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# taz.de -- Clara Bünger über Krise der Linken: „Das war ein schleichender …
> Die Linkspartei steht vor einem personellen Neuanfang. Kann die
> Bundestagsabgeordnete Clara Bünger dabei helfen, den Teufelskreis zu
> durchbrechen?
Bild: Clara Bünger will nicht für den Linkenvorsitz kandidieren, sondern sich…
taz: Frau Bünger, [1][Jan van Aken und Ines Schwerdtner] haben als Erste
ihre Bewerbungen für den Linken-Vorsitz eingereicht. Sie werden als eine
mögliche weitere Kandidatin gehandelt. Haben Sie sich schon entschieden, ob
Sie antreten wollen?
Clara Bünger: Mich haben viele Nachrichten mit der Bitte erreicht, für den
Vorsitz zu kandidieren. Dass etliche Menschen innerhalb, aber auch
außerhalb der Partei offenkundig mir das Amt zutrauen, freut mich
natürlich. Ich empfinde das als eine Anerkennung meiner Arbeit. Gleichwohl
habe ich mich anders entschieden: Ich werde nicht als Parteivorsitzende
kandidieren, sondern mich weiter auf meine Arbeit als Abgeordnete im
Bundestag konzentrieren. Wer mich kennt, weiß, dass ich gerne Dinge immer
zu 100 Prozent mache. Und beides zusammen könnte ich nicht zu 100 Prozent
machen.
taz: Reizt Sie die Aufgabe nicht oder glauben Sie, dass es sich ohnehin
nicht mehr lohnt?
Clara Bünger: Beides trifft nicht zu. Der Rechtsruck in unserem Land ist
enorm. Da braucht es aus meiner Sicht eine starke, laute linke Stimme im
Bundestag. Das ist gerade jetzt besonders wichtig. Dazu will ich mit aller
Kraft beitragen. Für die Zukunft möchte ich gar nicht ausschließen, mir
auch die Übernahme des Parteivorsitzes vorstellen zu können. Aber aktuell
sehe ich dort nicht meinen Platz. Es braucht in dieser Position jetzt
Menschen, die sich voll und ganz auf die Parteiarbeit konzentrieren. Dass
sich Jan und Ines dazu bereit erklärt haben, begrüße ich. Wer auch immer
letztlich auf dem Parteitag im Oktober gewählt wird, steht vor einer großen
Aufgabe. Dafür ist die ganze Unterstützung der Bundestagsgruppe nötig.
Dabei will ich mithelfen. Wir befinden uns in einem Moment des Übergangs,
der nicht einfach ist, aber auch eine Chance sein kann.
taz: Verstehe ich Sie richtig, dass auch Sie den [2][Wechsel an der
Parteispitze] jetzt für nötig halten?
Clara Bünger: Als erst Janine Wissler und dann Martin Schirdewan an die
Spitze getreten sind, befand sich Die Linke bereits in einer ungeheuer
schwierigen Krisensituation, auch wenn das vielleicht noch nicht allen
bewusst war. Dass sie eine Abspaltung bewältigen mussten, damit haben nicht
nur sie nicht gerechnet. Manche haben das ja bis kurz vor der offiziellen
Verkündung noch [3][nicht wahrhaben wollen], was mit zu unserem jetzigen
Zustand beigetragen hat. Ich bin den beiden jedenfalls sehr dankbar, dass
sie wirklich versucht haben, ihr Bestes zu geben. Sie haben für unsere
Werte und Überzeugungen gekämpft. Ihre Entscheidung, nun nicht mehr
anzutreten, sondern den Weg für einen personellen Neuanfang freizumachen,
respektiere ich. Deswegen blicke ich jetzt in die Zukunft und auf die
Herausforderungen, die anstehen.
taz: Wie schon [4][die Bundestagsfraktion] gilt auch die jetzige
Bundestagsgruppe [5][nicht gerade als ein Hort der Harmonie]. Könnte sie
aus Ihrer Sicht denn überhaupt noch eine Rolle bei dem Versuch spielen,
einen Ausweg aus der Krise zu finden?
