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# taz.de -- Keine Sozialleistungen im Jugendarrest: Nach Entlassung droht Mietr…
> Im Jugendarrest können Sozialleistungen gestrichen werden, auch Wohngeld.
> Das Urteil aus Celle ist umstritten, trotzdem gab es keine Revision.
Bild: Wohin nach dem Jugendarrest? Diese Frage werden sich auch die Insassen de…
[1][Jugendliche, die im Jugendarrest] sind, haben keinen Anspruch auf
Sozialleistungen. Das hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in
Celle Ende Juni entschieden. Am Montag legte das Gericht die Begründung für
sein Urteil vor. Ob der Jugendarrest als freiheitsentziehende Maßnahme gilt
und deswegen Leistungen gekürzt werden sollen, darüber sind sich Fachleute
uneins.
Dem 1998 geborenen Kläger hatte das Jobcenter Peine für zwei Wochen, die er
im [2][Jugendarrest] verbringen musste, Grundsicherungsleistungen
gestrichen, rund 400 Euro. Gegen diese Entscheidung legte er Widerspruch
ein. Das Jobcenter rechnete den Tag der Entlassung aus den Kürzungen
heraus, die grundsätzliche Logik der Leistungsverweigerung behielt es
jedoch bei. Die anschließende Klage wies das Sozialgericht Braunschweig ab.
Auch das Landessozialgericht urteilte nun zu Ungunsten des Klägers. Er
hatte beantragt, die Entscheidungen des Jobcenters aufzuheben, da es einen
rechtlichen Unterschied zwischen dem Jugendarrest und einer
Freiheitsentziehung gebe.
## Resozialisierung oder Strafe?
Theresia Höynck von der [3][Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und
Jugendgerichtshilfen] kann die Begründung des Gerichts mit Blick auf die
Rechtslage nachvollziehen, kritisiert aber die Regelungen im
Sozialgesetzbuch und vor allem die Ergebnisse, zu denen sie führen: „Dass
ein Jugendlicher wegen zwei Wochen Jugendarrest Leistungen gekürzt bekommt,
ist absurd, und gefährlich“, sagt Höynck. „Denn es verhindert den im
Jugendgerichtsgesetz wichtigen Aspekt der [4][Resozialisierung].“
Insbesondere die enthaltenen Wohngeldkürzungen hätten nichts mit
Resozialisierung zu tun, sondern seien reine Strafe.
Auch das [5][Landessozialgericht erkennt in seiner Urteilsbegründung]
Unterschiede zwischen Jugendarrest und Freiheitsstrafe. Der Arrest ist in
„seiner konkreten Vollstreckung variabel und kann in Abhängigkeit von den
individuellen Lebensumständen des Betroffenen jederzeit geändert werden“.
Ein Arbeits- oder Bildungsangebot des Jobcenters könnte im Sinne des
Erziehungsaspekts eine Entlassung aus dem Jugendarrest zur Folge haben.
Denn das Jugendgerichtsgesetz schreibt vor, dass eine Arrestform eine
Ausbildung oder Arbeit des Jugendlichen nicht beeinträchtigen darf.
Außerdem gebe es viele verschiedene Arten von Zuchtmitteln, anders als
beispielsweise bei freiheitsentziehenden Maßnahmen wie einer Jugendstrafe
ohne Bewährung.
Andere Gerichte hatten den Jugendarrest in der [6][Vergangenheit deshalb
nicht als freiheitsentziehende Maßnahme gewertet]. Betroffene wären somit
berechtigt, Leistungen zu beziehen.
Die Celler Richter erkennen die unterschiedlichen Einschätzungen in der
Rechtsprechung an und haben wegen der grundsätzlichen Bedeutung Revision
beim Bundessozialgericht zugelassen. Das Urteil ist aber inzwischen
rechtskräftig, ein Antrag auf Revision ist laut einer Sprecherin des
Bundessozialgerichts nicht fristgerecht eingegangen.
## Verzicht auf Revision könnte taktisch motiviert sein
Für Theresia Höynck, die auch Professorin für Jugendrecht an der Uni Kassel
ist, kann das verschiedene Gründe haben: „Solche Prozesse sind langwierig.
Gerade im Jugendrecht kommt es deshalb häufig vor, dass Prozesse nicht
durchgefochten werden, auch wegen der Belastung der Jugendlichen.“
Andererseits könne der Verzicht auf eine Revision taktische Gründe haben.
Denn ein höchstinstanzliches Urteil könnte die rechtlichen Spielräume in
der Zukunft einschränken. „Im Zweifel ist es jetzt sinnvoller,
rechtspolitisch auf die Gesetzgebung einzuwirken“, sagt Höynck.
Auch aus ganz praktischen Gesichtspunkten kritisiert Höynck die
Entscheidung und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen, wenn einem
Jugendlichen, der ohnehin schon in einer Krise stecke, auch noch die Miete
gekürzt werde. „Man muss sich mal überlegen – am Ende sind die Betreuer in
der Arrestanstalt mehr damit beschäftigt, die Angelegenheit mit der
unbezahlten Miete zu klären, als sich um echte
Wiedereingliederungsmaßnahmen zu kümmern.“
Berthold Wesseler, Leiter der Jugendgerichtshilfe in Osnabrück, sind aus
den vergangenen Jahren keine Fälle wie der vom Jobcenter in Peine bekannt.
Er bestätigt aber, dass solche Kürzungen die Situation für junge Leute
nicht leichter machten.
Im niedersächsischen Justizministerium will man noch prüfen, welche
Auswirkungen das Urteil auf die Praxis des Jugendvollzugs hat, wie eine
Sprecherin mitteilte.
Das Urteil ist auch aus verwaltungstechnischer Perspektive fragwürdig: Denn
im Zweifel rutscht die Person aus der einen Maßnahme in eine andere. Dann
muss sich wieder eine neue Abteilung damit beschäftigen, „und das wegen
vier Wochen, die ein Jugendarrest höchstens dauert“, wie Höynck zu Bedenken
gibt.
28 Aug 2024
## LINKS
[1] /Strafrecht/!5099439
[2] /Streit-um-Jugendarrest/!543528/
[3] https://www.dvjj.de/die-dvjj/vorstand/
[4] /Sinn-und-Unsinn-von-Gefaengnissen/!5723494
[5] https://landessozialgericht.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/pressemit…
[6] https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/legacy/174962
## AUTOREN
Mika Backhaus
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Straffällige Jugendliche
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