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# taz.de -- 39. Geburtstag: Heute bin ich Springbrunnen
> Unsere Kolumnistin wollte eigentlich endlich die große Freiheit genießen.
> Doch dann quält sie sich zum Geburtstag mit großen Fragen.
Bild: Zum Geburtstag Muffins – und hinterfragte Lebensentscheidungen
Am Morgen meines 39. Geburtstags wache ich auf und bin ein Springbrunnen.
Was ist bloß mit mir passiert? Gestern dachte ich noch, dass ich mich
glücklich schätzen kann. Ich habe drei beste Freund*innen, eine kleine
Mietwohnung für mich alleine und einen Job, bei dem ich für mein Hobby,
über die Welt zu schwadronieren, auch noch bezahlt werde – aber reicht das?
In meinen Zwanzigern ging es vor allem ums Feiern. In meinen Dreißigern
arbeitete ich wie verrückt, um irgendwo anzukommen. Doch statt jetzt die
große Freiheit zu genießen, [1][quäle ich mich mit noch größeren Fragen
herum]. War es richtig, keine Familie gegründet zu haben? Gibt es nur noch
frisch getrennte Daddys auf dem Datingmarkt? Und was mache ich mit immer
neuen Falten, Arbeitsstress, Sozialneid und Hormonschwankungen? Vor Kurzem
war ich sogar schon so weit, das Kinderkriegen dem Zufall zu überlassen.
Doch ein, zwei Zyklen später musste ich einsehen, dass ich dafür wohl doch
nicht mutig genug bin.
Aus Vernunft habe ich jetzt [2][mit dem Rauchen aufgehört] und sämtliche
Dating-Apps gelöscht. Stattdessen nehme ich Vitamin D, esse Kohl und gehe
zum Yoga, weil das angeblich das Altwerden verlangsamen soll. Ist das jetzt
die Zielgerade zum spaßbefreitesten Lebensjahrzehnt von allen? Ein Blick
aufs Handy. Eigentlich bräuchte ich dringend jemanden, der mir einen
Tausender für mein überzogenes Konto schenkt. Aber die Einzigen, die bisher
zum Geburtstag an mich gedacht haben, sind die Leute von „BinPartyGeil.de“,
wo ich mich zu Studizeiten angemeldet haben muss.
Es läutet, meine Mutter ruft an. „Herzlichen Glückwunsch!“, flötet sie.
„Ist mein Päckchen schon angekommen?“ – „Nein“, sage ich genervt. �…
nicht sein!“, ruft sie aufgebracht. „Ich schicke nie wieder …“, höre i…
noch, dann habe ich nur mehr das schrille Trillern ihrer Hundepfeife im
Ohr. Statt Geburtstagsständchen jetzt also Tinnitus. Ich frage, wann sie es
losgeschickt hat. „Gestern“, sagt sie. „Na, dann kann es ja noch gar nicht
angekommen sein“, sage ich enttäuscht und fühle mich mutterseelenallein.
Ich bin so ein Baby.
Dann denke ich an meine Therapeutin, die immer sagt, dass man sich selbst
eine Mutter sein soll. Also gehe ich zum Delikatessengeschäft und kaufe mir
allerfeinste Schokolade. Zartbitter. Jedes Täfelchen. Igitt. Ich muss daran
denken, wie gut mein Exfreund Kuchen backen konnte. Ein kurzer Anflug von
Nostalgie. War aber auch nicht alles Vollmilchschokolade bei uns, sonst
gäbe es heute Bananenschnitte.
Gegen Nachmittag kommt eine Freundin vorbei. Abends kann sie nicht. Das
Kind ist krank. „Bist du ansteckend?“, frage ich misstrauisch. Seit es so
viele Kleinkinder in meinem Umfeld gibt, habe ich panische Angst vor
Kitakrankheiten. Meine Freundin schüttelt den Kopf. Ich nehme all meinen
Mut zusammen und umarme sie. Lange, sehr lange. Okay, vielleicht ein
bisschen zu lange. Als sie weg ist, fällt mein Blick zufällig auf das
Päckchen Pueblo Tabak, das ich für alle Fälle aufbewahrt habe. Wer sagt
eigentlich, dass man sich ab einem bestimmten Alter selbst kasteien muss?
Erst mal eine rauchen. Dann werfe ich endlich den labbrigen Kohl weg. Und
wenn ich Bock habe, [3][installiere ich wieder Tinder] und dann kann es
auch mal Männer regnen.
13 Sep 2024
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## AUTOREN
Anna Fastabend
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