| # taz.de -- Linke und Ukraine-Krieg: Schräge Analysen | |
| > Linksradikale AntimilitaristInnen verbinden ihre Kritik am Ukraine-Krieg | |
| > mit Imperialismuskritik. Das spielt vor allem Putin in die Hände. | |
| Bild: Friedenstaube in Berlin, 25. Februar 2023: Was, wenn ein Regime wirklich … | |
| Spätestens mit den Wahlerfolgen von [1][AfD und BSW] bei den Landtagswahlen | |
| in Thüringen und Sachsen ist Frieden eine Chiffre für einen neuen | |
| Nationalchauvinismus geworden. Dieser denunziert [2][Waffen- und | |
| Finanzhilfen an die Ukraine] wahlweise als Diebstahl am deutschen Volk oder | |
| dem Steuerzahler. Wie aber ist zu erklären, dass auch weite Teile der | |
| Linken Waffenlieferungen ablehnen, mit denen die völkerrechtswidrig | |
| angegriffene Ukraine sich zu verteidigen versucht? | |
| Eine Rolle spielen sicher die in der Friedensbewegung grassierenden | |
| Narrative zur „Vorgeschichte“ des Kriegs, etwa dass der Kreml sich einer | |
| immer aggressiveren Einkreisung durch die Nato ausgeliefert sah. Es ist | |
| allerdings seltsam, dass über jenen Teil der Vorgeschichte des Krieges, der | |
| gerade PazifistInnen für die Ukraine einnehmen müsste, beharrlich | |
| geschwiegen wird. | |
| So hat die Ukraine ihre gesamten Atomwaffen und weitere Waffensysteme | |
| abgegeben, größtenteils an Russland. Indessen hat Russland seine | |
| strategische Situation gegenüber der Ukraine immer nur verbessert, etwa | |
| durch die teilweise auch gewaltsame Übernahme eines immer größeren Teils | |
| der Schwarzmeerflotte, die Besetzung der Krim und den Bau der | |
| [3][Nord-Stream-Pipelines]. | |
| Viel grundlegender als die Friedensbewegung versuchen linksradikale | |
| Antimilitarist:innen den Krieg in der Ukraine in ihr [4][Weltbild | |
| von Klassenkampf], Antiimperialismus und Staatskritik zu integrieren. Dabei | |
| wird nicht nur der Krieg, sondern darüber hinaus die bestehende | |
| Gesellschaft als gewaltförmig analysiert, so etwa die Jour fixe initiative | |
| Berlin: „Das aktuelle Kriegsregime bedeutet das Ende der falschen Erzählung | |
| einer gewaltlosen bürgerlichen Gesellschaft. Die Militarisierung des Lebens | |
| seit Beginn des Ukraine-Krieges bringt die Gewaltförmigkeit der | |
| kapitalistischen Gesellschaften ins Offene.“ | |
| In Zeiten des Krieges ließe sich eine staatstragende Formierung durchsetzen | |
| und es würden soziale Errungenschaften geschleift. Aussagen aus dem | |
| Baukasten linker Staatskritik, die immer einen Punkt treffen. Doch welche | |
| Erkenntnis bieten sie angesichts einer Formierung, die sich derzeit eher | |
| durch rechts- und linkspopulistische Friedensbewegte vollzieht? Wenn aber | |
| bereits die indirekten Folgen der „Kriegstreiberei“ all das Schlechte | |
| dieser Gesellschaft forciere, dann erfordere das massenhafte Sterben erst | |
| recht eine Äquidistanz zu allen Kriegsparteien, vornehmlich zum „Hauptfeind | |
| im eigenen Land“, so das Marx21-Netzwerk. | |
| ## Angriffs- und Verteidigungskrieg | |
| Vielleicht ist es kein Zufall, dass öfter an den Ersten und nicht den | |
| Zweiten Weltkrieg erinnert wird. Um jedenfalls gar nicht erst den | |
| Unterschied zwischen einem Angriffs- und einem Verteidigungskrieg | |
| diskutieren zu müssen, werden umfangreiche „materialistische“ Analysen der | |
| Hintergründe des Krieges sowie der Klassengesellschaften der beiden | |
| Kriegsparteien geliefert. | |
