# taz.de -- T.C. Boyles „Blue Skies“ im Theater: Kleine und große Katastro… | |
> Das Deutsche Theater bringt T. C. Boyles Roman „Blue Skies“ auf die | |
> Bühne. Es ist ein Stück zwischen Klimakrise und Ehedämmerung. | |
Bild: In „Blue Skies“ am Deutschen Theater ist die Untergangsangst längst … | |
Schon der Anfang ist vielversprechend stimmungsvoll. Ein weißgelber | |
Bühnenmond schickt wanderndes Licht durch halbtransparente Stoffbahnen, die | |
vom Bühnenhimmel auf die Rampe in der Kammer [1][des Deutschen Theaters] | |
fallen. Große Schatten von Menschen mit Hüten und überdimensionierten | |
Cowboystiefeln verfangen sich auf diesen Bahnen. Manchmal sieht man die | |
Menschen auch. | |
Dann nämlich, wenn die Drehbühne sie wie Statuen hereinfährt und auf | |
Bahnen, die sich manchmal berühren, kreisen lässt. Die später zur | |
Schlangenfrau werdende Influencerin Cat (Mareike Beykirch) trifft so auf | |
Schlangenverkäufer RJ (Manuel Harder) und erwirbt aus einer somnambulen | |
Laune heraus ihren ersten Tigerpython als eine Art modisches Accessoire. | |
Weitere Bahnen ziehen unter anderem Cats Freund, späterer Ehemann und noch | |
späterer Ex-Ehemann Todd (Jeremy Mockridge), ihr Bruder Cooper (Alexej | |
Lochmann) und die gemeinsamen Eltern (Evamaria Salcher und Felix Goeser). | |
Auf den Boden der Drehbühne sind Linien gemalt, die hübsch den Planeten-, | |
Sternen- und Kometenbahnen aus dem Astronomielehrbuch ähneln. Sozialer | |
Mikrokosmos und außerirdischer Makrokosmos spiegeln sich also ineinander. | |
Sie spiegeln sich vor allem katastrophisch. | |
Das ist [2][der Clou von T.C. Boyles] erst [3][im letzten Jahr erschienenen | |
Roman „Blue Skies“]. Und auch Regisseur Alexander Eisenach setzt in seiner | |
Theateradaption ganz auf dieses Arrangement. Da sterben nicht nur ganze | |
Tier- und Pflanzenarten aufgrund von Hitze und Wassermangel aus. Frittierte | |
Heuschrecken und Insektenburger werden zu Ernährungshits in Kalifornien, | |
dem Wohnsitz von Cooper und den Eltern. | |
## Die Apokalypse kommt natürlich | |
In Florida hingegen, dem Land der Everglades, wo Cat ihre | |
Influencerinnen-Show abzieht und wohin Todd nach seinen beruflichen | |
Ausflügen als Bacardi-Vertreter zunächst häufig, später nur sporadisch und | |
zuletzt gar nicht mehr zurückkehrt, steigt aufgrund von Dauerregen der | |
Wasserspiegel. Sie könne ja per UPS ’nen Eimer Wasser ins brennende | |
Kalifornien schicken, teilt Cat frotzelnd den Eltern im noch | |
prä-apokalyptischen Mittelteil des Abends mit. | |
Die Apokalypse kommt natürlich. Der Wasserspiegel in Florida steigt und | |
steigt, bis nicht mehr der Tesla, sondern das Boot zum Einkaufsvehikel | |
wird. Termiten zerfressen das Haus in Florida, während in Kalifornien das | |
Wasser nicht mal mehr fürs Haarewaschen reicht und auch die | |
Villenbevölkerung komplett verwahrlost. | |
Der Bilder- und Metaphernreigen, den Eisenach aufruft und der hübsch düster | |
von den Musikern Sven Michelson und Niklas Kraft vom hinteren Teil der | |
Bühne her untermalt wird, erinnert an mittelalterliche Totentanzszenarien. | |
Sogar die Heimstatt der Teufel findet eine klimakatastrophische | |
Transformation: Die Waldbrände, die Kalifornien verwüsten, werden als Hölle | |
beschrieben, die jetzt nach oben breche und aus der Gevatter Tod auf fahlem | |
Pferd herausreite, um sich Mensch wie Tier zu greifen. In dieser Szene | |
wabern ganz munter die roten und gelben Bühnenscheinwerfer (Lichtdesign: | |
Marco Scherle). | |
Parallel zu den Bränden an der Westküste und den Regenfällen und Hurricanes | |
im nordamerikanischen Osten erodieren auch die menschlichen Beziehungen. | |
Cat versinkt in Windeln, Babygeschrei und alkoholischem Eskapismus, während | |
Todd die professionelle Bacardi-Party-Welle reitet. Insektenforscher und | |
Klimawandel-Kassandra Cooper verliert ausgerechnet durch einen Zeckenbiss | |
einen Arm. Zu allem Überfluss zerquetscht Cats schön gemusterte | |
Würgeschlange noch eines ihrer Kinder. | |
Eisenach erzählt die Untergangsszenarien mit einer interessanten Mischung | |
aus Lässigkeit und Pathos. Da wird das Grauen einerseits eindrucksvoll | |
ausgemalt. Ihm wohnt aber auch eine fast schon souverän zu nennende | |
Einsicht ins Unvermeidbare des Schrecklichen inne. Die Figuren, besonders | |
Cat und Cooper, sind Bänkelsänger*innen des eigenen Dramas wie auch | |
des Dramas der gesamten menschlichen Gattung. | |
Das Schöne an dem Abend ist aber, dass er weitgehend frei von Belehrung | |
bleibt. Er erschreckt auch nicht, liefert vielmehr den Soundtrack und die | |
Visuals zur allgemeinen Untergangsangst. Im Kontrast dazu wirkt die soziale | |
Abstiegsangst, mit der [4][politische Kräfte wie AfD und BSW] aktuell | |
erfolgreich werben, geradezu klein und miesepetrig. „Blue Skies“ wird so | |
zum schön kolorierten Eskapismustrip aus allerlei katastrophischen | |
Szenarien. Und als sich im Finale der Eiserne Vorhang senkt, stellt sich | |
sogar ein kurzer Moment der Kühlung ein. Denn das sitzende Publikum ist auf | |
einmal getrennt von den Hitze ausstrahlenden Leibern der Spielenden. | |
1 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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