weniger Strom im Vergleich zu den Natriumdampflampen, wegen derer | |
die Polizei damals schon am Stromzähler ablesen konnte, ob jemand Gras | |
anbaut. | |
Zwischen der vierten und sechsten Woche nach ihrer Keimung sehen die | |
Pflanzen auch tatsächlich nach Gras aus. Nach den noch unspezifischen | |
Keimblättern sind erste Blätter mit ihren charakteristischen Zacken | |
gewachsen. Erst war ein geriffelter Finger pro Blatt zu sehen, leuchtend | |
grün. Danach wuchsen Blätter mit drei Fingern. Bald werden es fünf sein, | |
bald sieben. | |
Aus zwei Quelltöpfen wachsen unten Wurzeln durch. Im dritten passiert | |
nichts, eine weitere Jungpflanze ist verkümmert. Die anderen beiden topfe | |
ich nun rasch um. Sie bekommen viel Platz in einem Mix aus Pflanzengranulat | |
und torffreier Blumenerde, damit sie es schön luftig haben. Doch die eine | |
der beiden verbliebenen Pflanzen will nicht so recht weiterwachsen. Ich | |
setze sie zwischen das Basilikum und die Petersilie auf dem Balkon aus. Von | |
nun an gilt mein ganzes Vertrauen der einen kleinen Pflanze, die sich unter | |
dem Kunstlicht in ihrem neuen Topf ganz prächtig macht. Ich nenne sie | |
Highdrun, etwas voreilig, in der Hoffnung, dass es auch eine weibliche | |
Pflanze wird. Ein Highno wäre mir nicht so recht. | |
Highdrun bekommt ein eigenes Zimmer. Ich räume die Besenkammer frei, klebe | |
die Wände mit silbrig reflektierenden Rettungsdecken ab und hänge die | |
Pflanzenlichter an die Decke. Ich habe eine Zeitschaltuhr besorgt, damit | |
das Licht auch ohne mich an und aus geht, und gieße kräftig, damit der | |
Wurzelballen Wasser und Nährstoffe tanken kann. Nun darf sich Highdrun in | |
ihren eigenen vier Wänden ausbreiten. | |
Ich streichle ihr über den Kopf. Streicheln ist wichtig, vor allem bei | |
Indoor-Pflanzen. Die sind schließlich nie Wind ausgesetzt und kommen | |
deshalb nicht von selbst auf die Idee, einen kräftigen Stamm auszubilden. | |
Aber den wird Highdrun brauchen, wenn sie einmal schwere, harzige Blüten | |
tragen soll. Durch das Streicheln werden die Zweige bewegt und gebogen und | |
das Wachstum angeregt. | |
Was ich dann beobachte, gefällt mir gar nicht. Durch die Bewegung der | |
Pflanze werden drei, vier, fünf kleine Insekten im Erdreich aufgeschreckt: | |
Trauermücken! Die haben mir gerade noch gefehlt. Ihre Larven fressen meiner | |
Pflanze die Wurzeln ab, und das hat bei Jungpflanzen verheerende Folgen. Es | |
ist Sonntagabend, das Gartencenter hilft mir diesmal nicht. Also klingele | |
ich meine Nachbarin raus, deren Wohnung ebenfalls rosa leuchtet. Sie | |
schenkt mir ein paar Gelbfallen: kleine gelbe Tafeln, die mit Leim | |
beschichtet sind. Die werden den miesen Mücken den Garaus machen. | |
Die Nachbarin fragt, [4][welchen Dünger] ich denn nehme. Auch noch Dünger? | |
Ja, ich müsse jetzt unbedingt düngen, die Pflanze brauche mehr Nährstoffe! | |
Am nächsten Morgen stehe ich im Gartencenter vor den Regalen. Die eine | |
Million Düngemittel unterscheiden sich in ihrer NPK-Zusammensetzung. N für | |
Stickstoff. Das braucht eine Pflanze, um Zellmaterial und Chlorophyll | |
aufzubauen. P für Phosphor. Das treibt später die Blüte voran. K für | |
Kalium. Das hilft der Pflanze Wasser zu binden. In der vegetativen Phase | |
braucht Cannabis einen NPK-Dünger im Verhältnis 3:1:1, sagt die Nachbarin. | |
Später, in der Blütephase, muss dann ein Verhältnis von 1:3:2 her, weil | |
mehr Phosphor gefragt ist. Und ganz zum Schluss vielleicht noch einmal | |
0:3:3 kurz vor der Ernte. | |
Ach, und ob ich denn auch in ein anständiges Belüftungssystem investiert | |
hätte? Und wie ich es eigentlich mit der Bewässerung halte? Mein kleines | |
Gartenprojekt wird wohl doch etwas komplizierter. | |
