# taz.de -- Katastrophenschutz: Hochwasser kennt keine Grenzen | |
> Bayern, Sachsen und Brandenburg blieben diesmal von einer Flutkatastrophe | |
> verschont. Wie gut ist Deutschland für kommende Hochwasser gerüstet? | |
Bild: Zwei Männer helfen einem älteren Nachbarn, der sich vor den Fluten im r… | |
1. Was ist überhaupt passiert? | |
Das Sturmtief „Anett“ führte vergangene Woche in Polen, Rumänien, | |
Österreich und Tschechien zu einer [1][Hochwasserkatastrophe]. In den | |
betroffenen Regionen brachen mehrere Dämme, weite Landstriche waren | |
zeitweise von der Außenwelt abgeschnitten. Mehr als 20 Menschen kamen | |
bislang ums Leben, mehrere Personen gelten als vermisst. Obwohl die | |
Flusspegel auch in Bayern, Sachsen und Brandenburg stiegen, blieb dort die | |
ganz große Katastrophe aus. Doch der Klimawandel wird in Zukunft mehr | |
Fluten und Hochwasser mit sich bringen. Die nächste Katastrophe kommt | |
bestimmt, und sie lässt sich mit symbolpolitischen Grenzschließungen nicht | |
verhindern. Es braucht weitsichtigen Katastrophenschutz. | |
2. Katastrophenschutz – was heißt das? | |
Mit Katastrophenschutz sind alle Maßnahmen gemeint, die Menschen und | |
Infrastruktur vor Gefahren schützen, wozu auch Überschwemmungen zählen. Der | |
Katastrophenschutz gliedert sich in drei Schritte: Vorsorge, Bewältigung | |
und Nachsorge. Für die Vorsorge gegen Flusshochwasser sind bauliche | |
Maßnahmen besonders wichtig. Dazu gehören Überschwemmungsflächen, Deiche | |
und Talsperren, um das Wasser aufzuhalten und abzubremsen. Im | |
Katastrophenfall muss die Bevölkerung möglichst früh durch Warnapps und | |
Sirenen informiert werden. Krisenstäbe koordinieren Rettungsaktionen und | |
bündeln alle verfügbaren Informationen. Ziel der Nachsorge ist es, Schäden | |
zu beseitigen und Betroffene bei der Rückkehr in ihren Alltag zu | |
unterstützen. Hierzulande kann sich da noch einiges verbessern. | |
3. Lassen sich Hochwasser voraussagen? | |
Eine präzise Prognose ist die beste Voraussetzung, um sicher durch eine | |
Hochwasserkrise zu kommen. Der Deutsche Wetterdienst berechnet anhand | |
meteorologischer Modelle, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein | |
Flusshochwasser oder eine Sturzflut eintreten. Neben dem Niederschlag | |
beziehen Meteorolog:innen auch die Bodenbeschaffenheit in der | |
betroffenen Region in ihre Modelle ein. Ist der Boden ausgetrocknet, | |
gesättigt oder versiegelt, sickert das Wasser nicht ab und sucht sich | |
andere Wege. | |
Leistungsfähige Computer können heute mehrere Vorhersagen über den | |
bevorstehenden Niederschlag in „[2][Ensemblevorhersagen]“ zusammenfassen. | |
In den letzten 20 Jahren sind diese Prognosen immer präziser geworden. | |
Trotzdem stehen Meteorolog:innen beim Vorhersagen von | |
Hochwasserereignissen weiterhin vor Herausforderungen. Wie viel Wasser vom | |
Himmel kommt, ist vergleichsweise gut vorhersehbar. Die schwierigere Frage | |
ist, wo genau der Regen fallen wird. Großflächige Ereignisse wie das Tief | |
„Anett“ lassen sich daher leichter vorhersagen als lokaler Starkregen. Der | |
Deutsche Wetterdienst warnt die zuständigen Behörden frühzeitig, damit | |
diese sich auf ein mögliches „Jahrhunderthochwasser“ vorbereiten können. | |
4. Warum gibt es ständig „Jahrhunderthochwasser“? | |
Die Flut an der Elbe 2002, das Hochwasser 2013 und die Ahrtalkatastrophe | |
2021 – innerhalb von 20 Jahren gab es mehrere Jahrhunderthochwasser in | |
Deutschland. Das klingt so, als ob es sich jeweils um das größte Hochwasser | |
