| # taz.de -- Streit über Tariftreuegesetz: „Kernelement im Koalitionsvertrag�… | |
| > Frank Bsirske warnt vor einer Blockade des Tariftreuegesetz. Der | |
| > Ex-Verdi-Chef hält das Bürokratie-Argument der FDP lediglich für | |
| > vorgeschoben. | |
| Bild: Frank Bsirske im September im Bundestag | |
| taz: Herr Bsirske, wenn der Bund einen Auftrag vergibt, ist dann davon | |
| auszugehen, dass die Beschäftigten nach Tarif bezahlt werden? | |
| Frank Bsirske: Nein. Im Prinzip werden öffentliche Aufträge vom Bund an das | |
| preisgünstigste Unternehmen vergeben. Für fair handelnde Unternehmen wird | |
| das Geschäft so erschwert, denn die sind einer Dumpingkonkurrenz | |
| ausgesetzt, die sich Wettbewerbsvorteile auf dem Rücken der Beschäftigten | |
| verschafft. | |
| taz: Die Ampel hat sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, die Tarifbindung | |
| zu stärken und will darum das Tariftreuegesetz einführen. Was genau ist | |
| das? | |
| Bsirske: Der Kern des Tariftreuegesetzes bindet die Vergabe öffentlicher | |
| Aufträge des Bundes an die Einhaltung des repräsentativen Tarifvertrags der | |
| jeweiligen Branche. | |
| taz: Warum ist das wichtig? | |
| Bsirske: [1][Seit drei Jahrzehnten erodiert die Tarifbindung. In den 90er | |
| Jahren hatten wir in Westdeutschland eine Tarifbindung bei weit über 80 | |
| Prozent der Beschäftigten.] Heute sind wir auf 50 Prozent für | |
| Gesamtdeutschland zurückgefallen. Im Osten sind wir bei 45 Prozent. Das ist | |
| schlecht für die Beschäftigten. Wir wissen, Tarifverträge schützen, | |
| Tarifverträge ermöglichen bessere Arbeitsbedingungen und deutlich bessere | |
| Entlohnungsbedingungen. Das Tarifvertragssystem zu stärken ergibt also | |
| Sinn, weil es Dumpingkonkurrenz auf dem Rücken der Beschäftigten verhindert | |
| und fairen Unternehmen auch zu fairem Wettbewerb verhilft. In dem Sinne ist | |
| es merkwürdig, was wir jetzt erleben. | |
| taz: [2][Sie meinen sicher Bundesfinanzminister Christian Lindner] – der | |
| hat bei der Verbändeanhörung zum Tariftreuegesetz ein Veto eingelegt. | |
| Bsirske: Ja, das hat mich überrascht. Eine Blockade des Tariftreuegesetzes | |
| und eine Blockade des Rentenpakets II würde Kernelemente des | |
| Koalitionsvertrags treffen. Es wirft eine Brandfackel in ein Ölfass. | |
| Christian Lindner ist klug genug, um das zu wissen. Insofern muss in aller | |
| Deutlichkeit gesagt werden, die Erwartung ist, dass sich alle Beteiligten, | |
| die die Koalitionsvereinbarung unterschrieben haben, | |
| koalitionsvereinbarungstreu verhalten. Und das heißt, koalitionstreu zu | |
| sein und koalitionstreu zu handeln. | |
| taz: Aus dem Finanzministerium heißt es, man wolle erst anderswo | |
| bürokratische Hürden abbauen, um die Unternehmen nicht noch mehr zu | |
| belasten. Gegen Bürokratieabbau ist doch nichts einzuwenden, oder? | |
| Bsirske: Das ist ein bisschen merkwürdig. Das Tariftreuegesetz wurde in | |
| der Koalitionsvereinbarung an keine Bedingungen geknüpft. Es gab eineinhalb | |
| Jahre der Frühkoordination zwischen Bundeskanzleramt, Finanzministerium, | |
| Arbeitsministerium und Wirtschaftsministerium. Und jetzt die | |
| Bürokratiekarte zu ziehen, wenn ein Entwurf in die Ressortabstimmung geht, | |
| ist aus meiner Sicht völlig abwegig und vorgeschoben. Außerdem wollen wir | |