## Phase 3: Highdrun wird geköpft | |
Der berauschende Wirkstoff Tetra-Hydro-Cannabinol, also THC, der in den | |
Blüten steckt, hat mir in der jüngeren Vergangenheit zu heftig gescheppert. | |
Das Zeug, das ich zuletzt in Joints gekrümelt habe, war so hoch potent, an | |
die zwanzig Prozent THC sollen darin gewesen sein. Dreimal so viel wie | |
früher. Auch aus diesem Grund bin ich kein so großer Fan von Weed mehr. Ich | |
erinnere mich an gesellige Abende in kleinen Runden, an denen ich nach ein | |
paar Zügen kreidebleich wurde und kaum mehr an den Gesprächen teilnehmen | |
konnte, wie peinlich. Am Morgen danach wachte ich noch total verklatscht | |
auf. Dieses Stonergefühl, wake and bake, es lässt sich nicht mehr mit | |
meinem Alltag vereinbaren. Keinen Schimmer, wie potent die Blüten von | |
Highdrun wirklich sein würden. Aber es wird sich schon jemand finden, der | |
mir mein Gras wegrauchen will. | |
Immer häufiger unterhalte ich mich mit Nachbarn und Freund:innen über | |
mein Hobby. Die neue Gärtnerei scheint so ziemlich jeder charmant zu | |
finden, egal, was sie oder er vom Kiffen hält. Ich höre die Geschichte | |
eines älteren Ehepaars, das die Pflanzen ihrer Kinder im Garten aufgenommen | |
hat. Die Kinder besuchten die Eltern jetzt wieder öfter. Im Freundeskreis | |
werden Pflanzen vermittelt, weil jemand beim Züchten zu viel Glück hatte. | |
So wie damals im Dorf, wenn wieder ein Wurf Katzenwelpen oder Kaninchen | |
verteilt werden musste. Eine Nachbarin fragt, ob sie ihre Pflanzen auf den | |
Balkon des Nachbarn stellen darf, da scheine länger die Sonne als bei ihr. | |
Meine Pflanze gedeiht prächtig. Zehn Zentimeter, zwanzig Zentimeter, ich | |
schaue ihr beim Wachsen zu. Und ich werde ehrgeizig. Highdrun soll nicht | |
einfach wachsen, wie die Natur es gebietet. Ich will das Maximum aus ihr | |
rausholen. Also greife ich in die natürliche vegetative Phase ein. | |
Es gibt eine Handvoll Methoden, Wachstum und Blüte zu beeinflussen. Sie | |
heißen Low Stress, Supercropping, Scrogging oder Fimming. Besonders oft | |
angewandt wird aber das Topping. Dazu muss ich Highdrun etwas Leid zufügen: | |
Ab dem fünften Sprossknoten, also dort, wo weitere Blattspuren abzweigen, | |
säble ich meiner Pflanze den Kopf ab. Das wirkt zunächst sowohl gemein als | |
auch kontraproduktiv, ausgerechnet der Kopf, wo bald die dickste Blüte | |
prangen könnte? | |
Ja, das Topping bringt mehr Blüten. Denn nun wird sich die Pflanzenspitze | |
verzweigen. Anstelle einer großen Blüte wachsen zwei Zweige, die neue | |
Blütenspitzen ausbilden können. Zwei Sprossknoten später toppe ich Highdrun | |
erneut, um noch einmal die Spitzen zu verdoppeln. Von da an hat meine | |
Pflanze vier Köpfe, die dicke Blüten ansetzen können. | |
## Phase 4: Es ist ein Mädchen | |
Manche Pflanzen blühen schon nach sechs Wochen. Ich habe es nicht eilig. | |
Highdrun auch nicht. Ist halt ein Spätzünder. Oder hoffentlich eine | |
Spätzünderin! Als Herrscher über Tag und Nacht gebe ich ihr trotzdem einen | |
kleinen Denkanstoß und stelle die Zeitschaltuhr auf einen | |
Hell-Dunkel-Rhythmus von zwölf zu zwölf Stunden statt der ursprünglichen 18 | |
Stunden um. In der Besenkammer wird es Herbst. Damit leite ich die | |
Blütephase ein. | |
Ich fahre in den Urlaub, jemand muss sich um Highdrun kümmern. Der größte | |
Stoner im Freundeskreis übernimmt den Dienst gern. Er erhofft sich einen | |
Bonus bei der Ernte. Die müsste ich dann irgendwo draußen hinterlegen, im | |
Biomüll oder so. Weil: Die Abgabe, wenn auch als Geschenk, ist bislang ja | |
noch nicht erlaubt. | |
Zurück zu Hause erwarten mich zwei Überraschungen. Die schwächelnde | |
Graspflanze, die ich damals auf dem Balkon ausgesetzt habe, hat überlebt, | |
