Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Thirdlife-Crisis: Wie leben jenseits der 30?
> Obwohl scheinbar alles gut läuft, steckt unsere Autorin in einer Krise –
> und fordert mehr Akzeptanz für alternative Lebenswege jenseits der 30.
Bild: Vergänglichkeit kann sooo schön sein
Ich stecke in einer handfesten Krise. Dabei ist eigentlich alles okay. Ich
habe einen Job, den ich zuweilen sogar ganz gut finde. Ich bin in einer
[1][festen Beziehung], die zuweilen sogar sehr glücklich ist. Ich habe gute
Freund*innen, die ich zuweilen sogar sehen kann. Ich könnte mich
zurücklehnen und das Leben genießen. Doch ich werde von dem Gefühl gequält,
dass es so nicht mehr weitergehen kann.
Die menschliche Existenz ist eine einzige Krise, doch einige Krisen fallen
besonders auf. Da ist die allseits [2][bekannte Midlife-Crisis], die
angeblich vor allem Männer zwischen 40 und 55 Jahren trifft. In dieser Zeit
trauert die Person verpassten Lebenschancen nach und wird sich ihrer
Sterblichkeit stärker bewusst. Also klammert sie sich an ihre Jugend, indem
sie sich einen Porsche und/oder eine junge Geliebte anschafft – so das
Klischee.
Seit einigen Jahren kennt man nun auch die [3][Quarterlife-Crisis], die vor
allem Personen in ihren 20ern betrifft, wenn sie das erste Mal wirklich
„erwachsen“ sein müssen – zum Beispiel nach dem Uniabschluss. Diese Zeit
ist mit einem orientierungslosen Rumgeeiere verbunden und dem anstrengenden
Kampf um seinen Platz in der Welt.
Jetzt könnte man meinen, dass es die thirtysomethings gut getroffen hat.
Man ist nicht mehr der Praktikant, sondern jemand, dem die Menschen
tatsächlich auch mal zuhören. „Fomo“ (Fear of missing out) quält einen
nicht mehr, da man schon einige wilde Partys gefeiert hat und die Ruhe
schätzen kann.
Andererseits fällt man noch nicht negativ auf, wenn man doch clubben will
(zumindest in Berlin). Es scheint das Beste aus zwei Welten zu sein.
Stattdessen fühlt es sich an, als ob beide Krisen zu einer neuen Krise
fusioniert sind.
Ich fühle mich immer noch nicht angekommen und weiß nicht, wie die nächsten
Schritte aussehen sollen. Wie damals nach der Uni. Gleichzeitig fühle ich
einen immensen Druck. Als ob ich mich am Ende eines wichtigen Zeitfensters
befinde. Als ob gilt: Jetzt oder nie.
Und da zeigt die Midlife-Crisis ihr Gesicht. Ich bin vielleicht noch jung,
aber auch nicht mehr die Jüngste. Der erste Verschleiß ist da: Jetzt
brauche ich tatsächlich mal Schlaf und nach dem Weingenuss folgt erst
einmal das Sodbrennen. Und auch bei meinen Freund*innen sehe ich mehr
graue Haare, die ersten Fältchen und die ersten Wehwehchen. Und wir wurden
gewahr, dass wir immer älter werden und wir waren immer noch auf der Suche
nach etwas. Nur nach was?
## Es winkte eine herrliche Zukunft
Letztes Jahr las ich das erste Mal die „Glasglocke“ von Sylvia Plath. Darin
schreibt sie: „Gleich dicken, purpurroten Feigen winkte und lockte von
jeder Zweigspitze eine herrliche Zukunft.“ Damit beschrieb Plath
eindrucksvoll, wie man als junger Mensch angesichts einer immensen Auswahl
an Lebensentwürfen paralysiert ist, unfähig, eine Entscheidung zu treffen.
Ich zog eine Parallele zu meiner aktuellen Situation. Auch ich fühle mich
an einem Scheideweg und müsste mich mal entscheiden. Und einige der Feigen
scheinen mittlerweile verdorrt zu sein oder erscheinen mir entfernter denn
je.
Ich möchte keine Familie gründen. Der Zeitpunkt für einen wie auch immer
gearteten Karrieredurchbruch scheint auch vorbei zu sein. Ein
Aussteigerleben kommt mir unangenehm vor. Ewig rumreisen ist zu
anstrengend. Weitermachen wie bisher wird irgendwann peinlich. Man muss
doch den Absprung schaffen.
Will ich mit 50 immer noch so leben wie mit 30?
Dann fiel der Groschen. Meine diffusen Sorgen, dieser Druck, diese
Vorstellungen: Sie haben ihren Ursprung im extrem negativen, einseitigen
Bild vom Alter jenseits der 30, das in der Gesellschaft verankert ist.
