| # taz.de -- Regatta der Hightech-Yachten: Milliardäre lassen Segler fliegen | |
| > Das britische Boot fordert Titelverteidiger Neuseeland beim America's Cup | |
| > heraus. Der Pokal könnte nach 173 Jahren erstmals ans Königreich gehen. | |
| Bild: Begegnung auf See: Team Britannia (r.) und die italienische Yacht Luna Ro… | |
| Berlin taz | Die neunte und zehnte Wettfahrt der Ausscheidungsregatta zum | |
| [1][America’s Cup] hatte bereits die Vorentscheidung gebracht. Nun hat das | |
| britische Segelteam am Freitag vor Barcelona den siebten Sieg gegen das | |
| italienische Team Luna Rossa geholt. Es war der entscheidende Erfolg im | |
| Duell der möglichen Herausforderer. Die Briten dürfen nun ab dem 12. | |
| Oktober gegen Titelverteidiger Neuseeland mit Superstar Peter Burling (33) | |
| um den riesigen Pokal segeln. | |
| Lange war der Kampf zwischen Team Britannia mit den Ko-Steuerleuten Ben | |
| Ainslie (47) und Dylan Fletcher (36) und dem Team Luna Rossa mit Jimmy | |
| Spithill (45) und Francesco Bruni (51) so ausgeglichen wie selten in der | |
| 173-jährigen Geschichte des ältesten Sportwettbewerbs der Welt. Immer wenn | |
| es so aussah, als hätten die Briten auf den Booten vom Typ AC75 endgültig | |
| die Nase vorn, konnte Italien doch wieder ausgleichen. | |
| So etwa am Dienstag. Da rasten die beiden Boote im siebten Rennen mit nur | |
| einer Sekunde Abstand durch das Luv-Tor. Bei diesem Wechsel vom Amwindkurs- | |
| auf einen Raumkurs können die Rennmaschinen auf ihren Tragflächen, den | |
| Foils, mit denen sie mit bis zu knapp dreifacher Windgeschwindigkeit übers | |
| Wasser fliegen, auf über 50 Knoten (bis 100 km/h) beschleunigen. Unklar, ob | |
| wegen eines technischen Versagens oder eines Steuerfehlers, kippte Luna | |
| Rossa plötzlich vornüber von den Foils. Der Bug bohrte sich in die See. So | |
| ein Nosedive bremst das Boot abrupt und belastet Rumpf und Mast mit seinen | |
| zwei Segeln von insgesamt 245 Quadratmetern extrem. | |
| Luna Rossa musste aufgrund sichtbarer Schäden an Deck, die sich erst später | |
| als oberflächlich herausstellten, das Rennen aufgeben. Es war schon das | |
| dritte Mal, dass die Italiener wegen Bruchs vorübergehend ins Hintertreffen | |
| gerieten. Doch gelang es ihnen jedes Mal, das Boot rechtzeitig zum nächsten | |
| Start wieder fit zu machen. Wieder konnte Italien ausgleichen: zum 4:4. Die | |
| Briten waren bei einem Vorstartmanöver über die Kursbegrenzung gerutscht | |
| und mussten zur Strafe 75 Meter hinter den Italienern starten. Diese | |
| konnten sie dann nicht aufholen. | |
| ## Ende der Pattsituation | |
| Am Mittwoch aber siegte das von Sir Ben („Big Ben“) Ainslie geführte | |
| britische Team, dem mit vier Goldmedaillen erfolgreichsten Olvmpiasegler, | |
| zwei Mal. Beim neunten Rennen hatten die Italiener in Erwartung von mehr | |
| Wind zunächst ein zu kleines Vorsegel gewählt. Mit dem konnte ihr | |
| 23-Meter-Boot nicht voll mithalten. Und beim zehnten Rennen setzten sich | |
| die Briten am Start durch und ließen die Italiener nicht mehr vorbei. | |
| „Diese Pattsituation war jeden Tag frustrierend. Umso schöner ist es, diese | |
| nun durchbrochen zu haben“, sagte Ko-Steuermann Fletcher erleichtert. Jetzt | |
| steht fest, dass er um den America's Cup segeln darf. | |
| Hält sich beim America’s Cup ein Boot das ganze Rennen über auf den Foils, | |
| die es aus dem Wasser hebend darüber fliegen lassen, und unterlaufen dem | |
| Team bei den kaum drehenden Winden keine Fehler, hat ein Verfolger keine | |
| Chancen, am führenden Boot vorbeizukommen. Diese sogenannten Match Races, | |