und macht gar keinen üblen Eindruck. Ich grabe sie aus, stecke sie in einen | |
Topf und will sie mit in die Besenkammer stellen. Aber wohin? Denn als ich | |
die Tür öffne, kommt mir ein einziger Wald entgegen! Highdrun ist quasi | |
explodiert. Die obersten Blätter haften schon am LED-Panel und bleichen | |
aus. Ich verflechte die vier Spitzen miteinander, biege sie vorsichtig | |
hinunter und schräge den Blumenkübel an, damit das ganze Grünzeug wieder | |
etwas mehr Platz hat unter der Kunstsonne. | |
Ein Freund kommt vorbei, er besucht die Hanfmesse in Berlin, zum | |
Netzwerken, zum Schlauermachen. Könnte ja sein, dass sich das Growhobby | |
bald profitabel professionalisieren lässt. Auf meiner Couch zeigt er ein | |
paar Fotos von zu Hause. Seine Outdoor-Pflanze im Garten sieht aus, als | |
würde sie das Hausdach überragen. Das werden ein bisschen mehr als 50 | |
Gramm, sagt er trocken, und fügt hinzu: Dein Wald in der Besenkammer | |
übrigens auch. Ach du Scheiße. Was mache ich denn mit Highdrun, wenn sie | |
nicht mehr erlaubt ist? | |
Wer nicht selber anbaut, kann seit dem 1. Juli sein Gras über | |
nicht-gewerbliche Vereine beziehen. Aber die müssen sich bis dato erst | |
einmal durch einen Haufen Papierkram kämpfen, bevor sie einen Haufen Weed | |
anbauen können. Nicht gewerblich – verpasste Chance. Meine Meinung. Warum | |
nicht einfach Gras im Laden kaufen? Der Staat könnte eine irrwitzige Steuer | |
auf Cannabisprodukte erheben und damit Milliarden in den Haushalt spülen. | |
Schließlich sind die Leute doch längst Grammpreise von zehn Euro und mehr | |
gewohnt – und das für Teile einer Pflanze, die wächst wie Unkraut. | |
Die Regierung ist jedoch erst in der Vorbereitungsphase. Zunächst soll eine | |
zweite Stufe des Gesetzes folgen, bei der der kommerzielle Verkauf in | |
Apotheken oder lizenzierten Geschäften in Modellregionen erprobt werden | |
soll – doch dieses Vorhaben liegt seit eineinhalb Jahren auf Eis. Aus der | |
Koalition [5][wurden zuletzt Stimmen laut], die besagten, der Verkauf in | |
Apotheken und Geschäften werde nie kommen – zu uneinig seien sich die | |
beteiligten Ressorts, zu denen neben dem Gesundheitsministerium auch das | |
Landwirtschafts-, Justiz- und Verkehrsministeriums gehören. | |
Tagelang passiert nix. Ich entlaube die gelben und hängenden Fächerblätter, | |
um mehr Energie in die Spitzen zu schicken. Und dann blüht es doch. Endlich | |
treiben aus einigen oberen Blattachsen hellgrüne Kelche, aus denen weiße | |
Härchen sprießen. Blütenstempel. Es ist ein Mädchen! | |
Auch die Ausgesetzte zeigt sich in neuem Gewand. Hellgrüne Knötchen wachsen | |
aus den Achsen der Triebe, wie kleine, runde, übereinander gestapelte | |
Trauben. Oh nein, Pollensäcke! Die Pflanze hat sich auf dem Balkon im | |
Dauerregen und der nächtlichen Kälte des Junis zum Mannsein entschieden. | |
Bevor der Kerl Blödsinn anstellt und anfängt, die kostbaren Blüten von | |
Highdrun zu bestäuben, bringe ich ihn um die Ecke. | |
Bei Highdrun beginnen indes die Trichome zu tropfen. Das sind die kleinen | |
Harztropfen, in denen der Großteil der Cannabinoide und Terpene steckt. Es | |
verkleistert die Zuckerblätter, das feine Blattwerk, das zwischen den | |
Knospen wächst. Dann verschmilzt eine obere Blüte mit einer unteren, | |
schließt größere Blätter mit ein, die vom Harz umhüllt und zu Knollen | |
geformt werden. Noch sind die Tropfen durchsichtig. Später werden sie | |
milchig weiß, bernsteinfarben, je nachdem, wie weit der Stoff im Harz | |
ausreift. | |
## Phase 5: Die Angst gärtnert mit | |
Leichtes Unbehagen bemächtigt sich meiner. Highdrun säuft wie ein Loch und | |
will immer weiter wachsen. Sie blüht und wächst, und kein Ende ist in | |
Sicht. Denn Highdrun ist eine Sativa, und diese Grassorte braucht doppelt | |