Das gilt vor allem für Frauen. Da ist das Narrativ der armen Frau, die eben
das Zeitfenster für das gute Leben (Heim/Kinder) verpasst hat. Die nun
verwelkt ist und nicht merkt, dass auf der Tanzfläche alle miteinander
tanzen, aber niemand mit ihr. Sie ist „liegen geblieben“, hat es „nicht
geschafft“.
Das gilt auch für den Bereich Karriere: Wenn man jetzt nicht durchstartet,
wann dann? Es gibt ja nicht ohne Grund die Rubrik „30 unter 30“. Ich weiß
natürlich, dass es viele Wege zum sogenannten guten Leben gibt. Ich weiß,
dass mit 30 noch lange nicht Schluss ist.
## Ab 25 verringert sich der Freundeskreis
Denkt doch mal an „Sex and the City“, wo die Protagonistinnen in ihren
30ern sind und trotzdem Cocktails trinken, Party machen und Männer
verführen – in den ersten Staffeln zumindest. Denn auch Carrie, Miranda und
Charlotte heiraten und kriegen teilweise Kinder. Selbst Samantha wird
ruhiger. So fehlen die Vorbilder, die die unbewusste Angst des
„Liegenbleibens“ herausfordern.
Gleichzeitig wird die Angst von der Realität immer wieder bestätigt.
[4][Eine Studie] der Aalto-Universität und der Universität Oxford besagt:
Bis 25 Jahren vergrößert sich der Freundeskreis stetig. Danach werden es
immer weniger.
Gefühlt nimmt der Abwärtstrend ab 30 noch mehr an Fahrt auf. Wenn man sich
in seinem Freund*innenkreis umschaut, sind einige in derselben Situation
wie man selbst. Aber viele andere entwickeln sich weiter, sie klettern an
den Zweigen entlang und lassen einen zurück. Sie gründen Familien, sie
machen die große Karriere. Plötzlich fehlt Zeit und gegenseitiges
Verständnis.
Selbst wenn ich also alles so belassen will, wie es gerade ist. Wie lange
geht das noch gut? Wie lange habe ich überhaupt noch Freund*innen, mit
denen ich die Nacht zum Tage machen kann? Wie lange macht das mein Körper
mit? Werde ich meine Entscheidungen noch bereuen?
Das Leben geht weiter und in diesem Fall ist es eine Drohung. Es ist eine
Zeit der Orientierungslosigkeit und der Einsamkeit, des gesellschaftlichen
Drucks und der mangelnden Alternativen: herzlich willkommen in der
Thirdlife-Crisis. Was tun?
Die Medien müssen die altersfeindlichen Narrative aufbrechen und die
Vielfältigkeit eines Lebens jenseits der 30 aufzeigen. Wir als Gesellschaft
müssen Möglichkeiten schaffen, die ein Leben jenseits der traditionellen
Familien- und Karrierestrukturen vereinfacht und ermöglicht. Jeder Einzelne
von uns muss sich mit seinen Vorurteilen auseinandersetzen. Das sind alles
große Umwälzungen und das dauert. Bis dahin hoffe ich mal auf zwei solide
Jahre, bis mich die Midlife-Crisis umhaut.
2 Jul 2024
## LINKS
[1] /Bestaendige-Langzeitbeziehungen/!6009266
[2] /Midlife-Crisis-als-Chance/!6001767
[3] /Wendepunkte-im-Leben/!6001835
[4] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4852646/
## AUTOREN
Laila Oudray
## TAGS
Midlife Crisis
Altern
Lebenserwartung
Kolumne Midlife Monologe
Kolumne Midlife Monologe
taz in der Midlife-Crisis?
taz in der Midlife-Crisis?
Testosteron
## ARTIKEL ZUM THEMA
Klassengesellschaft im Midlife: Aliens mit Arschgeweih
Eben saß man noch zusammen bei Spaghetti in der WG-Küche. Jetzt sind viele
Idealist*innen aus dem Mittelstand abgestiegen und die anderen reich.
39. Geburtstag: Heute bin ich Springbrunnen
Unsere Kolumnistin wollte eigentlich endlich die große Freiheit genießen.
Doch dann quält sie sich zum Geburtstag mit großen Fragen.
Autorinnen über die Midlife-Krise: „Was kann man noch erreichen?“
Die Hamburger Autorinnen Katrin Seddig und Ella Carina Werner über
bauchtanzende Mütter, das Recht zu klagen und die Komik der Midlife-Crisis.
Wendepunkte im Leben: Es ist nie zu früh für die Ekstase
Quarterlife-Crisis: Warum bis Mitte 40 warten, um am eigenen Lebensmodell
zu zweifeln? Eine Neuorientierung ist in jeder Lebensphase möglich.
Kolumne Andropause: Midlife Crisis? What Midlife Crisis?
Wenn das Testosteron ab einem bestimmten Alter rapide absinkt, hat das
schwere Folgen. Eine ordentliche Midlife Crisis hingegen ist etwas völlig
anderes.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.