# taz.de -- Sexualisierte Gewalt im Bistum Osnabrück: Und sie wurden sehend | |
> Drei Jahre lang hat die Uni Osnabrück sexualisierte Gewalt durch | |
> katholische Geistliche untersucht. Das Ergebnis: Die Probleme waren | |
> systemisch. | |
Bild: Schweigen ist Gold: Plastik bei einem Gespräch mit Betroffenen sexualisi… | |
Osnabrück taz | Von „dunklen Momenten“ spricht Dominicus Meier in seinem | |
Einführungsgottesdienst, als er Anfang September in Osnabrück sein Amt als | |
römisch-katholischer Bischof antritt. Von Momenten, „denen wir uns | |
entschieden stellen müssen, um daraus zu lernen“. Welche das sind, | |
präzisiert er nicht. Nahe liegt: Es sind die Abgründe, die seit 2021 | |
Gegenstand des Forschungsprojekts der Universität Osnabrück „Betroffene – | |
Beschuldigte – Kirchenleitung: Sexualisierte Gewalt an Minderjährigen sowie | |
schutz- und hilfebedürftigen Erwachsenen im Bistum Osnabrück“ sind. | |
Drei Jahre lang hat ein Team unter Leitung des Rechtswissenschaftlers | |
Hans Schulte-Nölke und der Historikerin Siegrid Westphal an dem Projekt | |
gearbeitet. Das Bistum ist für die Kosten aufgekommen, ohne Einfluss auf | |
Methoden und Fragestellungen der Studie, auf die Ergebnisse und ihre | |
Präsentation zu nehmen. Seit Anfang Oktober liegt der Abschlussbericht vor, | |
nach der Analyse Tausender Akten, nach Dutzenden Interviews mit | |
Betroffenen. | |
Das Ergebnis ist erschreckend: Die Forschungsgruppe hat, für 1945 bis | |
heute, 122 Priester und Diakone ermittelt, denen sexualisierte Gewalt | |
vorgeworfen wird; das ist jeder 25. aller Seelsorge-Kleriker des Bistums in | |
dieser Zeit. Die Mindestzahl der Betroffenen liegt bei über 400; die | |
Dunkelziffer könnte zehnmal so hoch sein, sagt Schulte-Nölke. | |
Viele der Betroffenen, von der MinistrantIn bis zur HeimbewohnerIn, waren | |
zur Tatzeit jünger als zwölf Jahre; darunter waren mehr als doppelt so | |
viele Jungen wie Mädchen. Knapp die Hälfte der Beschuldigten waren | |
Mehrfachtäter; in einem Fall betrug die Zahl der Betroffenen 26. Gegen die | |
meisten Beschuldigten wurde nie ein kirchenrechtliches Verfahren eröffnet; | |
nur sieben wurden aus dem Klerikerstand entlassen. Nur gegen ein Drittel | |
wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet – nicht | |
zuletzt aufgrund von Verjährung. | |
Die Taten, von der Verletzung der Persönlichkeitssphäre bis zur | |
Penetration, zogen sich teils über Jahrzehnte. In „Einblicken“, kurzen | |
Fallbeispielen, zeigt uns die Studie, wie sie abliefen: Da ist der | |
Priester, der in der Beichte detaillierte Fragen zu den sexuellen Gefühlen | |
eines Mädchens stellt. Da ist der Pfarrer, der beim Schwimmbadeausflug | |
einem Jungen beim Anziehen der Badehose hilft. Da ist ein Priester, der | |
einem Jungen per Handy Nacktfotos abfordert. | |
Als Ursachen benennt der Bericht „Machtstrukturen, Organisationsmängel und | |
Fehlverhalten auf allen Ebenen kirchlicher Tätigkeit“. Das Bistum Osnabrück | |
habe „seine Pflichten, Maßnahmen gegen gefährliche Kleriker zu ergreifen, | |
über lange Zeit erheblich verletzt“. Es habe die Pflicht, Betroffenen zu | |
helfen, „über lange Zeit in erheblichem Maße“ verletzt, „bis in die jü… | |
Vergangenheit“. | |
In dem Bericht, der über eine [1][Webseite] der Öffentlichkeit zugänglich | |
ist, sind Sätze zu lesen wie: „Sprachliche Umdeutungen sexualisierter | |
Gewalt ermöglichten es den Beschuldigten, ihr Handeln zu verbergen, zu | |
verharmlosen oder als Teil ihrer priesterlichen Aufgaben erscheinen zu | |
lassen.“ Es sind schwer erträgliche Sätze. | |
## Uni-Präsidentin mahnt Verantwortung an | |
Susanne Menzel-Riedl, Präsidentin der Universität Osnabrück, ist spürbar | |
fassungslos. Sie sieht den Bericht als Forderung an das Bistum: „Ich | |
erwarte, dass es seiner Verantwortung gerecht wird!“, sagt sie der taz. | |
Schon der Zwischenbericht der Universität zu Pflichtverletzungen der | |
Bistumsleitung, 2022 erschienen, hatte für Entsetzen gesorgt. Und er hatte | |
zum Rücktritt von Franz-Josef Bode beigetragen, Meiers Amtsvorgänger. Bode | |
gab damals zu, „lange Zeit eher die Täter und die Institution als die | |
Betroffenen im Blick gehabt“ zu haben. | |
Mittlerweile hat das Bistum ein „Konzept gegen sexualisierte Gewalt und | |
geistlichen Missbrauch“ umgesetzt, das auch externe Fachleute einbindet. Es | |
gibt einen Ombudsvertreter für Betroffene, eine Beauftragte für die | |
Aufarbeitung, die das Bistum „Schutzprozess„nennt. | |
Ob das die Defizite beseitigt, lasse sich noch nicht sagen, betont | |
Schulte-Nölke, dazu existiere all das noch nicht lange genug. Er | |
bescheinigt dem Bistum eine „Lernkurve, die nach oben zeigt“. Jetzt gelte | |
es, zu beobachten,„wie steil sie ist“. | |
## Betroffene haben an der Studie mitgewirkt | |
„Das Bistum hat für das Forschungsprojekt gut kooperiert“, sagt Max Ciolek | |
der taz, selbst Betroffener. „Wir waren völlig unabhängig.“ Auf Cioleks | |
Initiative waren 2022 Betroffene in die Steuerungsgruppe der Studie | |
integriert worden, auch als Ko-Forschende, als kommentierende Mitautoren. | |
„Wir haben uns sehr wertgeschätzt gefühlt“, lobt er. | |
Das sieht auch Karl Haucke so, auch er Betroffener und Mitglied der | |
Steuerungsgruppe: „Der Epilog ist der Prolog“, sagt er. Heißt: | |
Vergangenheitsaufarbeitung, von der Quantitativanalyse bis zum Tatmuster, | |
ist zugleich Prävention. | |
Er sei „beschämt“, schreibt Dominicus Meier in einer Stellungnahme kurz | |
nach Veröffentlichung der Studie. Es gelte, „Konsequenzen“ zu ziehen. Eine | |
davon könnte sein: höhere Entschädigungsleistungen, orientiert an | |
Entscheidungen staatlicher Gerichte. Auch in Sachen offener Kommunikation | |
kann das Bistum noch lernen. Alle Anfragen der taz wehrt es bis | |
Redaktionsschluss ab. | |
3 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.s-gewalt.uni-osnabrueck.de/ergebnisse.html | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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