Clara Bünger: Ich hoffe zumindest, dass inzwischen alle begriffen haben,
dass das unsere Aufgabe ist. Denn dafür ist die gesellschaftliche Situation
zu ernst. Wir Abgeordneten müssen unseren Beitrag dazu leisten, dass Die
Linke wieder eine Perspektive hat. Anders kann es nicht gehen. Unsere
Gemeinsamkeiten müssen in den Vordergrund gerückt werden, also der
gemeinsame Kampf für eine solidarische und gerechtere Gesellschaft.
taz: Mit 19 Jahren sind Sie 2005 in die sächsische PDS eingetreten, die
damals bei den Landtagswahlen noch auf über 20 Prozent kam. Jetzt liegt die
Linke in den Umfragen zwischen 3 und 5 Prozent und muss um den Einzug ins
Parlament bangen. Wie erklären Sie sich diesen Niedergang?
Clara Bünger: Dafür gibt es nicht nur eine Erklärung. Das war ein langer
schleichender Prozess, der aber viel mit der dramatischen
gesellschaftlichen Situation in Sachsen jenseits der wenigen Großstädte zu
tun hat. Das macht es auch so schwierig.
taz: Was meinen Sie damit?
Clara Bünger: Dafür muss ich ein bisschen ausholen. Ich bin in Freiberg
aufgewachsen, das ist eine kleine Stadt zwischen Dresden und Chemnitz.
Anfang der 2000er Jahre habe ich dort eine Jugendinitiative mit aufgebaut,
„Buntes Leben“ hieß die. Das war eine Reaktion darauf, dass rechtsextreme
und neonazistische Gruppen immer mehr Zulauf bekamen. Schon damals war die
NPD bei den Unter-18-Jährigen die beliebteste Partei, heute ist es die AfD.
Wir haben zum Beispiel Mahnwachen in Gränitz organisiert, wo der frühere
NPD-Bundesvorsitzende Günter Deckert ein Dorfgasthaus ersteigert hatte, um
daraus einen Nazi-Treffpunkt zu machen. Wir haben Flugblätter gedruckt und
verteilt, ein Frühlingsfest organisiert, alles Mögliche gemacht. Wir haben
uns für Geflüchtete eingesetzt, die angegriffen wurden, ebenso aber auch
für Rentnerinnen und Rentner, die entmietet werden sollten. Und die einzige
Partei, die dabei vor Ort wirklich an unserer Seite stand, war die PDS.
taz: Wäre das heute nicht mehr so?
Clara Bünger: Selbstverständlich wäre das immer noch so. Ich will auf etwas
anderes hinaus: Der Druck auf zivilgesellschaftliches Engagement ist in
solchen Gegenden seit langem enorm groß. Wer öffentlich in Erscheinung
tritt, gerät schnell ins Visier rechter Schlägerbanden. Wie gefährlich das
ist, habe ich damals selber am eigenen Leib zu spüren bekommen. Die haben
mein Gesicht auf Flyer gedruckt, um mich einzuschüchtern. Und bei einem
Angriff haben mir rechte Jugendliche den Kiefer gebrochen. In einer
Situation aber, wo ich Angst haben muss, auf die Straßen zu gehen, braucht
es Mut, sich demokratisch zu engagieren.
Das ist fatal, doch eine ganz normale Realität für viele Menschen im
ländlichen Raum in Sachsen, mit Sicherheit auch in anderen Regionen in
Ostdeutschland. Was ist die Folge davon? Als ich als junger Mensch in die
Partei eingetreten bin, war der Altersdurchschnitt bereits relativ hoch. Es
gibt ein Nachwuchsproblem, das nicht zuletzt daraus resultiert, dass
jüngere linksdenkende oder sozial engagierte Menschen wegziehen, sobald sie
es können. Das ist auch sehr gut verständlich, aber macht es für die
Verbliebenen noch schwerer. Die alten Antifaschistinnen und Antifaschisten
werden leider naturbedingt immer weniger und zu wenige Junge kommen nach.
taz: Das ist ein Teufelskreis.
