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# taz.de -- Nachruf auf Journalist Lutz Hachmeister: Ein intellektueller Prakti…
> Er war Erfinder des Medienjournalismus, Leiter des Grimme-Instituts,
> Kritiker, Mahner und Aufbauer. Jetzt ist Lutz Hachmeister gestorben.
Bild: Lutz Hachmeister im Institut für Medien- und Kommunikationspolitik (2007)
Als 2003 zum ersten Mal Lutz Hachmeisters [1][Dokumentation „Schleyer –
eine deutsche Geschichte“] in der ARD lief, schrieb der Rezensent einer
konservativen Zeitung, im Ersten Deutschen Fernsehen finde an diesem Abend
eine öffentlich-rechtliche Hinrichtung statt. Lutz hat diese Zuschreibung
amüsiert, schließlich war es sein Markenzeichen, gerade dort genauer
hinzuschauen, wo andere lieber wegsahen.
Die Biografie des von der RAF ermordeten „Arbeitgeberführers“, genauer sein
Aufstieg im „Dritten Reich“ und sein „Wirken“ als Wirtschaftsführers i…
besetzten Tschechoslowakei, war genau so ein Fall.
Dass er sich mit seiner Arbeit dabei bei manchen Kreisen unbeliebt machte,
war ihm herzlich egal – und so etwas wie sein ureigenstes Programm.
„Rundfunk“ werde „als medienpolitisches Ordnungsfeld bald so bedeutsam
sein wie die Verwaltung der illyrischen Provinzen im 19. Jahrhundert“,
prophezeite er 2008 der damaligen Medienpolitik, die umgehend vor Zorn an
der Decke klebte.
Knapp zehn Jahre später kommentierte er den Polittalkshow-Wahn der
Öffentlich-Rechtlichen [2][im Interview mit der taz] so trocken wie
messerscharf: „Da findet im Hegel’schen Sinne ein Umschlag von Quantität
in negative Qualität statt.“
## Begrenzte Eitelkeit
Das saß, denn da sprach einer, der zwar die wissenschaftliche Seite von
Kommunikation bis ins Detail kannte. Dem aber nie in den Sinn gekommen
wäre, diese Kunst im akademischen Elfenbeinturm zu pflegen. Ja, Lutz war
irgendwie auch Professor für Journalistik. Doch an der Uni wurde er eher
selten gesehen. Er war vielmehr der intellektuelle Praktiker schlechthin.
Wenn er meinte, zu diesem oder jenem Thema fehle eine brauchbare
Dokumentation, machte er sie eben selbst und schrieb davor oder danach noch
das Buch dazu.
Begonnen hatte alles in Westfalen. In Minden, kurz vor der Hannoverschen
Provinz, wurde Lutz 1959 geboren, in Münster studierte er
Kommunikationswissenschaften und machte sich gleich mit seiner Promotion
unbeliebt, die zwar etwas sperrig „Theoretische Publizistik“ hieß, aber in
Wirklichkeit der deutschen Kommunikationswissenschaft ihre Herkunft aus dem
und ihre Verstrickungen mit dem „Dritten Reich“ unter die darob pikiert
gerümpfte Nase rieb.
Vor zu viel Provinz half damals noch die Flucht nach (West-)Berlin. Hier
heuerte Lutz als Journalist [3][beim Tagesspiegel] an und erfand dort nach
eigener Darstellung den Medienjournalismus. Das war natürlich ein bisschen
dick, aber Lutz hatte bei aller Eitelkeit eine sicher eingebaute
Obergrenze, die er nie überschritt. Sein damals formuliertes Diktum, Ziel
jeglicher Medienberichterstattung könne nur sein, „Intendanten zu stürzen�…
hat bis heute Gültigkeit.
## Lutz las den Öffentlich-Rechtlichen die Leviten
Aber natürlich nicht destruktiv-zerstörerisch. Lutz war immer der
konstruktive Mahner und Aufbauer, weshalb er sich schon mit 30 als
[4][Direktor des Grimme-Instituts] in Marl wiederfand. Die westfälische
Heimat und die Erinnerung an „Stippgrütze“ als nicht sonderlich geliebtes
Hauptnahrungsmittel dürften den Kulturschock nach der Berliner Zeit etwas
abgemildert haben. Aber in Marl war Lutz zwischenzeitlich so langweilig bis
verzweifelt, dass er ernsthaft darüber nachdachte, sich in Lokalpolitik
einzumischen.