| gerade ein Bürokratieentlastungsgesetz miteinander verabschieden. | |
| taz: Auch Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Deutschen | |
| Arbeitgeberverbände, ist gegen das Gesetz. Er nennt es „wirklichkeitsfremd | |
| und wirtschaftsfeindlich“. | |
| Bsirske: Eine Kernfunktion der Arbeitgeberverbände besteht darin, | |
| Tarifverträge auszuhandeln und zu vereinbaren. Wir erleben mit Herrn | |
| Kampeter nun einen Hauptgeschäftsführer, der gegen das Tariftreuegesetz | |
| öffentlich auftritt – also gegen ein Gesetz, das gerade dazu dienen soll, | |
| das Tarifvertragssystem zu stärken. Es ist sein Problem, wie er das mit | |
| seinen Mitgliedsverbänden ausmacht. An einem Punkt aber unterscheidet er | |
| sich fundamental von anderen: Er war an den Koalitionsverhandlungen nicht | |
| beteiligt, hat den Koalitionsvertrag nicht ausgehandelt und hat ihn auch | |
| nicht unterschrieben, im Gegensatz zu Olaf Scholz, Robert Habeck und | |
| Christian Lindner. | |
| taz: Sie erwarten Koalitionstreue von der FDP. Dabei hat diese Partei schon | |
| in der Vergangenheit bei Bürgergeld und Kindergrundsicherung blockiert, | |
| [3][auch beim Rentenpaket bahnt sich ein Konflikt an …] | |
| Bsirske: Es gibt Leute in der FDP, die offen kommunizieren, dass sie dem | |
| Rentenpaket II nicht zustimmen wollen. Der Finanzminister erklärt hingegen, | |
| dass es zustimmungsfähig ist und auch zugestimmt werden sollte. In der FDP | |
| ist offensichtlich eine ziemliche Auseinandersetzung im Gange, die | |
| ebenfalls ein Kernelement des gesamten Koalitionsvertrages betrifft. | |
| taz: Wenn die FDP jetzt wieder eine Brandfackel ins Ölfass wirft, wie Sie | |
| sagen, wann ist dann der Zeitpunkt gekommen, dass es explodiert? | |
| Bsirske: Wenn sie diese beiden Gesetzesinitiativen blockieren würde. Ich | |
| erwarte, dass das nicht passiert, und mache ganz deutlich, dass es sich | |
| hier um Kernelemente der Koalitionsvereinbarungen handelt und dass es eine | |
| klare und auch öffentlich artikulierte Erwartung an den Koalitionspartner | |
| gibt. | |
| taz: Was erwarten Sie von Ihrer eigenen, grünen Parteispitze? | |
| Bsirske: Meine Parteispitze weiß, dass Ökologisches und Soziales | |
| zusammengedacht werden müssen, dass wir ein Mehr an sozialer Sicherheit im | |
| ökologischen Umbau der Wirtschaft ermöglichen müssen. Das Tariftreuegesetz | |
| und die Stabilisierung des Rentenniveaus sind auch aus Sicht der grünen | |
| Fraktions- und Parteispitze unverzichtbare und integrale Kernelemente der | |
| Koalitionsvereinbarung. | |
| taz: Sie waren fast zwei Jahrzehnte Vorsitzender von Verdi, jetzt sitzen | |
| Sie für die Grünen im Bundestag. Was bedeutet das Tariftreuegesetz für Sie | |
| persönlich? | |
| Bsirske: Ich habe den Koalitionsvertrag an dieser Stelle mit ausgehandelt, | |
| und das war kein Zufall. Das entsprang der Erfahrung als | |
| Gewerkschaftsvorsitzender, welche Probleme für Millionen von Menschen damit | |
| verbunden sind, wenn die Tarifbindung immer weiter abnimmt. Das ist eine | |
| Situation, die man so nicht hinnehmen kann, weil sie ganz vielen Menschen | |
| schadet, die einen Anspruch darauf haben, dass Arbeit nicht arm macht und | |
| Arbeit nicht entwürdigt. | |
| 24 Sep 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Amelie Sittenauer | |
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