Clara Bünger: Ja, und der muss unbedingt durchbrochen werden. Sonst ist der
Kampf gegen die rechte Hegemonie verloren. Dafür ist es jedoch ungemein
wichtig, dass Die Linke überlebt. Sie ist vielerorts doch eine der letzten
Anlaufstellen, die noch sichere Räume zur Verfügung stellt, in denen sich
Menschen, die sich vor Ort sich engagieren, treffen können. Ich habe meinen
Wahlkreis im Erzgebirge, mein Wahlkreisbüro ist in Aue. Die Linke ist eine
der wenigen Parteien, die dort überhaupt noch vor Ort ist. Es gilt darum zu
kämpfen, dass das so bleibt.
Wir dürfen, die Menschen, die sich dem bedrohlichen rechten Zeitgeist
widersetzen, nicht alleine lassen. Ich kann sehr gut verstehen, dass alle
Menschen, die in den letzten Monaten gegen Rechts und für Demokratie auf
die Straße gegangen sind, von der Regierung enttäuscht sind, dass bisher
keine einzige Maßnahme auf die größten Proteste seit Bestehen der
Bundesrepublik gefolgt ist. Nicht mal das Demokratiefördergesetz, eine
einfache Maßnahme, die man längst hätte umsetzen können.
taz: Ihre Partei kämpft in Sachsen um die Fünfprozenthürde, das BSW kann
sich auf ein zweistelliges Ergebnis freuen. Was macht es besser als die
Linke?
Clara Bünger: Ob bei der Europawahl oder jetzt bei den Landtagswahlen in
Sachsen, Thüringen oder Brandenburg: Das BSW konzentriert seinen Wahlkampf
vollständig auf seine Namensgeberin, obwohl die gar nicht zur Wahl steht.
Das scheint zu funktionieren, weil Sahra Wagenknecht mit ihren schlichten
Parolen für viele eine Projektionsfläche ist, bei der es auf den Rest nicht
ankommt. Das mag eine Zeitlang an der Wahlurne erfolgreich sein. Aber das
Schüren von Ressentiments kann kein Vorbild sein und die einfachen
Antworten sind häufig nicht die richtigen.
taz: Was wären denn die richtigen Antworten?
Clara Bünger: Erfolgreiche Politik bemisst sich für mich daran, ob sie dazu
führen kann, dass sich für die Menschen etwas zum Positiven entwickelt.
Nach unten zu treten und denjenigen, die nichts haben, noch was wegnehmen
zu wollen, gehört nicht dazu. Der Geflüchtete, der vor zwei Monaten nach
Deutschland gekommen ist, ist nicht dafür verantwortlich, dass die Kommunen
seit 30 Jahren kaputtgespart werden, dass es in einem Ort keine Turnhalle
und kein Schwimmbad mehr gibt, Kitas und Schulen geschlossen werden.
Eine Bürgergeldempfängerin ist nicht schuld daran, dass das nächste
Krankenhaus kilometerweit entfernt ist und es inzwischen bisweilen sogar an
einem Rettungsdienst fehlt, der rechtzeitig bei einem Notfall sein kann.
Sie zu drangsalieren, verändert nichts zum Guten, weil sie die falschen
Adressaten sind. Tatsächlich liegt die finanzielle Ausblutung der Kommunen
an einer falschen politischen Prioritätensetzung. Verantwortlich dafür ist
eine CDU-Regierung, die bewusst diese Entscheidungen getroffen hat. Wir
hingegen wollen die Lebensbedingungen für die Menschen verbessern, das
heißt, wir schauen nach oben. Wir stellen die Verteilungsfrage, wie sich
das gehört, von oben nach unten. Das Problem sind die kapitalistischen
Verhältnisse. Die Linke ist die einzige Partei, die im Bundestag Vorschläge
macht, die nicht darauf beruhen, das Menschen gegeneinander ausgespielt
werden.
taz: Offenkundig haben Sie da Überzeugungsprobleme.
