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# taz.de -- Katholische Aufarbeitung von Missbrauch: Herde kämpft für ihren H…
> In Wolfenbüttel soll Pfarrer Matthias Eggers sein Amt verlieren – er hat
> die Aufarbeitungspolitik des Bistums kritisiert. Die Gemeinde ist in
> Aufruhr.
Bild: Überfüllt wie sonst nur an Weihnachten: die Wolfenbütteler möchten ih…
Hannover taz | So viel Aufruhr hat es in der St. Petruskirche in
Wolfenbüttel wahrscheinlich schon lange nicht mehr gegeben: Am vergangenen
Sonntag war sie voller als an Weihnachten, nicht einmal die
herbeigeschleppten Bierbänke reichten, draußen wurden Unterschriften
gesammelt, [1][die Ministranten entrollten ein Transparent], auf dem stand:
„Wenn Matthias geht, dann gehen wir auch.“
So schildern es jedenfalls verschiedene Medien und Beteiligte. Der –
augenscheinlich sehr beliebte – Pfarrer Matthias Eggers hatte zuvor ein
aufsehenerregendes Interview gegeben. In der [2][Hildesheimer Allgemeinen
Zeitung vom 18. Mai] kritisierte er auf einer Doppelseite den mangelnden
Aufklärungswillen seiner katholischen Kirche bei [3][sexuellen
Missbrauchsfällen]. Von „Fassadenkatholizismus“ und „Doppelmoral“ ist …
Rede.
Fünf Tage später musste er beim Bischof zum Rapport antreten. Das
Personalgespräch war schon länger anberaumt, es sollte um interne Konflikte
und seine künftige Verwendung gehen. Am Ende ging es aber nur noch um seine
öffentlichen Äußerungen.
Bischof Heiner Wilmer bat ihn, sein Amt freiwillig niederzulegen. 15 Tage
Bedenkzeit wurden ihm eingeräumt. Soweit decken sich die Darstellungen von
Bistum und Eggers. Auseinander gehen sie dort, wo es darum geht, ob ihm bei
dieser Gelegenheit auch ein Rauswurf angedroht wurde.
## Nicht nur Gemeindemitglieder sind empört
Seit Sonntag häufen sich die Solidaritätsbekundungen kreuz und quer durchs
politische und religiöse Spektrum: Vom Betroffenenrat Nord, dem parteilosen
Bürgermeister Wolfenbüttels, Ivica Lukanic, der SPD-Landrätin Christiana
Steinbrügge, der CDU im Landkreis und der Stadt, dem evangelischen Probst
Dieter Schultz-Seitz und der türkisch-muslimischen Gemeinde.
Das ist bemerkenswert, weil das Bistum Hildesheim eigentlich als ziemlich
fortgeschritten bei der Missbrauchsaufklärung gilt. Als Bischof Heiner
Wilmer 2018 sein Amt antrat, gelobte er „jeden Stein umzudrehen“ und machte
sich mit diesem Ehrgeiz bei vielen Bischofskollegen unbeliebt.
„Kein Bischof hat je so klare Worte gefunden“, lobt auch Pastor Eggers, bis
heute. Dadurch seien tatsächlich viele Dinge in Bewegung geraten. Aber
letztlich seien die Beharrungskräfte eben auch sehr stark.
„Es gibt überall viele schöne Worte, aber immer nur so viele Taten, bis die
Öffentlichkeit das Interesse verliert“, kritisiert Eggers in dem
HAZ-Interview. Das gelte letztlich auch für das Bistum Hildesheim. Dort
wiederum findet man die Kritik unfair und zu pauschal.
Immerhin ist gerade die dritte große Studie in Auftrag gegeben worden, die
Stabsstelle für Prävention, Intervention und Aufklärung sei seit 2012
mehrfach aufgestockt worden, argumentiert der Sprecher des Bistums, Volker
Bauerfeld.
## Den Betroffenen läuft die Zeit davon
Doch Matthias Eggers geht die Geduld aus. Und wenn man seinen [4][Blog
„Licht ins Dunkel bringen“] genau liest, ahnt man warum. Er beschreibt, wie
er in der Kirche groß geworden ist, die ersten Jahre als Pfarrer ohne jede
Ahnung von dieser „dunklen Parallelwelt“.
Bis er irgendwann den ersten Betroffenen sprach und sich immer mehr
enthüllte, dass diese Dinge nicht irgendwo, sondern direkt in seinem Umfeld
passiert waren. Eggers, der sich in dem Blog auch als „Amtsträger einer
Täterorganisation“ bezeichnet, hat sich rigoros auf die Seite der Opfer
geschlagen.
Er ist emotional, fühlt sich zerrissen, schießt vielleicht deshalb manchmal
übers Ziel hinaus: Etwa wenn er dem Weihbischof den Zutritt zur Firmung
verweigert, weil dieser seiner Meinung nach seiner Verantwortung nicht
gerecht geworden ist.
Aber Eggers weiß auch, dass vielen Betroffenen die Zeit davonläuft. Im
Interview schildert er den Fall eines Mannes, der zu seiner Pfarrei
gehörte. Er war im Bernwardshof, einem Kinderheim, missbraucht worden, die
Anerkennungszahlung enttäuschend niedrig ausgefallen, die
Berufsunfähigkeitsrente reichte kaum, die Gemeinde unterstütze ihn.
Sein Wissen zur Aufarbeitung hätte er gern noch zur Verfügung gestellt,
doch er starb bevor nun die aktuelle Studie in Auftrag gegeben wurde,
obwohl die Vorwürfe gegen die Einrichtung eigentlich schon seit 2012
bekannt sind. Das ist einer der Gründe, warum Eggers fordert, die
Aufklärung schneller und energischer voranzutreiben, sie stärker in den
Gemeinden vor Ort zu verankern.
Im Bistum findet man aber immer noch, man sei auf einem guten Weg – auch
wenn der natürlich noch lang sei. „Wir nehmen dieses Thema sehr ernst, aber
es ist eben auch ein langer und komplexer Prozess“, sagt der Sprecher. In
der Personalsache will man erst einmal abwarten. Es sei ja nun an Eggers,
eine Entscheidung zu treffen, heißt es. Und es wäre gut, wenn er etwas zur
Deeskalation beitragen würde.
1 Jun 2024
## LINKS
[1] https://es-haetten-wir-sein-koennen.de/
[2] https://www.hildesheimer-allgemeine.de/meldung/ueber-kreuz-mit-seiner-kirch…
[3] /Stueck-ueber-Missbrauch-in-der-Kirche/!5999851
[4] https://licht-ins-dunkel-bringen.com/2023/08/von-der-himmelsthuer-zum-hoell…
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
sexueller Missbrauch
Missbrauch
Katholische Kirche
Bistum
Hildesheim
Sexualisierte Gewalt
katholisch
Theater
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