# taz.de -- Korea-Konflikt: Südkorea will Nordkorea „befreien“ | |
> Pjöngjang hat die Wiedervereinigung aufgegeben. Seoul legt eine neue | |
> Strategie vor. Die dürfte jedoch als schwere Provokation gewertet werden. | |
Bild: Südkoreaner an der Grenze zu Nordkorea in Paju | |
Seoul taz | Am Donnerstag hat Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol seine neue | |
Doktrin für die Wiedervereinigung mit Nordkorea vorgelegt. „Nur wenn auf | |
der gesamten koreanischen Halbinsel eine einheitliche freie und | |
demokratische Nation entsteht, die rechtmäßig dem Volk gehört, werden wir | |
endlich die vollständige Befreiung erlangen“, sagte der 63-Jährige während | |
einer Rede, um das Ende der japanischen Kolonialherrschaft (1910-45) zu | |
feiern. | |
Die [1][Vision des konservativen Yoon] unterscheidet sich dabei stark vom | |
Ansatz seines linksliberalen Vorgängers Moon Jae, der sich mit offener | |
Kritik und Forderungen gegenüber dem Kim-Regime zurückhielt. Yoon macht | |
keinen Hehl daraus, dass er das nordkoreanische System aktiv reformieren, | |
ja schlussendlich aushöhlen möchte. „Wir müssen den Wert der Freiheit | |
proaktiver auf den Norden ausdehnen und substanzielle Veränderungen | |
vorantreiben“, sagte er. | |
Seine auf „Freiheit“ basierende Wiedervereinigungsstrategie beruht im | |
Grunde auf zwei Kernpunkten: Zum einen müsse man mehr unternehmen, um die | |
Menschenrechtslage in Nordkorea zu verbessern – etwa durch die Förderung | |
von NGOs im Ausland. Zudem werde Seoul stärker dafür sorgen, dass die | |
Bevölkerung im abgeschirmten Nachbarland einen besseren Zugang zu freien | |
Informationen erhält. Diese würden unweigerlich dafür sorgen, dass die | |
Nordkoreaner selbst einen politischen Wandel einfordern. | |
Denn gleichzeitig zu seiner Wiedervereinigungsvision stellte Yoon Nordkorea | |
auch wirtschaftliche Kooperationsmöglichkeiten und einen neuen Dialogkanal | |
in Aussicht. Tatsächlich dürften die Avancen in Pjöngjang nicht nur auf | |
krasse Ablehnung stoßen, sondern sogar als Aufruf zum Systemsturz gewertet | |
werden. | |
## Psychologische Kriegsführung an der Grenze | |
Dass beide Koreas nach wie vor keinen Friedensvertrag unterzeichnet haben, | |
lässt sich derzeit tagtäglich am verminten Grenzgebiet beobachten. Dort | |
wenden die Militärs jeweils Formen der psychologischen Kriegsführung an, | |
die an den Höhepunkt des Kalten Krieges erinnern: Während der Norden | |
regelmäßig [2][mit Müll und Fäkalien gefüllte Ballons über die Grenze] | |
schickt, hat der Süden überdimensionale Lautsprecheranlagen aufgestellt, | |
welche rund um die Uhr politische Propagandabotschaften aussenden. | |
Erst im Dezember hat Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un einen radikalen | |
Paradigmenwechsel eingeleitet, indem er erstmals öffentlich erklärte, sein | |
Land strebe nicht mehr die Vereinigung mit Südkorea an. Stattdessen | |
erklärte er den Nachbarstaat zum „Hauptfeind“ und ließ wenige Tage später | |
das historische „Denkmal für die Wiedervereinigung“ – ein 30 Meter hoher | |
Triumphbogen vor der Hauptstadt Pjöngjang – abreißen. | |
Wer hingegen durch die südkoreanische Hauptstadt Seoul streift, erblickt | |
eine hochmoderne und internationale Metropole, die trotz lediglich 200 | |
Kilometern geografischer Entfernung wie von einem anderen Stern wirkt. In | |
der Innenstadt hat die Stadtregierung eine originale Steinplatte der | |
Berliner Mauer platziert – samt Graffiti und abgebröckeltem Putz. Das | |
historische Mahnmahl soll daran erinnern, dass 9.000 Kilometer westlich der | |
Traum einer Wiedervereinigung längst Realität geworden ist. | |
## Junge Menschen haben andere Probleme | |
„Natürlich möchte auch ich eine Wiedervereinigung“, sagt ein älterer Mann | |
mit Golfer-Cap und verglaster Sonnenbrille, der an diesem | |
Donnerstagnachmittag christliche Flugblätter in der Innenstadt verteilt: | |
„Doch wir befinden uns nach wie vor in einem ideologischen Krieg. Russland | |
und insbesondere das kommunistische China wollen ein vereinigtes Korea | |
verhindern“. | |
Während für Senioren die Wiedervereinigung ein emotionales Thema ist, lässt | |
es die Jugend mit einem Schulterzucken zurück. Stattdessen haben viele | |
Leute ganz andere Probleme, die sie in ihrem Alltag beschäftigen: die | |
teuren Wohnungspreise etwa, oder die [3][wachsende Ungleichheit im Land]. | |
Dabei mussten sich die Südkoreaner ihre Freiheit nach Jahrzehnten der | |
eigenen Militärdiktatur blutig erkämpfen. Mittlerweile besteht jedoch kein | |
Zweifel mehr daran, dass das Land am Han-Fluss nur 37 Jahre nach den ersten | |
freien Wahlen eine Vorbilddemokratie für ganz Asien ist. | |
Allein an diesem Donnerstag haben sich in Seouls Innenstadt Gruppen | |
sämtlicher politischer Couleur versammelt – von konservativen Gruppen, die | |
riesige USA-Flaggen schwenken, über linke Gewerkschaftsaktivisten bis hin | |
zu jungen Studenten mit Palästina-Fahnen. Und nicht wenige rufen lautstark | |
zum Rücktritt des amtierenden Präsidenten Yoon Suk Yeol auf – eine Meinung, | |
die nur wenige Kilometer nördlich mit Lagerhaft oder Schlimmeren bestraft | |
würde. | |
16 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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