Clara Bünger: Nun ja, gegen Schwächere zu treten ist einfacher als sich mit
Stärkeren anzulegen. Aber mich widert dieser Inhumanitätswettbewerb an, in
dem sich die anderen Parteien gerade überbieten. Niemand flieht aus Spaß
aus seiner Heimat. Mehr als zwei Drittel der Menschen, die nach Deutschland
kommen, fliehen aus Kriegsgebieten und haben deshalb völlig zurecht einen
Schutzanspruch. Diese Menschen zu Sündenböcken zu machen, ist schlicht
unanständig. Es gab noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg so viele Kriege und
kriegerische Auseinandersetzungen wie derzeit. Die Bekämpfung von
Fluchtursachen und der Schutz derjenigen, die vor ihnen flüchten, sind zwei
Seiten einer Medaille. Wenn zum Beispiel Russland endlich seinen Krieg
gegen die Ukraine beenden und sich aus dem angegriffenen Land zurückziehen
würde, könnten Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer in ihre Heimat
zurückkehren. Wer vorgibt, gegen Krieg zu sein, darf nicht die bekämpfen,
die vor ihm fliehen. Alles andere ist eine nationalchauvinistische
Verweigerung der Realität.
taz: Gegen solcherlei Stimmungsmache scheint die Linkspartei allerdings
nicht durchdringen zu können.
Clara Bünger: Das ist tatsächlich sehr schwer. Aber das ändert nichts an
der Notwendigkeit. Machen wir uns doch nichts vor: Der Hass, der
Geflüchtete trifft, zielt nicht nur auf sie. Das ist bloß die Spitze des
Eisbergs. Den Rechten geht es generell um die Stigmatisierung missliebiger
Gruppen, sie bekämpfen alles, was nicht ihren Normen entspricht. Sie
greifen auch nicht nur das Asylrecht, sondern beispielsweise ebenso gezielt
Frauenrechte an, oder die Rechte von queeren Menschen bei den
CSD-Veranstaltungen. Wir sollten das höllisch ernst nehmen.
taz: Warum scheint es trotzdem so, als würde Ihre Partei die Menschen nicht
mehr erreichen?
Clara Bünger: Ohne etwas schönzureden: Wenn ich mir den Wahlkampf unserer
sächsischen Spitzenkandidatin Susanne Schaper anschaue, dann habe ich schon
den Eindruck, dass sie die Menschen erreicht. Als gelernte Krankenschwester
hat sie zu Recht die sozialen Fragen in den Mittelpunkt gestellt. Ich habe
meinen Wahlkreis in der Region mit dem bundesweit geringsten
Durchschnittslohn. Für die gleiche Arbeit verdienen die Menschen in
Wolfsburg doppelt so viel wie bei uns im Erzgebirge. Dass die
Lohnungleichheit zwischen Ost und West immer noch so real ist, halte ich
für einen Skandal. Aber wer streitet denn außer uns ernsthaft dafür, dass
sich das endlich ändert? Deswegen bin ich auch davon überzeugt, dass wir
den Parlamentseinzug wieder schaffen. Wir haben gute Teams, die in Leipzig
um die Direktmandate kämpfen, und die Partei ist in dieser schweren Zeit
wieder sehr zusammengerückt. Das macht mich zuversichtlich.
taz: Und wenn Ihre Partei es doch noch mal in den sächsischen Landtag
schaffen sollte, wird alles wieder gut?
Clara Bünger: Wenn es denn so einfach wäre. Nein, natürlich nicht. Wir
haben einen sehr schweren Weg vor uns. Aber unsere Aufgabe ist es, die
Menschen davon zu überzeugen, mit uns für eine solidarische Gesellschaft zu
streiten, die Ungleichheit nicht hinnimmt, in der Gerechtigkeit und Respekt
untereinander zentral, in der die Verwirklichung der universellen
Menschenrechte handlungsleitend ist. Das mag pathetisch klingen, aber das
ist unsere Aufgabe. Dazu will ich meinen Beitrag leisten.
23 Aug 2024
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## AUTOREN
Pascal Beucker
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