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# taz.de -- Menschen, die auf Babyhippo Toni starren: Trost der Dickhäuter
> Zwergflusspferd-Nachwuchs Toni stapft durchs Gehege, und alle schauen
> hin. Ein Besuch im Berliner Zoo nebst Seitenblicken in die
> Kulturgeschichte.
Bild: 15.8.2024: Zwergflusspferd-Nachwuchs Toni wird im Berliner Zoo zum ersten…
Menschen, die auf Flusspferde starren. So müsste man betiteln, was aktuell
im [1][Berliner Zoo] vor sich geht: Dort sind nämlich die Hippos los.
Genauer gesagt ein Hippo im Miniformat, denn der Zoo darf sich über
Nachwuchs bei den Zwergflusspferden freuen. Toni heißt das am 3. Juni
geborene Zwergflusspferd-Baby, benannt nach seinem Paten,
Fußballnationalspieler [2][Antonio Rüdiger]. In den sozialen Medien längst
ein Star, zieht Toni seit gut einer Woche auch die Besuchenden an, seitdem
darf der kleine Dickhäuter mit Mutter Debby endlich ins Außengehege.
„[D]ie Schönheit dieses rundlichen, schwarzgrünen Geisterwesens [hatte ich]
natürlich längst erkannt“, heißt es im Roman „Selbstporträt mit Flusspf…
(2015) von Arno Geiger. In ihm ist der Protagonist frisch getrennt und
generell mit dem Leben überfordert. Ein Ferienjob als Tierpfleger bei einem
Professor, der das Wesen des Zwergflusspferds studiert, bringt ihn mit
diesem zusammen.
„Die Zwergin […] war ein schönes Wesen, ruhig und anspruchslos. Ich sah ihr
gerne beim Schlafen zu. Beim Hinschauen berührte mich ihre gelassene
Üppigkeit. Auch mochte ich ihren schlammig riechenden Atem.“ Dem immerzu
grübelnden Protagonisten hilft die Nähe zum Flusspferd, wobei ihn ein
„heftiges Gefühl des Unwirklichen“ überkommt, allmählich aus seiner Kris…
Gelassen und ruhig wie das Flusspferd bei Geiger wirkt auch Toni an diesem
Sommertag. Unbeeindruckt von dem Trubel vor ihrem Gehege liegt sie unter
Blättern im Schatten. Ihre Mutter schwimmt Runde um Runde im Wassergraben,
schaut immer wieder nach, was der Nachwuchs macht.
## Gelassenheit dank animalischem Gleichmut
Bedächtig wirkt die Szenerie, die sich auch auf die Besuchenden auszuwirken
scheint. Aufgeregt rennen Kinder herbei, drängeln sich Erwachsene mit
semiprofessionellem Kameraequipment an den Holzzaun. Dort angekommen,
scheint sich eine andächtige Ruhe auf die Versammelten zu legen. „War es
die Trägheit des Tieres […], die anfing zu wirken?“, fragt Geigers
Protagonist. Vielleicht.
Während ich dort am Zaun stehe, die Freude über das Zwergflusspferd mit
lauter Fremden teilend, denke ich an meinen Großvater. Ob wir jemals
gemeinsam im Zoo waren, erinnere ich nicht. Ich wäre sicher gern gegangen,
wurde stattdessen aber in unzählige Museen mitgeschleppt. „Auf jedem
Gemälde hast du nach Tieren gesucht“, höre ich ihn sagen. Hatte ich eines
gefunden, war ich nicht mehr wegzubekommen, so seine Erzählung.
Und ja, Tiere übten und üben immer noch eine Faszination auf mich aus. Sie
spenden mir Trost und Ruhe, wenn mich menschliche Interaktion aufwühlt oder
schlicht ratlos zurücklässt. Wenn mich die Krisen, die eigenen und die der
Welt, überfordern, beruhigt mich der animalische Gleichmut.