Dazu kam es zwar nicht, dafür machte er Grimme über den gleichnamigen
Fernsehpreis hinaus zu der Adresse für den medialen Diskurs. Die Zeit war
günstig: Alles war im Fluss, der private Rundfunk erst knapp den
Flegeljahren entwachsen, bloß die Öffentlich-Rechtlichen waren schon so
träge wie heute. In der Woche las Lutz ihnen die Leviten.
Intendanten und Programmdirektoren der ARD seien im Durchschnitt Mitte
fünfzig, hielten per Hausberufungen Störenfriede fern und erinnerten
insgesamt „an Politiker aus der Endphase der Weimarer Republik“ – heute
klingt dieser über 30 Jahre alte Text wieder prophetisch. Die ARD regierte
schon damals mimosenhaft beleidigt und ihr Vorsitzender, NDR-Intendant
Jobst Plog, sagte eine Veranstaltung in Marl ab.
## Größenwahn war nicht seine Sache
1996 hielt es Lutz nicht mehr in Marl, mit zwei Grimme-Mitstreiterinnen
machte er sich als HMR International in Köln selbständig und doch ganz im
Grimme-Sinne weiter: Die „Cologne Conference“, die heute als
[5][Filmfestival Cologne] weiterlebt, wurde als Showcase für
internationales Fernsehen erfunden. Und war bald so erfolgreich wie
populär, dass eine spätere NRW-Landesregierung eifersüchtig ein
Gegenfestival namens „Großes Fernsehen“ initiierte.
Das politische Geklüngel und der damit verbundene Größenwahn waren aber so
gar nicht seine Sache. Dafür war Lutz auch bei allen öffentlichen
Auftritten ein viel zu privater Mensch. Um eine Machtposition – sei es in
einem Medienunternehmen oder in der Politik – hat er sich nie bemüht. Lutz
war im besten Sinne der mediale Schwimmmeister am Beckenrand, der
medienpolitische Bauchklatscher wie die Pleite des Trickfilmzentrums High
Definition Oberhausen (HDO) so amüsiert wie konsterniert verfolgte.
Doch das bisschen Beratung reichte für seine nie endende Neugier nicht, und
mit seinem visionären Gespür für Themen war er den zu Beratenden ohnehin
meistens weit voraus. Außerdem war da ja noch der bekennende Genussmensch,
der zu seinem Recht – sprich: vor allem nach Frankreich – kommen wollte. An
der Côte d’Azur pflegte Lutz ein bisschen Boheme à la Fitzgerald, natürlich
skandalfrei. Drehte Filme über untergegangene Hotelpaläste wie das
„Provençal“ oder die Sorgen und Nöte der Sterneköche – entsprechende
Verpflegung inklusive.
## Als Erstes hörte man sein Lachen
2005 gründete Lutz dann noch das [6][Institut für Medien- und
Kommunikationspolitik], das an seinen beiden Standorten in Köln und Berlin
seine Vision eines integrierten Thinktanks von Wissenschaft und Wirtschaft,
von Politik und Praxis umsetze. Auch hier blieb er ganz der Alte:
Streitbar, aber immer auch konziliant, an der Sache wie den Menschen
interessiert – und vor allem gut gelaunt.
Was man fast immer als Erstes in einem Gespräch mit Lutz hörte, war sein
Lachen. Seinem höflichen, aber präzisen Spott waren nichts und niemand
heilig. Und wenn er keine Lust mehr hatte, ging er einfach.
Zu einem hatte Lutz aber immer Lust: die Aufarbeitung der NS-Zeit
konsequent fortzusetzen. 1997 enthüllte er in der taz – fast niemand sonst
wollte berichten –, wie Spiegel-Gründer Rudolf Augstein ganze ehemalige
SS-Seilschaften in der frühen Spiegel-Redaktion duldete. Auch sein letztes
Werk bringt all das noch mal zusammen: „Der Diktator und die Journalisten“
analysiert Adolf Hitlers Interviews mit ausländischen Zeitungen. Es
erscheint posthum.
Denn Lutz ist vergangenen Montag, keine zwei Wochen vor seinem 65.
Geburtstag, ganz gegangen.
3 Sep 2024
## LINKS
[1] /Eine-wahrhaft-deutsche-Geschichte/!748436/
[2] /Medienwissenschaftler-ueber-Talkshows/!5313249
[3] https://www.tagesspiegel.de/kultur/der-mediendenker-zum-tod-von-lutz-hachme…
[4] /Zukunft-des-Grimme-Instituts/!5958822
[5] https://filmfestival.cologne/
[6] https://medienpolitik.eu/
## AUTOREN
Steffen Grimberg
## TAGS
Nachruf
Medienjournalismus
öffentlich-rechtliches Fernsehen
Kolumne Flimmern und Rauschen
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