| also Duellsegeln von zwei Booten, sorgen im Idealfall für permanente | |
| Zweikämpfe und so für Spannung. | |
| Doch bei den superschnellen AC75, einer Art Formel 1 des Segelns, ist mit | |
| dem Start oft schon alles entschieden. Anders als bei langsameren | |
| Bootsklassen gibt es im Verlauf nicht die sonst übliche Umkehr | |
| windtaktischer Vorteile beim Wechsel vom Kreuz- zum Vorwindkurs und damit | |
| vom Führenden zum Verfolger. | |
| Die Spannung bei der jetzt 37. Auflage des America’s Cups ergibt sich | |
| deshalb bisher vor allem daraus, dass die zwei Finalisten zur Bestimmung | |
| des Herausforderers bis zum achten Rennen extrem ebenbürtig waren. Die | |
| Rennen ähneln stellenweise einem Luftkampf. Dies war bei den | |
| vorangegangenen Ausscheidungswettfahrten, bei denen erst die Franzosen, | |
| dann die Schweizer und schließlich die Amerikaner ausschieden, längst nicht | |
| so. Ihre Schwächen gegenüber den Briten und Italienern waren unübersehbar. | |
| ## Britische Ambitionen | |
| Merklich gesteigert gegenüber den letzten Ausscheidungsrennen 2021 haben | |
| sich die Briten. Damals unterlagen sie vor Auckland Luna Rossa noch mit | |
| 1:7, bevor die Italiener gegen die neuseeländischen Titelverteidiger mit | |
| 3:7 verloren. Zwar werden die Rennen jetzt auch wieder auf dem erst 2021 | |
| eingeführten Bootstyp AC75 gesegelt. Der wurde aber weiterentwickelt. So | |
| wird jetzt mit acht statt elf Mann gesegelt. Zudem konnte das Gewicht um | |
| rund 900 Kilo verringert werden. So können sich die Boote früher und länger | |
| aus dem Wasser in den Flugmodus heben. | |
| Gespart wurde an Muskelprotzen, also den kurbelnden Männern. [2][Diese | |
| modernen Galeerensklaven] bauen permanent auf einer Art Hometrainer | |
| strampelnd Druck im Hydrauliksystem auf. Damit werden Segel, Tragflächen | |
| und das Höhenleitwerk am Ruder eingestellt. Weil Beine mehr Kraft als Arme | |
| haben, holte Neuseeland als erstes Radrennfahrer an Bord. | |
| Zuletzt wurden diese zum Teil durch schwerere Rennruderer ersetzt, die mehr | |
| Kilo Gewicht pro Watt Leistung auf die Waage bringen und besser zum | |
| vorgeschriebenen Gesamtmannschaftsgewicht von 680 bis 700 Kilo passen. Die | |
| heute vier Radfahrer an Boot bringen die gleiche Leistung wie die einst | |
| acht mit den Armen kurbelnden Segler. In einem Schacht gebückt treten sie, | |
| ohne Windwiderstand zu bieten, keuchend in die Pedalen. | |
| Da bei den AC75 das Großsegel aus aerodynamischen Gründen auf Deck aufliegt | |
| und der Steuermann weder schnell die Seite wechseln kann noch einen freien | |
| Blick hat, gibt es jetzt beidseitig Steuermänner, die sich je Richtung | |
| abwechseln. Die Stars Ainslie und Spithill sitzen jeweils an Steuerbord, | |
| weil der entscheidende Start aus Vorfahrtsgründen in der Regel auf | |
| Steuerbordschlag erfolgt. [3][Die beiden hatten 2013 in San Francisco schon | |
| gemeinsam gewonnen]. Damals lag das von Spithill gesteuerte US-Team schon | |
| mit 1:8 hinter Neuseeland zurück, bis er Ainslie als Taktiker an Bord | |
| holte. Sie gewannen dann in einer der wohl spektakulärsten Aufholjagden der | |
| Sportgeschichte den America’s Cup noch mit 9:8. | |
| ## Seglerische Schwerstarbeit | |
| Die Bordkommunikation per Sprechfunk wird live übertragen. Die Steuerleute | |
| eines Teams müssen sich blind vertrauen und mit wenigen Worten über Taktik | |
| und Manöver verständigen, sie arbeitsteilig umsetzen und in Millisekunden | |
| Entscheidungen fällen. Sie haben jeweils eine Person als Trimmer auf ihrer | |
| Seite. Dieser Flightcontroller klappt die krakenarmigen Foils ein und aus | |