Dass ich damit nicht allein bin, zeigen die Abermillionen Tierbilder und
-videos, die durchs Internet wabern. In einer Welt, die sich mehr und mehr
im digitalen Raum abspielt, gewinnen auch die (Bewegt)bilder unserer
tierischen Freunde an Bedeutung.
## Vom gottähnlichen Geschöpf zum Social-Media-Star
Das Starren auf Tiere ist dem Menschen aber keineswegs neu: Kunst aus
unterschiedlichen Jahrhunderten verdeutlicht, wie sich der Blick aufs Tier
gewandelt hat. Nimmt man die Katze etwa – immer noch das beliebteste Tier
in sozialen Medien –, wandelte sich ihre Darstellung vom gottähnlichen
Geschöpf bei den alten Ägyptern über ein Sinnbild für Faulheit und Gier in
der Renaissance hin zum treuen Begleiter des Menschen im 19. und 20.
Jahrhundert.
Einen Menschen sinnbildlich vertretend, steht sie in Bronze gegossen in
London, „schulterhoch für einen durchschnittlichen Erwachsenen, was gerade
richtig ist, um den Arm darum zu legen“, wird ihr Bildhauer Jon Bickley im
Essayband „Animal Lovers“ zitiert. Seine Katzenskulptur soll den Autor des
„English Dictionary“ und Katzenfreund Samuel Johnson ehren. Gleichzeitig
soll sie Besuchende ins Stadtgeschehen ein-, ja idealerweise sogar
miteinander verbinden.
Ob das auch die Intention hinter den Flusspferdbrunnen war, frage ich mich.
Vier Stück habe ich bei meiner Recherche für diesen Text gefunden, alle in
Berlin. Was hat diese Stadt nur mit den Dickhäutern?
Der Nilpferdbrunnen in der John-Locke-Siedlung in Berlin-Lichtenrade ist
offizieller Treffpunkt im Nachbarschaftsportal. Hier spielen Kinder
zwischen den vier Dickhäutern, die sich zwischen Fontänen räkeln. Ihre
Rücken dienen als Rutsche und Kletterobjekt in einem. Ihre Oberfläche fühlt
sich angenehm glatt und kühl an, so stelle ich mir auch Tonis Haut vor,
wenn sie nach einem Bad aus dem Wasser kommt.
## Dualismus im Mensch-Tier-Verhältnis
Am Wühlischplatz in Berlin-Friedrichshain flankiert ein bronzenes Exemplar
die erhöhte Wasserschale, die sich als wunderbare Vogelplansche bei diesen
Sommertemperaturen entpuppt. Sobald sich ein Piepmatz auf den Rücken des
Flusspferds verirrt, bekommt die Szenerie etwas unfreiwillig Bizarres.
Denn die in den siebziger Jahren von Nikolaus Bode erschaffene Skulptur
trägt zwei Personen, eine mit einem Fernglas, die zweite mit einem Gewehr.
Da ist sie, die Kehrseite der Faszination Tier, die der
[3][Kunsttheoretiker John Berger] in „Why Look at Animals?“ mit
„unterworfen und verehrt, gezüchtet und geopfert“ kommentiert.
Toni ist ein gutes Beispiel für den absurden Dualismus in unserem
Verhältnis zu Tieren. Ihren Verwandten [4][nehmen wir allmählich den
Lebensraum], roden ihn, um in Westafrika Kakao anzupflanzen. Nur mehr etwa
2.500 Exemplare des Zwergflusspferds leben dort. Hier dagegen, wo der
Asphalt im sommerlichen Berlin immer heißer wird, vergessen wir kurz unsere
Sorgen beim Anblick der süßen Toni – die zwar gefangen lebt, aber immerhin
sicher.
25 Aug 2024
## LINKS
[1] /TV-Doku-ueber-Berliner-Zoos/!6024039
[2] /Antonio-Ruediger/!6017797
[3] /Kunstkritiker-John-Berger-gestorben/!5370508
[4] /Umstrittener-Klimaschutzdeal-in-Liberia/!5975181
## AUTOREN
Sophia Zessnik
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