des vergangenen Jahrhunderts handelt. Wie kann das sein? | |
Jahrhunderthochwasser ist ein hydrologischer Fachbegriff. Er bezeichnet | |
tatsächlich nicht den neusten Rekordhalter, sondern ein Ereignis, das aus | |
statistischer Sicht nur einmal in 100 Jahren vorkommt. Durch die | |
Erderwärmung werden wir in Zukunft noch häufiger Überschwemmungen dieses | |
Ausmaßes erleben. Je wärmer die Meere, desto mehr Wasser gelangt in die | |
Atmosphäre, die Niederschläge verstärken sich dementsprechend. Außerdem | |
kommt es durch den Klimawandel immer häufiger vor, dass sich | |
Tiefdruckgebiete länger an einem Ort halten. Das begünstigt weitere | |
Jahrhunderthochwasser. | |
5. Wer ist eigentlich für Hochwasser zuständig? | |
Dem Hochwasser sind Landesgrenzen egal. Dem Föderalismus nicht. In | |
Deutschland ist der Katastrophenschutz [3][Ländersache]. Jedes Bundesland | |
ist selbst für seinen Hochwasserschutz zuständig – so sieht es das | |
Grundgesetz vor. Gemeinde und Städte koordinieren jeweils ihre | |
Rettungskräfte und Feuerwehren bei Überschwemmungen. Tritt der | |
Katastrophenfall ein, übernehmen die Katastrophenschutzbehörden der Länder | |
die Gefahrenabwehr. Der Bund stellt im Krisenfall Ausstattung und Personal | |
des Technischen Hilfswerks, der Bundespolizei und der Bundeswehr zur | |
Verfügung, wenn die Länder das anfordern. Sind mehrere Bundesländer | |
betroffen, koordiniert der Bund den Informationsaustausch und die | |
Hilfsmaßnahmen. Eine verschachtelte Sache. | |
6. Behindert der Föderalismus den Hochwasserschutz? | |
Dass der Katastrophenschutz in Deutschland Ländersache ist, ist nur bedingt | |
sinnvoll. Einerseits kennen die jeweiligen Gemeinden die örtlichen | |
Gegebenheiten am besten und wissen, welche Maßnahmen nötig sind. Bei | |
Hochwasser ist man aber immer von den Nachbarn flussaufwärts abhängig. | |
Überschwemmungsgebiete auszuweisen und Talsperren zu bauen bremst ein | |
Flusshochwasser aus und schützt so die stromabwärts liegenden Städte und | |
Gebiete – die sogenannten Unterlieger. Die Oberlieger haben selbst nichts | |
von der Überschwemmung ihrer Flächen. „Beim überregionalen Hochwasserschutz | |
ist die Solidarität zwischen den Flussanrainern entscheidend“, sagt Holger | |
Schüttrumpf, Hochwasserexperte und Professor an der Rheinisch-Westfälischen | |
Technischen Hochschule Aachen. „Bisher fehlt in Deutschland allerdings der | |
ökonomische Ausgleich, um die Solidarität der Oberlieger auszugleichen.“ | |
Technische Schutzmaßnahmen der Oberlieger können aber auch zu höheren | |
Wasserständen bei den Unterliegern führen. So hatte Sachsen nach der | |
Hochwasserkatastrophe 2002 in seine Deiche investiert und diese saniert. | |
Mit Erfolg. Das Junihochwasser 2013 verursachte in Sachsen nur einen | |
Bruchteil der Schäden von 2002. Stromabwärts jedoch, in Sachsen-Anhalt, | |
brachen mehrere Deiche unter den hohen weitergeleiteten Wasserlasten. | |
„Im Idealfall würde es für jeden Fluss und dessen Einzugsgebiet eine | |
Behörde geben, die die Schutzmaßnahmen koordiniert. Das ist in Deutschland | |
und bei transnationalen Einzugsgebieten allerdings utopisch“, sagt Daniel | |
Bachmann, Professor für Hochwasserrisikomanagement an der Hochschule | |
Magdeburg-Stendal. | |
7. Investiert Deutschland genug in den Hochwasserschutz? | |
Das verheerende Hochwasser von 2013 verdeutlichte die Schwachstellen des | |
Hochwasserschutzes in Deutschland, insbesondere entlang der Donau und der | |