| Ausführlich zeichnet etwa Freerk Huisken in „Frieden. Eine Kritik“ den | |
| Ukraine-Krieg als einen Krieg zweier kapitalistischer Weltmächte nach. | |
| Huiskens Ausführungen zufolge erscheint Russlands Invasion als | |
| zwangsläufige Folge dieser Konkurrenz, einen qualitativen Unterschied oder | |
| Bruch scheint es nicht zu geben, denn „Krieg und Frieden sind eben nichts | |
| anderes als alternative Formen der Austragung der Staatenkonkurrenz“. | |
| Derartige Versuche, den Krieg in der Ukraine in grundlegende Theorien des | |
| globalen Kapitalismus einzupassen, lassen die handelnden Subjekte | |
| verschwinden. Allenfalls tauchen kriegsmüde Menschen als Beleg dafür auf, | |
| dass nur der Westen und seine Marionettenregierung in Kyjiw den Krieg | |
| führen wollen. Auf die Idee, dass viele Ukrainer:innen längst am Westen | |
| und der unzureichenden militärischen Unterstützung verzweifeln, kommen | |
| solcherlei Analysen nicht. | |
| Zugleich werden jene Stimmen aus sozialen Bewegungen und Gewerkschaften | |
| ignoriert, die trotz ihrer Kritik an der ukrainischen Regierung massive | |
| Waffenlieferungen vom Westen fordern. Die Gewerkschaften etwa hoffen auf | |
| nichts sehnlicher als ein Ende des Krieges und auf eine starke | |
| Unterstützung durch westliche Gewerkschaften – gerade auch nach dem Krieg. | |
| Dann, wenn es in der Tat darum gehen wird, die Ansprüche des erwähnten | |
| Westkapitals auf reibungslose Geschäfte im neuen Markt Ukraine | |
| zurückzudrängen und soziale Rechte in der Ukraine auszubauen. | |
| ## Eine Ukraine zu „belarussischen“ Bedingungen? | |
| Waffen zu fordern, resultiert hier zum einen aus der nüchternen | |
| Einschätzung, dass nur eine relevante militärische Antwort auf das | |
| aggressive Moskauer Regime überhaupt halbwegs akzeptable Verhandlungen | |
| beziehungsweise Verhandlungsergebnisse mit sich bringen kann. Zum anderen, | |
| weil klar ist, dass die Bedingungen für eine weitere gesellschaftliche | |
| Emanzipation in der Ukraine bei einem Sieg Russlands unmöglich würden, | |
| insbesondere wenn dann wahrscheinlich auf Jahrzehnte [5][„belarussische“ | |
| Bedingungen] herrschen. | |
| Dies kann nur leugnen, wer wie Wagenknecht den Angriff auf die Ukraine ja | |
| ohnehin als Reaktion Putins auf den Westen deutet und nicht als reaktionäre | |
| Abstrafung emanzipatorischer Veränderungen im postsowjetischen Raum. Aus | |
| den hier skizzierten blinden Flecken der Kritik an Waffenlieferungen ergibt | |
| sich keineswegs, dass damit alle Zweifel vom Tisch zu wischen wären | |
| angesichts des [6][massenhaften Sterbens von ZivilistInnen und | |
| SoldatInnen.] | |
| Allein, die Analyse der teilweise recht schrägen und auf Falschinformation | |
| basierenden Argumentation vieler Kriegsgegner:innen legen den Schluss | |
| nahe, dass manche Fragen um jeden Preis vermieden werden sollen, weil sie | |
| nicht ins linke Weltbild passen: Was, wenn ein Regime wirklich Krieg führen | |
| will? Was, wenn es das tut, weil es auf wenig oder unzureichende Gegenwehr | |
| zu treffen glaubt? | |
| Was, wenn an der Abschreckungsdoktrin etwas Wahres dran ist, auch wenn sich | |
| dies im falschen Ganzen (globaler Kapitalismus) abspielt? Ein falsches | |
| Ganzes, das allerdings leider Realität ist und zumindest mittelfristig | |
| nicht verschwinden wird. | |
| 17 Sep 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Holger Schatz | |
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