| und stellt die Segel ein. Alles per Knopfdruck aufs Hydrauliksystem, das | |
| die vier Radfahrer – zwei auf jeder Seite – mit Druck speisen. | |
| „Was die Leute vielleicht nicht sehen, ist, wie unglaublich schwer die | |
| Boote zu segeln sind, sagte Steuermann Fletcher dem Portal [4][Yacht.de]. | |
| Um diese Boliden sicher segeln zu können, trägt die Crew Helme, | |
| Schutzbrillen, Schwimmwesten, Messer zum Freischneiden bei Kenterung und | |
| kleine Sauerstoffflaschen zur Notbeatmung unter Wasser. Ewig wird an | |
| Simulatoren geübt. | |
| An der Konstruktion der Boote, die alles Unikate sind und nur wenige | |
| vorgeschriebene Maße gemeinsam haben, sind Dutzende Experten beteiligt, | |
| teilweise aus der Formel 1 oder dem Flugzeugbau. Der America’s Cup bringt | |
| immer wieder Innovationen in den Segelsport, zuletzt etwa Membransegel, | |
| Foiltechniken und den Kohlefasereinsatz. | |
| ## Teure Milliardärsspiezeuge | |
| Unter 100 Millionen Euro gibt es bei diesem High-Tech-Spektakel heute keine | |
| erfolgversprechende Kampagne. Zwar hatte Neuseeland sein imageförderndes | |
| Team auch mal aus der Staatskasse subventioniert. Doch war und ist der | |
| America’s Cup schon immer eine Spielwiese eitler Superreicher. So versuchte | |
| von 1899 bis 1930 der britische Tee-Baron Sir Thomas Lipton fünfmal | |
| vergeblich, den Cup für England zu gewinnen. Zum Trost bekam er einen Pokal | |
| als erfolgreichster Nichtsieger. | |
| Heute steht hinter Luna Rossa der Modezar Ernesto Bertelli, Chef von Prada. | |
| Der Milliardär versucht seit 1997 den Cup nach Italien zu holen. Sein Team | |
| kam immerhin mehrfach ins Finale. Geldgeber des britischen Teams ist der | |
| noch reichere James Ratcliffe mit seinem Chemiekonzern Ineos. Ihm gehören | |
| Fußballklubs in mehreren Ländern und eine Beteiligung an Manchester United. | |
| Auch finanziert er einen Radrennstall und ein Rugbyteam. Ratcliffe greift | |
| zum zweiten Mal nach der „bodenlosen Kanne“, wie der Pokal abfällig genannt | |
| wird. Für Skipper Ainslie ist der Sieg eine nationale Aufgabe, auch weil | |
| der Pokal ursprünglich aus England stammt, aber noch nie von dieser | |
| Seefahrernation gewonnen wurde. „Das ist für uns eine unendliche | |
| Motivation“, so Ainslie. | |
| 4 Oct 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.americascup.com/ | |
| [2] https://segelreporter.com/regatta/americas-cup-fahrrad-grinder-mehr-als-110… | |
| [3] /Entscheidung-im-Americas-Cup/!5058352 | |
| [4] https://www.yacht.de/regatta/americas-cup/america-s-cup-britannia-ploetzlic… | |
| ## AUTOREN | |
| Sven Hansen | |
| ## TAGS | |
| Segeln | |
| Profisport | |
| Wassersport | |
| Superreiche | |
| GNS | |
| Segeln | |
| Segeln | |
| Segeln | |
| Segeln | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Finale des America's Cup: Wieder im Rennen | |
| Nachdem Titelverteidiger Neuseeland die ersten vier Segel-Wettfahrten klar | |
| gewinnen konnte, holt das britische Boot zwei Siege und schöpft Hoffnung. | |
| Segelregatta „Ocean Race“: Rennen mit Verletzungsgefahr | |
| Beim "Ocean Race" liefern sich die drei besten Boote ein enges Rennen. Zwei | |
| Mastbrüche zeigen auch, dass mit den größeren Crews härter gesegelt wird. | |
| Segler starten Finale des America’s Cup: Krasse Krakenfoiler | |
| Duell der Trimmer und Kurbler: Neuseeland und Italien segeln beim Finale | |
| des America’s Cup mit futuristischen Yachten um die älteste Sporttrophäe. | |
| Segeln beim America’s Cup: Ein bisschen Mitleid | |
| Das US-Team liegt mit 0:3 gegen Neuseeland zurück. Drehen können sie die | |
| Finalrunde noch, aber es hakt an Geschwindigkeit und Technik. |