Elbe. Wie es sich für eine solche Katastrophe gehört, versprachen damals | |
die zuständigen Politiker in Gummistiefeln und vor Sandsäcken | |
öffentlichkeitswirksam Besserung. | |
2014 brachte das Bundesumweltministerium das Nationale | |
Hochwasserschutzprogramm auf den Weg, um die Länder bei überregional | |
wirkenden Maßnahmen zu unterstützen. Zurückverlegte Deiche sollten den | |
Flüssen mehr Platz verschaffen und Talsperren die Flutwellen ausbremsen. | |
Die Bilanz fällt nach zehn Jahren jedoch mager aus. „Nur neun der 168 | |
beschlossenen Maßnahmen wurden seit 2014 vollständig umgesetzt“, kritisiert | |
Holger Schüttrumpf. | |
Für die schleppende Umsetzung der Schutzmaßnahmen gebe es viele Gründe: | |
„Lange Genehmigungsverfahren, unterschiedliche Interessen der Oberlieger | |
und Unterlieger sowie Konflikte über die Flächennutzung. So haben die Land- | |
und Forstwirtschaft, Denkmalschutz und Gemeinden oft berechtigte Ansprüche | |
auf die für den Hochwasserschutz benötigten Flächen“, sagt Experte | |
Schüttrumpf. Es mangelt also nicht am Wissen, sondern an der | |
realpolitischen Umsetzung vor Ort. | |
8. Wie könnte es besser laufen? | |
Wie weitsichtiger Hochwasserschutz geht, zeigt das Vorbild der Niederlande. | |
Seit den 90er Jahren setzt das Land das Konzept „[4][Raum für den Fluss]“ | |
um. Durch weiter entfernte Deiche bekommen Flüsse Platz, auf dass Menschen | |
vor Fluten geschützt werden. Die Holländer haben erkannt, dass sich der | |
Mensch an das Hochwasser anpassen muss, nicht andersrum. | |
9. Wie sieht es mit der europäischen Zusammenarbeit aus? | |
Zum Schutz großer Flüsse wie der Elbe, der Donau und des Rheins gibt es | |
internationale Kommissionen. Neben der Überwachung der Wasserqualität | |
koordinieren die Länder in diesem Rahmen auch Maßnahmen für den | |
Hochwasserschutz. Die EU fördert zudem Projekte, um Überschwemmungen über | |
Landesgrenzen hinweg besser zu managen. Im Rahmen der sogenannten | |
Strima-Initiativen sollen beispielsweise sächsische und tschechische | |
Warnsysteme grenzübergreifend und automatisiert verknüpft werden. Wie | |
sinnvoll die europäische Zusammenarbeit ist, zeigt sich gerade an der Elbe. | |
Dresden profitiert direkt davon, dass in Tschechien die Talsperren erst | |
nach und nach Wasser ablassen. | |
10. Was kann jede:r Einzelne tun? | |
Sollten Sie sich jetzt oder in der Zukunft in einem Gebiet befinden, das | |
akut von Hochwasser betroffen ist, halten Sie sich durch Rundfunk, Internet | |
und Nina-Warnapp auf dem Laufenden. Folgen Sie den Anweisungen von | |
Rettungskräften, und wenn dafür Zeit ist, dichten Sie vor dem Verlassen des | |
Hauses Türen und Fenster ab, um Schäden zu vermeiden. An alle Bauherren und | |
-herrinnen: Auch wenn der Blick aufs Wasser schön ist – Neubauten in | |
Überschwemmungsgebieten tragen zu unnötiger Versiegelung bei und bringen | |
die Menschen, die dort einziehen, in Gefahr. Besteht akute | |
Hochwassergefahr, auf keinen Fall in den Keller gehen. Auch | |
Katastrophentourismus ist ein absolutes No-Go. Er behindert Rettungskräfte | |
und ist allgemein cringe. | |
20 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Hochwasser-in-Sachsen/!6037496 | |
[2] https://www.dwd.de/DE/forschung/wettervorhersage/num_modellierung/04_ensemb… | |
[3] https://www.bmi.bund.de/DE/themen/bevoelkerungsschutz/zivil-und-katastrophe… | |
[4] https://izw.baw.de/publikationen.php?file=kolloquien%2F0%2Fkurzfassung_havi… | |
## AUTOREN | |
Hannah Clement | |
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