# taz.de -- Krise bei VW: Kratzer im Lack bei Volkswagen | |
> Seit 1994 sind betriebsbedingte Kündigungen beim Wolfsburger Autobauer | |
> ausgeschlossen. Damit hat das Management nun gebrochen. | |
Bild: Ziemlich verunsichert: Die Belegschaft des VW-Werks in Emden demonstriert… | |
Viel Geld hat Volkswagen in den vergangenen Jahren im nordwestlichen Zipfel | |
Deutschlands, in Emden, investiert, um dort Elektroautos zu bauen. Doch nun | |
hat sich die Lage geändert. „Man spürt deutlich, dass die Ereignisse seit | |
Beginn der letzten Woche große Betroffenheit ausgelöst haben“, sagte | |
Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil, als er das Werk am | |
Mittwoch besuchte. | |
Rund 8.000 Beschäftigte arbeiten bei VW in Ostfriesland. Die machen sich | |
jetzt Sorgen: Die Krise ist über das Unternehmen hereingebrochen. Sogar | |
Entlassungen hält der Vorstand für möglich. Doch so schlimm wird es am Ende | |
wohl nicht kommen. Denn Volkswagen ist fast ein Staatskonzern, in dem die | |
Politik, aber auch die Gewerkschaft IG Metall, entscheidenden Einfluss | |
haben. | |
Einstweilen aber herrscht Aufregung. Am Dienstag hat die Firmenleitung in | |
Wolfsburg ein Beinahetabu gebrochen. Mehrere Tarifverträge wurden | |
gekündigt, darunter die Vereinbarung zur Sicherung der Beschäftigung, die | |
seit 1994 betriebsbedingte Kündigungen in den hiesigen Werken ausschließt. | |
Eigentlich sollte sie noch bis 2029 laufen. Außerdem will sich das | |
Management unter anderem von einer Regelung für die Übernahme von | |
Auszubildenden verabschieden. | |
IG Metall-Bezirksleiter Thorsten Gröger sparte deshalb nicht mit großen | |
Worten: Mit dem „beispiellosen Angriff auf das gemeinsame, historische | |
Tarifwerk stellt Volkswagen die Mitbestimmung vor eine der größten | |
Zerreißproben in der Unternehmensgeschichte“. Und Daniela Cavallo, die | |
Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Volkswagen AG, erklärte: „Wir werden uns | |
erbittert zur Wehr setzen.“ | |
Die Zahlen für das vergangene Jahr sahen noch ziemlich gut aus. Der Umsatz | |
des Konzerns stieg um 15 Prozent auf 322 Milliarden Euro, über 20 | |
Milliarden Gewinn blieben hängen, eine schöne Dividende floss an die | |
Aktionär:innen. Bei der Kernmarke VW gab es dann aber im ersten Halbjahr | |
2024 schlechte Nachrichten: Der Verkauf von Fahrzeugen und der Gewinn | |
gingen deutlich zurück. Die Fabriken von VW in Wolfsburg, Emden und | |
Zwickau, bei Audi in Ingolstadt und Neckarsulm verringerten die Produktion | |
und strichen Nachtschichten. So tritt das Management jetzt auf die Bremse, | |
obwohl immer noch Gewinne erwirtschaftet werden. | |
## China drückt den Absatz | |
Ein [1][Grund für die Absatzschwäche liegt in China], wo heimische | |
Hersteller den Deutschen mittlerweile erhebliche Marktanteile abjagen. Dort | |
leidet vor allem der Verkauf elektrischer VW-Fahrzeuge. Auf anderen | |
Märkten, etwa in den USA und Europa, läuft es auch nicht so gut wie vorher. | |
Und die Bundesregierung ließ Ende 2023 staatliche Kaufzuschüsse für | |
elektrische Pkw auslaufen, die die Preise gedrückt und den Unternehmen | |
zusätzliche Erlöse beschert hatten. | |
Was bedeutet das alles nun für die Beschäftigten? Erst mal nichts | |
Konkretes, außer einem unsicheren Gefühl. Der Tarifvertrag für die | |
Beschäftigungssicherung läuft zwar zum Jahresende aus, aber einzelnen | |
Arbeitnehmer:innen kündigen könnte die Firma erst ab Mitte 2025. | |
Zusätzlich bräuchte es einen Sozialplan mit Zustimmung des Betriebsrates. | |
„Dieser Zeitraum eröffnet uns jetzt die Möglichkeit, gemeinsam mit den | |
Arbeitnehmervertretern Lösungen zu finden, wie wir Volkswagen nachhaltig | |