so lange wie Indica, dafür aber mit atemberaubenden Resultaten. Das könnte | |
noch zehn Wochen so weitergehen. | |
Mehr und mehr Blüten treiben aus, mehr Zuckerblätter verkleben zu dicken | |
Knollen, auch Buds genannt. Immer mehr Blüten verwachsen miteinander. Auf | |
diese Konglomerate wird es bei der Ernte ankommen. Das Zeug wird am | |
Wohnzimmertisch gezupft und gemörsert, um es in Tüten zu wickeln oder in | |
Pfeifen zu rauchen, mit Tabak oder pur. | |
Die weißen Blütenstempel verfärben sich von gelb zu rotbraun und | |
verschrumpeln allmählich. Je länger die Buds reifen, desto mehr schwellen | |
die Kelche mit ihren Trichomen an und quetschen Unmengen an Harz aus sich | |
heraus. Highdrun streckt sich weiter ins Licht, doch unter dem Gewicht der | |
harzigen Buds biegen sich die Stiele bedrohlich. Ich knote sie mit Schnüren | |
an der Wand fest und schaffe somit noch ein kleines bisschen Platz unter | |
der Besenkammerdecke. | |
Die ganze Bude ist in Weedgeruch gehüllt. Und wir sprechen hier von einer | |
einzigen Pflanze aus einem harmlosen kleinen Gartenexperiment. Was zur | |
Hölle hat sich die Regierung denn da gedacht mit ihren 50 straffreien | |
Gramm? Meinen die, ich kann Highdrun einfach befehlen aufzuhören? | |
Cannabis ist eine Jahrespflanze. Man erntet meist jährlich, und zwar einen | |
Jahresertrag. Dieser wird bei drei weiblichen Pflanzen die 50 Gramm | |
getrocknetes Weed übersteigen, wenn man sich nicht zu doof anstellt. | |
## Phase 6: Erntezeit mit Gummihandschuhen | |
Was machen denn nun die Leute, die überall ihr Gras ernten und von dem | |
Ertrag erschrocken sind? Schmeißen die alles Übergepäck auf den Müll? Die | |
Leute werden vermutlich heimlich ihre Sorten tauschen oder verschenken, | |
weil sie zu viel geerntet haben. Das gute Zeug muss ja weg, meins auch. | |
Reflexartig mische ich ein neues Düngerkonzentrat an und befülle die | |
Tröpfchenanlage. | |
Alle, die jetzt ernten wollen, stehen vor ähnlichen Herausforderungen: | |
Zunächst können sie ihren Cannabispflanzen noch einige Tage einen | |
lichtundurchlässigen Sack überstülpen und sie Stress aussetzen, damit sie | |
ihre letzte Energie in die Blüten pressen. Dann müssen sie das Grün mit der | |
Trimmschere zerstückeln, eine klebrige Heidenarbeit! Gummihandschuhe sind | |
nützlich, das Harz bekommt man kaum wieder von den Fingern. Aber was wird | |
aus Highdrun? Wann soll ich ernten? Soll ich überhaupt? | |
Würde ich, dann wüsste ich erst einmal gar nicht, wo ich in meiner Wohnung | |
überall Wäscheleinen anbringen sollte, um die stinkenden Äste mit ihren | |
Buds kopfüber aufzuhängen und aushärten zu lassen. Es würde locker zwei | |
Wochen dauern, bis die kleinen Zweige so vertrocknet sind, dass sie unter | |
einem leisen Knacken brechen. Danach müsste ich noch die Blütenknollen von | |
den größeren Stielen und Blättern befreien, in Schraubgläser füllen und | |
dunkel lagern. Ich müsste sie immer wieder schütteln und lüften, damit die | |
restliche Feuchtigkeit aus dem Grün entweicht und keinen Schimmel ansetzt. | |
So würde sich in den Gläsern allmählich der überschüssige Zucker und das | |
Chlorophyll abbauen, damit das Gras beim Rauchen weniger kratzt. | |
Irgendwann würde ich dann auf einem Riesenberg Weed sitzen, bestimmt viel | |
mehr als die in Deutschland erlaubten 50 Gramm. Ohne mich! Ich will nicht | |
ins Gefängnis! Mir persönlich ist das Zeug doch eigentlich gar nicht so | |
wichtig. Ich gärtnere doch einfach nur gern. | |
Philipp Brandstädter, 40, arbeitet als freier Journalist in Berlin. Er | |
findet, ein paar Milliarden mehr im Haushalt dank einer Grassteuer könnte | |
der Staat schon noch gebrauchen. | |
13 Oct 2024 | |
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