wettbewerbs- und zukunftsfähig aufstellen“, sagte VW-Personalchef Gunnar | |
Kilian. | |
Und diese Lösung wird kein Kahlschlag sein. Alleine schon, weil das Land | |
Niedersachsen 20 Prozent der Stimmrechte hält. Ministerpräsident Weil und | |
seine Stellvertreterin Julia Willie Hamburg von den Grünen sitzen im | |
Aufsichtsrat. Zusammen mit den Vertreter:innen der Beschäftigten haben | |
sie dort die Mehrheit, das Land verfügt außerdem über ein Vetorecht. Die | |
oft gestellte Frage, ob und wie der Staat bei VW eingreifen sollte, | |
erübrigt sich: Er steckt sowieso mitten drin. | |
Insofern lassen sich gewisse Äußerungen als Hinweise auf die künftige | |
Entwicklung lesen. Er stehe „in engem Kontakt“ zum Konzernbetriebsrat, | |
sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Die Absicht: „Standorte und Jobs | |
sichern.“ Parteikollege und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil | |
assistierte: „Alle Standorte“ müssten erhalten und „betriebsbedingte | |
Kündigungen vermieden werden“. Schließlich Niedersachsens | |
Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD): „Mein Ziel ist es, dass die Standorte | |
in Niedersachsen nicht nur erhalten bleiben, sondern entwickelt werden.“ | |
Wenn alle Fabriken überleben sollen, wird das Unternehmen andere | |
Möglichkeiten der Kosteneinsparung finden müssen. Diese könnten unter | |
anderem darin liegen, die Löhne zu senken und die Arbeitszeit zu verkürzen. | |
Ihre ursprüngliche Forderung von sieben Prozent Lohnsteigerung in der jetzt | |
beginnenden bundesweiten Tarifrunde kann die Gewerkschaft bei VW vermutlich | |
vergessen. | |
Historische Vorbilder existieren: Der jetzt gekündigte Tarifvertrag wurde | |
1994 geschlossen, als der spätere SPD-Kanzler Gerhard Schröder | |
Ministerpräsident in Hannover war. Die Kernelemente bestanden in der | |
Beschäftigungssicherung, der Viertagewoche und einer Lohnsenkung. Um die | |
Jahrtausendwende setzte der damalige VW-Arbeitsdirektor Peter Hartz dann | |
das Modell „5.000 mal 5.000“ um. Für jeweils 5.000 D-Mark Einheitslohn | |
wurden 5.000 Arbeitslose eingestellt. | |
11 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Handelsstreit-der-EU/!6031581 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
## TAGS | |
Volkswagen | |
E-Autos | |
IG Metall | |
Autoindustrie | |
IG Metall | |
Volkswagen | |
IG Metall | |
Arbeitskampf | |
Verkehr | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Krise bei VW: Warum der Motor stottert | |
Mit der Ankündigung von möglichen Werksschließungen hat Volkswagen für | |
Aufruhr gesorgt. Die wichtigsten Fragen und Antworten. | |
Krise bei Volkswagen: Deutschland ist mehr als Autoland | |
Der schwächelnde Konzern Volkswagen soll gerettet werden. Aber eine Form | |
der Planwirtschaft ist dafür trotzdem keine gute Idee. | |
Krise bei Volkswagen: Tarif-Verhandlungen beginnen früher | |
Wegen Krise und Kürzungsplänen beginnen bei VW die Tarifgespräche bereits | |
diesen Monat. Die Gewerkschaft IG Metall hatte darauf gedrängt. | |
VW kündigt Tarifverträge: Angriff auf die Beschäftigten | |
Das VW-Management will die Krise des Autobauers auf dem Rücken der | |
Beschäftigten lösen. Dabei haben diese keine Schuld an der Lage des | |
Konzerns. | |
Kampfansage bei Volkswagen: VW-Spitze kündigt Tarifverträge | |
Beim größten Autobauer Deutschlands droht ein tiefer Konflikt. Das | |
Management hat den Weg für Kündigungen freigemacht. Der Betriebsrat ist | |
erbost. | |
Renault-Chef warnt: EU-Strafen wegen wenig E-Autos | |
Der ohnehin angeschlagenen Branche drohen Strafen von der EU wegen des | |
schleppenden E-Auto-Verkaufs. Davor warnt Renault-Chef Luca de Meo. |